Egoisten statt Wohltäter

Stars der Popindustrie lassen sich gern als Wohltäter feiern. Aber nicht überall kommt das gut an

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn Rwothomio Gabriel sieht, wie Madonna und Angelina Jolie Kinder aus Afrika oder Südostasien adoptieren, wird er wütend: »Damit wird die Idee westlicher Überlegenheit auch hier weiter eingewurzelt«, sagt er mit gereiztem Blick. »Mehr Leute denken dadurch doch: Oh, wenn Kinder in den Westen gehen, haben sie bessere Chancen auf ein erfolgreiches Leben.« Aber das sei ein Trugschluss. »Wenn das Kind dann geht, stellt sich oft heraus, dass es nicht mehr zurück darf. In sehr vielen Fällen findet hier eine Trennung der Kinder von ihren Familien statt.«

Rwothomio Gabriel ist Sprecher der NGO »No White Saviors« (NWS), die im ostafrikanischen Uganda beheimatet und quer über den afrikanischen Kontinent vernetzt ist. Die gängige Praxis der Adoption vermeintlicher Waisenkinder durch Menschen aus reicheren Ländern sieht NWS als deutlichstes Beispiel von »White Saviorism« (Weißes Rettertum). So wird das Phänomen bezeichnet, wenn sich Menschen aus reichen Ländern als globale Wohltäter geben, obwohl ihr Verhalten kaum Gutes bewirkt oder sogar Schaden anrichtet – und die ärmsten Länder der Welt damit weiter arm hält.

Uganda

Das ostafrikanische 46-Millionen-Einwohner-Land Uganda grenzt im Norden an Südsudan, im Westen an die Demokratische Republik Kongo, im Süden an Ruanda sowie Tansania und im Osten an Kenia. Im 19. Jahrhundert geriet das Land unter die Herrschaft des britischen Kolonialreichs, Englisch ist bis heute Landessprache. Nicht zuletzt durch die Ausbeutung aus der Kolonialzeit gehört Uganda mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 817 US-Dollar heute zu den ärmsten Ländern der Welt (Vergleich: der EU-Durchschnitt liegt bei 38 000 US-Dollar).

Nach der Unabhängigkeit 1962 regierte von 1971 bis 1979 der General Idi Amin, unter dessen Ägide Hunderttausende Oppositionelle ums Leben kamen. Nach Amins Sturz gelang der Rebell Yoweri Museveni, der zunächst Verteidigungsminister wurde, im Jahr 1986 dann selbst durch einen Putsch an die Macht. Seither regiert Museveni – allerdings auch mit diversen Menschenrechtsverletzungen – das Land.

Dabei strahlt Uganda durch eine vielfältige Zivilgesellschaft. Neben der antikolonialen NGO »No White Saviors« ist das Land nicht zuletzt durch die Aktivistinnen Vanessa Nakate und Hilda Nakabuye ein Epizentrum der »Fridays for Future«-Bewegung auf dem afrikanischen Kontinent. Inmitten der Kriminalisierung von Homosexualität fällt zudem die LGBT-freundliche Kirche »Adonai Inclusive Christian Ministries« auf, die allerdings immer wieder verfolgt wird. Felix Lill

Besonders sichtbar werde dies bei solchen Personen, die besonders viel Öffentlichkeit genießen, zum Beispiel Sänger oder Schauspieler. Gabriel, ein schmächtiger Typ mit kurzen Locken, sitzt in einem modernen Kulturzentrum in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, und schüttelt die Beispiele nur so aus dem Ärmel. »Bei der Schauspielerin Angelina Jolie zeigt sich zum Beispiel, dass sie ein Kind adoptiert hat und behauptete, es sei eine Waise. Aber vor Kurzem gab es Berichte, die zeigten, dass der Vater noch am Leben war. Was sagt uns das?«

Ein anderes bekanntes Beispiel sei die Sängerin Madonna, die mehrere Kinder adoptiert hat. »Madonna zeigt ihre Kinder ständig in den sozialen Medien. Das soll doch auch vermitteln, dass sie geholfen hat, als sie nach Afrika kam.« Rwothomio Gabriel hebt den Zeigefinger und fragt: »Aber wer profitiert von all diesen Kameras. Die Kinder? Nein, Madonna selbst! Denn die Botschaft ist, dass Madonna ein guter Mensch ist.«

Seit einigen Jahren macht NWS, eine Gruppe überwiegend junger Menschen aus Kampala, über soziale Medien weltweit sowie mit Bildungsveranstaltungen in der ugandischen Hauptstadt auf das aufmerksam, was sie als postkoloniales Pseudohelfersyndrom betrachten. In Kampala unterhält die Organisation auch ein Café sowie eine Bibliothek, die nach Thomas Sankara benannt ist, dem postkolonial und panafrikanisch eingestellten einstigen Regierungschef von Burkina Faso. Sankara wurde in den 1980er-Jahren zur Ikone für die Vision eines selbstbewussten, postkolonialen Afrikas.

