Gaslieferungen über Nord Stream 1 gestoppt

Russland meldet einen technischen Defekt als Begründung. Die Bundesnetzagentur zweifelt das an

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei ihrer Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen Entlastungspaketes machten die Vorsitzenden der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie Bundeskanzler Olaf Scholz die russische Regierung und die Folgen des Angriffs auf die Ukraine für die schwierige Lage in Deutschland verantwortlich. »Wir spüren die Folgen auch bei uns, zum Beispiel bei der Energieversorgung«, konstatierte Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag. Russland sei kein zuverlässiger Lieferant mehr. Der SPD-Politiker verwies auf LNG-Terminals, die bald an der Nordsee einsatzbereit seien. Auch dadurch will Deutschland unabhängiger von Russland werden.

Nun gibt es Probleme bei der Pipeline Nord Stream 1. Nach dreitägigen Wartungsarbeiten fließt vorerst kein russisches Gas mehr durch diese Leitung nach Deutschland. Grund dafür sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja, teilte der russische Energiekonzern Gazprom am Samstag mit. Bis dieser gestoppt sei, könne kein Gas mehr fließen.

Vonseiten der Bundesnetzagentur wurden Zweifel an dieser Begründung geäußert. »Die von russischer Seite behaupteten Mängel sind nach Einschätzung der Bundesnetzagentur technisch kein Grund für die Einstellung des Betriebs«, schrieb die Behörde. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärte, dass die Lage auf dem Gasmarkt zwar angespannt sei, die Versorgungssicherheit aber gewährleistet. EU-Ratspräsident Charles Michel bezichtigte Russland, mit diesen Maßnahmen Deutschland und der Europäischen Union schaden zu wollen. »Die Nutzung von Gas als Waffe wird an der Entschlossenheit der EU nichts ändern«, schrieb er.

Die russische Regierung stellte sich hingegen hinter die Äußerungen von Gazprom. »Wenn die Europäer eine absolut absurde Entscheidung treffen, wonach sie sich weigern, ihre Anlagen zu warten, oder besser gesagt, Anlagen, die Gazprom gehören, dann ist das nicht die Schuld von Gazprom, sondern die Schuld der Politiker, die Entscheidungen über Sanktionen getroffen haben«, sagte Sprecher Dmitri Peskow in der im Staatsfernsehen ausgestrahlten Sendung »Moskau. Kreml. Putin.«, wie die Nachrichtenagentur Interfax am Sonntag meldete.

Nach Peskows Angaben sind die Europäer vertraglich zur Wartung der Anlage von Gazprom verpflichtet. Politiker sorgten nun dafür, »dass ihre Bürger Schlaganfälle erleiden, wenn sie ihre Stromrechnungen sehen«, meinte Peskow mit Blick auf die rasant gestiegenen Energiepreise. »Jetzt, wenn es kälter wird, wird die Situation noch schlimmer.« Scholz hatte dagegen erklärt, dass die Energieversorgung im Winter gesichert sei, unter anderem, weil auch die Gasspeicher gut gefüllt seien.

Deutschland bezieht inzwischen deutlich mehr Gas aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden, als vor dem Lieferstopp aus Russland kam. Trotzdem ist unklar, ob sich das nächste Speicherziel ohne Nord-Stream-Gas erreichen lässt. Der Geschäftsführer des Branchenverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke, hatte zwar bereits Freitagabend angekündigt, dass die Speicher weiter befüllt werden. »Sollte der komplette Ausfall russischer Gastransporte sich bis in den November fortsetzen, wird ein Erreichen des 95-Prozent-Ziels allerdings große Anstrengungen erfordern«, sagte er.

Derweil droht aber in anderen Ländern der Ostseeregion eine schwere Krise. Nach der Unterbrechung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 will die schwedische Regierung mit Milliarden-Garantien für Energieunternehmen in nordischen und baltischen Ländern eine Finanzkrise verhindern. Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson sprach am Samstag bei einer Pressekonferenz von der Gefahr eines »Kriegswinters«. Die Finanzgarantien in Milliardenhöhe gäben den Energieunternehmen, die als Folge des Ukrainekriegs in Bedrängnis geraten, »die Atempause, die sie brauchen«.

Die Finanzierungsgarantien müssen noch im Detail ausgearbeitet werden, sollen aber am Montag vor Schließung der Börsen in Kraft treten. Im Laufe der nächsten zwei Wochen würden sie dann alle nordischen und baltischen Energieunternehmen abdecken. Die Abgeordneten des schwedischen Parlaments wurden aus ihrer Sommerpause zurückgerufen, um noch am Montag darüber abzustimmen.

»Russlands Energiekrieg hat ernsthafte Konsequenzen für Europa und schwedische Haushalte und Unternehmen«, sagte Andersson. Dies gelte »insbesondere in Südschweden, das von den Strompreisen in Deutschland abhängig ist, die wiederum sehr abhängig von Gas sind. Wenn wir nicht bald handeln, könnte dies zu ernsthaften Störungen in den nordischen Ländern und im Baltikum führen«, mahnte die schwedische Regierungschefin. Mit Agenturen

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