Europas letzte Sklavenhändler

Bis ins 19. Jahrhundert wurden über Spanien eine halbe Million Menschen als Sklaven verkauft. Eine Spurensuche in Barcelona

  • Julia Macher
  • Lesedauer: 8 Min.
Mehr als hundert Jahre thronte eine überlebensgroße Statue von Antonio López y López vor dem Postamt in der katalanischen Hauptstadt. Nach Protesten der Initiative SOS Rassismus im Jahr 2018 bleibt der Sockel leer.
Mehr als hundert Jahre thronte eine überlebensgroße Statue von Antonio López y López vor dem Postamt in der katalanischen Hauptstadt. Nach Protesten der Initiative SOS Rassismus im Jahr 2018 bleibt der Sockel leer.

Vor dem Postgebäude in Barcelona klafft eine Lücke. Der Sockel des Denkmals ist leer. Bis vor wenigen Jahren stand darauf eine überlebensgroße Statue von Antonio López y López (1817-1883), seines Zeichens Graf von Comillas, Gründer einer transatlantischen Schifffahrts- und einer Eisenbahngesellschaft, Großinvestor für eine der wichtigsten damaligen Banken – und Sklavenhändler. Das Denkmal wurde 2018 nach Protesten von SOS Rassismus auf Initiative der linken Stadtregierung entfernt, der Platz umbenannt. Es war eine der wenigen vergangenheitspolitischen Initiativen zum Thema Sklaverei und Sklavenhandel in Spanien. Der Platz trägt jetzt den Namen Idrissa Diallos, eines jungen Mannes aus Guinea, der nach seiner Flucht nach Europa im Jahr 2012 unter ungeklärten Umständen in einem spanischen Internierungslager starb.

José-Miguel Sanjuan steht vor der Gedenktafel, auf der die Geschichte des Platzes zusammengefasst ist. Der Wirtschaftshistoriker gehört zu dem Forschungsteam, das sich seit Jahren mit der Geschichte der Sklaverei und der Rolle von Barcelonas damaligen und heutigen Wirtschafseligen beschäftigt. »Das Erbe der Kolonialzeit ist in Barcelona überall greif- und sichtbar«, sagt er. »Aber kaum jemand weiß davon.«

Der Spaziergang durch Barcelonas Altstadt beginnt am oberen Ende der Rambles. Unter den Platanen schieben sich Touristen und Reisegruppen aus den Kreuzfahrtschiffen entlang. Durch die Luft schwirrt ein Kauderwelsch aus Englisch-, Deutsch-, Italienischbrocken; dazwischen hört man ab und zu etwas Spanisch und ganz selten Katalanisch. Die repräsentativen Bürgerhäuser, die die Flaniermeile säumen, wurden größtenteils Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut. Das nötige Geld dazu hatten viele Erbauer in den spanischen Kolonien verdient, durch Handel mit Zucker, später auch Tabak – und Sklaven. Zwar war der transatlantische Sklavenhandel seit 1821 auf Grundlage eines bilateralen Abkommens zwischen dem spanischen Königreich und der britischen Krone verboten, aber noch bis weit in die 1880er wurden versklavte Menschen verschifft und verkauft – allein zwischen 1820 und 1866 mindestens eine halbe Million. Ihre Arbeitskraft war einer der »Rohstoffe«, mit dem die begehrten Luxusgüter gewonnen wurden, und Grundlage für den Reichtum der »indianos«, wie die spanischen Glückssucher in den Kolonien genannt wurden.