NWS trifft einen Nerv. Mit der Kritik an vermeintlich wohlmeinenden Personen hat die Organisation mittlerweile an die 900 000 Follower auf Instagram versammelt. NWS ist mittlerweile so groß, dass sie auch selbst nicht mehr frei ist von Kritik. So wurde ihr vorgeworfen, durch Hetzkampagnen nicht nur Karrieren und Leben mehrerer Influencerinnen und Influencer zu zerstören, sondern durch Publicity auch daran zu verdienen. Teilweise seien Vorwürfe überzogen oder sachlich falsch.

Dabei ist NWS nicht die einzige Organisation, die sich mit White Saviorism und Kindesraub sowie verwandten Praktiken kritisch auseinandersetzt. So zog im vergangenen Jahr der Dokumentarfilm »The Stolen Children« in Zweifel, dass der 2002 von der Schauspielerin Angelina Jolie adoptierte Maddox aus Kambodscha tatsächlich ein Waisenkind war. Die Agentin, die offenbar auch diese Adoption arrangierte, war schon früher für gefälschte Dokumente anderer Kinder festgenommen worden.

Bei der Sängerin Madonna zeigte sich, dass der 2006 aus einem Waisenheim in Malawi adoptierte David noch einen lebenden Vater hatte. Kinderorganisationen kritisierten damals ohnehin den Schritt, das Kind in eine fremde Kultur zu bringen, statt es in der Region zu halten. Die NGO »No White Saviors«, die adoptierten Kindern oder deren Eltern Rechtshilfe anbietet und Aufklärungsarbeit leistet, erkennt bei internationalen Adoptionen oft ein großes Maß an Egoismus.

»Wenn es den Adoptierenden wirklich um das Kindswohl ginge, wäre es doch besser, wenn man einfach Geld an die Familien schickte, damit diese das Leben ihres Kindes und sich selbst besser finanzieren können«, so Rwothomio Gabriel. »Wirtschaftlich gesehen wäre es doch auch effizienter, wenn hier einfach Aufbauarbeit geleistet würde, statt die Kinder aus ihrem Umfeld zu reißen.« Es entstehe aber der Eindruck, es gehe gar nicht um die Kinder oder das Land, aus dem sie kommen. »Das Ganze ist nie wirklich darauf ausgelegt, das Problem an seiner Wurzel zu lösen.«

Vermeintliche Entwicklungshilfe als PR-Maßnahme für Promis? Dieser Vorwurf besteht gegenüber der Popindustrie schon länger. Die Charity-Aktionen von Popgrößen wie Bob Geldof oder Bono etwa wurden wiederholt als Heuchelei kritisiert, weil sich das von ihnen eingetriebene Geld auch durch staatlich organisierte Besteuerung beschaffen ließe, die die Protagonisten von Spendengalas aber häufig vermeiden – um dann medial als Wohltäter zu strahlen.

Rwothomio Gabriel fragt sich zudem, warum so viele der Stars nur nach Afrika kommen, um Fotos von sich zu machen oder Kinder zu adoptieren. Seine Freunde und er würden diese Personen lieber in anderer Rolle willkommen heißen: »Wenn Musiker von ihren Welttourneen sprechen, kommen sie dann nach Afrika? Nein. Sie erwägen uns nicht einmal.« Tatsächlich wird Afrika, wo wegen niedrigerer Durchschnittseinkommen die Ticketpreise wohl günstiger sein müssten, damit eine größere Arena sich füllt, auf breitspurig beworbenen Welttourneen oft ausgelassen.

So kündigt etwa Ed Sheeran auf seiner Website Konzerte auf diversen Kontinenten an, aber in einem der 54 Staaten Afrikas ist er demnach nicht zu sehen. Katy Perry nutzte ab 2014 auf ihrer »Prismatic World Tour« Kostüme, die an das alte Ägypten erinnerten, und machte auf jedem Kontinent halt – bis auf Afrika. Als in den Nullerjahren spekuliert wurde, dass die Adoptivmutter Madonna in Südafrika auftreten würde, bezeichnete ihr Management das Gerücht als »komplette Fantasie«.

Taylor Swift filmte 2015 den Videoclip zu dem Lied »Wildest Dreams« auf afrikanischem Boden. Allerdings sind dort neben Steppe und Giraffen fast nur weiße Menschen zu sehen – inklusive der Sängerin selbst im Stil der Kolonialzeit. Ein Konzert in Afrika hat Swift noch nicht gegeben. Kurz vor der Pandemie wurde schon eine Petition gestartet, um ihre Tour nach Afrika zu bringen.

Auch Shakira, die im Zuge der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika den Soundtrack »Waka Waka (This Time for Africa)« sang, blieb dem Kontinent ansonsten weitgehend fern. Auf seiner »World Justice Tour« will Justin Bieber diesen Herbst zumindest zweimal in Südafrika auftreten. Er bildet damit allerdings eher die Ausnahme von der Regel.

Der 24-jährige Rwothomio Gabriel aus Uganda formuliert zugespitzt, was diese Tendenz der Musik- und Showbranche in ihm auslöst. Sie offenbare »ein System, das mich nicht als Mensch sieht«. Nach einem Moment Stille fügt er hinzu: »Wir reden ständig darüber, wie die Welt zusammenkommt und eins ist. Aber es geht dabei nie um Afrika, um schwarze oder braune Personen. Wir kommen in dem Bild nicht vor.«

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