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Linksfraktion hat Eskalation abgewendet

Nach Debatte um Wagenknecht-Rede: Linksfraktion einigt sich auf Beschluss zur Bindung an Programmatik

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.
Ringt um Machterhalt: Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Ringt um Machterhalt: Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Auch nach dieser kontroversen, gewiss nervenaufreibenden Debatte hatte Jan Korte seinen Humor noch nicht verloren. Es war kurz nach 17 Uhr am Dienstag, als der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion vor die Presse trat. Mehr als zweieinhalb Stunden hatten die Abgeordneten zuvor darüber beraten, wie mit der Kritik nach der umstrittenen Rede von Sahra Wagenknecht umzugehen ist. Nun stand Korte da und umschrieb die Stimmung in seiner Partei mit einer Bildsprache, die zum Schmunzeln anregte. »Das ist kein Hippie-Stuhlkreis gewesen«, sagte er mit Blick auf die innerparteilichen Kontroversen. Aber es gebe »keine Verletzten«.

Immerhin: Die Linksfraktion hat sich trotz aller Konflikte wieder ein Stück weit zusammengerauft, die befürchtete Eskalation ist ausgeblieben. Die Abgeordneten beschlossen mit großer Mehrheit einen Antrag des Fraktionsvorstands, mit dem sie sich an die eigene Programmatik binden. Grundlage für die Arbeit der Bundestagsmitglieder bildeten demnach »das Parteiprogramm, das Wahlprogramm und die Beschlüsse der Parteitage«. Die »grundgesetzlich garantierte freie Mandatsausübung« bleibe dabei »gewährleistet«. Der Fraktionsvorstand solle zudem sicherstellen, dass Redner*innen »grundsätzlich die Mehrheitsmeinung der Fraktion« vortrügen.

Der Beschluss klingt zunächst nach einer Selbstverständlichkeit, er wirkt – entkontextualisiert betrachtet – geradezu überflüssig. Was, wenn nicht die eigene Programmatik, sollte die Grundlage für die Arbeit einer Bundestagsfraktion bilden? Jedoch war Wagenknecht vorgeworfen worden, in ihrer Rede zum Energiehaushalt mit der Behauptung, der Westen habe einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun gebrochen, die russische Verantwortung für den Krieg in der Ukraine relativiert und damit gegen die Beschlüsse des Erfurter Parteitags verstoßen zu haben. Daraufhin hatten acht Abgeordnete einen Antrag in die Fraktionssitzung eingebracht, in dem sie die Rede kritisierten und Konsequenzen forderten. Dieser Antrag wurde am Dienstag durch den des Fraktionsvorstands ersetzt. Es gab Streichungen, aber auch Erweiterungen: So tauchte der Name Wagenknecht nicht mehr auf, zugleich verpflichteten sich die Abgeordneten zur Beteiligung an parlamentarischer Arbeit, beispielsweise zur Teilnahme an Sitzungen von Ausschüssen. Eigentlich ist auch das selbstverständlich, doch Wagenknecht wird immer wieder vorgeworfen, ihre Zeit vor allem für das Verfassen von Büchern und Auftritte in Talkshows zu verwenden und die parlamentarische Arbeit schleifen zu lassen. So ist Wagenknecht nur stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss. Der Antrag ist also natürlich eine Reaktion auf ihre Rede, auch wenn das zumindest buchstäblich nicht ersichtlich ist.

Ironie des Schicksals: Wagenknecht selbst war am Dienstag gar nicht vor Ort, sondern nur zugeschaltet, weil sie sich bereits auf den Weg nach Hamburg zu »Markus Lanz« begeben hatte. Als dann der Antrag des Fraktionsvorstands zur Abstimmung gestellt wurde, kamen die wenigen Gegenstimmen nach übereinstimmenden Aussagen aus dem Wagenknecht-Lager. Hinterher interpretierten die unterschiedlichen Lager den Beschluss auf jeweils eigene Weise: Christian Leye, der Wagenknecht nahesteht, betonte die Freiheit des Mandats, während Caren Lay, die zu den ursprünglichen Antragssteller*innen zählte, die Bindung an die Programmatik hervorhob. 

Derweil wirkte Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch fürs Erste erleichtert. »All die Prophezeiungen von Endspiel, Chaos sind nicht eingetreten«, sagte er. Er hatte zuletzt immer wieder vor einer Spaltung der Linken gewarnt. Diese ist bislang nicht eingetreten, steht aber gerade mit Blick auf das Abstimmungsverhalten weiter im Raum. Das weiß wahrscheinlich auch die Fraktionsführung, jedoch ringt Bartsch auch um seine eigene Macht und beschwört deshalb die Einheit der Partei. Interessant ist aber: Der Pakt mit den Wagenknecht-Leuten scheint etwas aufzubrechen, während die ursprünglichen Antragssteller*innen, die diesem Fraktionsbündnis kritisch gegenüberstehen, dem Antrag des Fraktionsvorstands nach Aussage von Lay »einstimmig zugestimmt« hätten. Man könnte auch sagen: Bartsch hat sich – nachdem er selbst in den letzten Tagen massiv unter Beschuss geraten war – auf die acht Wagenknecht-Kritiker*innen zubewegt.

Auch ein Brief von insgesamt neun Landesverbänden hat den Druck noch einmal verstärkt. Darin steht: »Unsere Reden und Auftritte müssen so sein, dass sie weder einer jubelnden AfD, deren Programm Entsolidarisierung ist, noch der Propaganda Putins in die Hände spielen.« Die Rechtsradikalen hatten Wagenknecht bei ihrer Rede lauten Beifall gespendet. Bartsch wurde nach der Fraktionssitzung zu dem Brief befragt. »Ich kenne den nicht. Von neun Landesverbänden? Meiner ist bestimmt nicht dabei«, plauderte er. Falsch! Auch Mecklenburg-Vorpommern hat unterschrieben, wie alle Länder, in denen die Linke mitregiert: Thüringen, Berlin, Bremen.

Aber auch Lay und Co. mussten sich bewegen. Ihre Kritik an Wagenknecht ist in dem neuen Antrag nicht mehr enthalten. Dass sie die offene Konfrontation vermieden, mag neben der Tatsache, dass die Bindung an Parteibeschlüsse und parlamentarische Arbeit unmissverständlich formuliert ist, auch ein taktischer Schachzug sein: sich mit Bartsch verbünden, um dessen Pakt mit Wagenknecht aufzubrechen. Bartsch wiederum dürfte kein Interesse daran haben, Wagenknecht loszuwerden, wohl aber daran, den Unmut gegen seine eigene Person zu dämpfen. Nun kann er die breite Mehrheit für den Antrag als Erfolg für sich verkaufen. Und das Wagenknecht-Lager? Sieht sich nun auch in der Fraktion offenbar zunehmend isoliert.

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