Menschen unterlagen der gleichen Verwertungslogik wie heute Kühe und Schweine

José Miguel Sanjuan zitiert aus dem Gedächtnis eine Statistik von 1853/54. »Von den 50 damals reichsten Katalanen waren 15 ›indianos‹ – und elf davon hatten ihr Geld mit Sklavenhandel gemacht.« Vor der Rambla 109 bleibt er stehen. Die neoklassizistische Fassade ist mit Statuen griechischer Götter und vor Blumen überquellenden Füllhörnern verziert. »Compañía General de Tabacos de Filipinas« steht über einem Seiteneingang. Die ehemalige Tabakfabrik war eines der letzten Unternehmen von Antonio López y López. Schräg gegenüber befindet sich der Palau Moja, die majestätische Familienresidenz des einst reichsten Mannes Kataloniens. Im Laufe seines Lebens investierte der ursprünglich aus Kantabrien stammende Geschäftsmann in ein ganzes Netzwerk aus Unternehmen. Die Grundlage dafür bildeten die Gewinne aus dem Handel mit Menschen. Ein einträgliches und florierendes Geschäft: Hatte López y López 1844 noch 33 Menschen ge- und verkauft, waren es 1851 bereits 399. Der Bedarf auf den kubanischen Zuckerplantagen war groß, die Lebenszeit eines Sklaven mit durchschnittlich fünf bis sieben Jahren gering.

Von einer »Intensivwirtschaft« spricht der Historiker: Der Vergleich mit der heutigen Landwirtschaft klingt zynisch, aber der Begriff ist mit Bedacht gewählt. Menschen unterlagen der gleichen Verwertungslogik wie heute Kühe oder Schweine. »Sklaven waren ganz einfach Teil des kapitalistischen Produktionssystems. In Frage gestellt hat das niemand – am allerwenigstens aus menschenrechtlichen Überlegungen«, sagt Sanjuan. Das spanische Königreich tolerierte die illegale Praxis: Ohne das Geld, das von der Zuckerinsel in die Metropole floss, wäre auch die Wirtschaft im Heimatland gefährdet gewesen. Und im prosperierenden Barcelona waren die einflussreichen Geschäftsmänner aus Übersee gern gesehen. Man zeigte sich mit ihnen in den Logen des Opernhauses Liceu, dem damaligen Treffpunkt der High Society, und bewunderte sie für ihr großzügiges Mäzenatentum.

800 Meter meerwärts auf den Rambles, in einer Seitenstraße, fotografieren ein paar Touristen die beiden schmiedeeisernen Eingangstore des Palau Güell, auf denen sich Tiere, Pflanzen, Symbole kunstvoll ineinander winden. Das Stadtpalais mit der beindruckenden Veranda in der Beletage gehört zu den ersten Wohnhäusern, die Antoni Gaudí geschaffen hat – für den Textil-Industriellen Eusebi Güell, der zeitlebens sein wichtigster Förderer sein sollte.

Auch Joan Güell, Eusebis Vater, war auf Kuba reich geworden. Der Gaudí-Mäzen selbst hatte Luisa Isabel, die älteste Tochter des Sklavenhändlers López y López geheiratet. Sie war die einzige von López vier Kindern, die selbst Nachwuchs bekommen sollte. Ihre Familie wurde somit zur Gesamterbin des Vermögens des reichsten Mannes der Stadt. Eine direkte Verwicklung der Güells in den Sklavenhandel konnten Historiker trotz Indizien nicht nachweisen, aber die Quelle des Gelds ist eindeutig – und die einflussreiche Familie setzte nachweislich auch in ihren Besitztümern versklavte Menschen als Arbeitskräfte ein.

»Die Nachfahren der damaligen Unternehmerfamilien gehören noch heute zu den Eliten«

Der Palau Güell ist Teil des Standardprogramms der meisten Besucher. Und der Palau Moja ist heute ein öffentliches Gebäude, die Regionalregierung stellt Besuchern dort die katalanische Kultur vor. Beides eigentlich also ideale Orte, um an die Verwicklung in den Sklavenhandel zu erinnern. Doch Plaketten, die von den ehemaligen Besitzern erzählen, sucht man vergeblich. Das Personal am Eingang zuckt auf Nachfragen irritiert mit den Schultern. Während in den USA und auch in Frankreich schon länger über die Folgen der Sklaverei öffentlich diskutiert wird, ist das Kapitel in Spanien immer noch weitgehend unbekannt. »Die Nachfahren der damaligen Unternehmerfamilien gehören noch heute zu den führenden Eliten«, erzählt der Historiker. Ihr Interesse an einer Aufarbeitung ist gering. Zugang zu den Familienarchiven gewähren nur wenige. »Sie wollen nicht, dass der Name ihrer Familie beschmutzt wird, oder sie sind tatsächlich davon überzeugt, dass ihre Vorfahren damit nichts zu tun hatten«, so Sanjuan.

Auch wenn das Thema historiographisch inzwischen gut erforscht ist, ist es im öffentlichen Bewusstsein kaum verankert. Das ist kein Zufall: Katalonien war einer der wirtschaftlichen Motoren Spaniens. Aus der im Vergleich zum restlichen Spanien raschen Industrialisierung speist sich ein beträchtlicher Teil des katalanischen Selbstbewusstseins. Daran zu kratzen, geziemte sich einfach nicht – vor allem nicht zu einem Zeitpunkt, in dem durch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung der Dauerkonflikt mit dem Zentralstaat verstärkt aufbrach. Sanjuan zitiert das Bonmot eines Kollegen: »›Ein unterdrücktes Volk kann nicht selbst Unterdrücker sein‹ – dieses Mindset prägt.« Dabei waren Industrialisierung und Sklavenhandel eng miteinander verknüpft. Finanziert wurden industrielle Großprojekte wie der Bau der ersten Eisenbahnstrecke auf dem spanischen Festland über den Banco de Barcelona. Und die wichtigsten Aktionäre des Finanzinstituts waren mit Menschenhandel reich geworden. Ohne ihr Geld wäre Kataloniens Aufstieg zur Industrienation womöglich anders verlaufen.

Am Fuß der Ramblas weist eine Kolumbus-Statue Richtung Meer, auch sie ein Hinweis darauf, welche Bedeutung die Überseekolonien für Barcelonas Bourgeoisie hatten. Zehn Minuten Fußweg entfernt, am Pla de Palau, erstreckt sich ein Gebäude über einen gesamten Häuserblock. Wegen des berühmten Paella-Restaurants »Set Portes«, das unter seinen Arkaden residiert, ist die Adresse stadtbekannt. Doch auf die Reliefs an der Fassade achtet kaum ein Gast. Auf einem schleppen dicke Engelchen Fässer von einem Schiff. Auf einem anderen schneiden Putten Bündel Zuckerrohr. Pittoreske Szenen, die eine andere Lesart bekommen, wenn man sie in den Kontext setzt. Denn natürlich handelt es sich dabei in Wahrheit um Sklaven. Zwischen den Portalen prangt das Portrait eines Mannes mit afrikanischen Zügen, auf dem Kopf ein federverzierter Turban. Josep Xifré i Cases hatte das Gebäude 1830, inspiriert von den Pariser Luxusmeilen, erbauen lassen. Wie viele andere war auch er auf Kuba in wenigen Jahren zum Millionär geworden, durch Zucker-, Kaffee- und Sklavenhandel. Mit seinem Vermögen finanzierte er auch Theater und Hospitäler. Die Hintergründe des Reichtums des einflussreichen Mäzens zu akzeptieren, fällt in Spanien schwer.

Als der Pay-TV-Sender Canal Historia kürzlich eine Dokumentarreihe zum Thema Sklaverei in Spanien veröffentlichte, für die auch Sanjuan und andere Forscher interviewt worden waren, häuften sich in den Kommentarspalten Bemerkungen wie »Alles Lüge!« und »Nestbeschmutzer«. Von einer Rückkehr der »schwarzen Legende« war die Rede, vom vor allem im angelsächsischen Raum verbreiteten Klischee eines rückständigen Spanien: ein Zerrbild, das vor allem Spaniens Konservative immer noch in Rage bringt. José-Miguel Sanjuan seufzt. »Es geht uns nicht darum, irgendwelche Namen in den Schmutz zu ziehen. Wir wollen lediglich aufzeigen, wie der Reichtum aus dem Sklavenhandel die wirtschaftliche Entwicklung mitbedingte«, betont er. Nur so könne man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und bis heute existente rassistische Stereotype erkennen und hinterfragen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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