Bochum: »Villa Kunterbunt« nach 44 Jahren Besetzung geräumt

Stadt Bochum räumt »Villa Kunterbunt« und bietet sie Ex-Besetzer*innen zum Kauf an

Mit nächtelangen Mahnwachen leisteten die Besetzer*innen symbolisch Widerstand gegen die Räumung.
Mit nächtelangen Mahnwachen leisteten die Besetzer*innen symbolisch Widerstand gegen die Räumung.

Möglicherweise war die »Villa Kunterbunt« das am längsten besetzte Haus in Deutschland. Seit 1981 jedenfalls lebten Besetzer*innen in der ehemaligen Direktorenvilla der Westfälischen Drahtwerke im Bochumer Stadtteil Langendreer. Damit ist seit Donnerstagmittag Schluss. Nach wochenlangen juristischen Auseinandersetzungen wurde die Besetzung beendet. Heute sind Fenster und Türen des Hauses mit Sperrholzplatten verschlossen.

Die Situation der Villa war schon lange kurios. In einem großen Teil des Hauses lebten die Besetzer*innen, eine einzelne Wohnung wurde von einem älteren Ehepaar bewohnt, das seine Miete brav an die Stadt Bochum zahlte. Die Stadt ist nämlich Eigentümerin der Villa. Vor Jahren hat sie zwar mal einen Beschluss gefasst, das Grundstück zu verkaufen, umgesetzt hat sie ihn bislang aber nicht.

Jedoch interessiert sich die Stadt seit einigen Monaten wieder für die kunterbunte Villa. Ein Streit zwischen Mieter*innen, die seit 1975 in dem Haus leben, und Besetzer*innen, der in der Lokalpresse ausgetragen wurde, war wohl der Anlass für die neue Aufmerksamkeit auf städtischer Seite. Eine Aufmerksamkeit mit negativen Folgen, sowohl für Mieter*innen als auch Besetzer*innen. Im November verschickte die Stadt eine Ordnungsverfügung an die Bewohner*innen. Sie sollten die Villa verlassen, diese habe Brandschutzmängel, es fehle an Rettungswegen und es gebe eine gesundheitsgefährdende Schimmelbildung. Das Gebäude sei unbewohnbar. Die Bewohner*innen, Mieter*innen wie auch Besetzer*innen, wehrten sich gegen die Räumungsandrohung. Dabei erzielten sie Zwischenerfolge, scheiterten aber vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Das entschied Ende vergangene Woche, dass die Villa erhebliche Brandschutzmängel habe und das Leben der Bewohner*innen in Gefahr sei. Die Ordnungsverfügung zur Räumung sei somit rechtmäßig.

Am Donnerstag wurde die Besetzung der »Villa Kunterbunt« beendet.
Am Donnerstag wurde die Besetzung der »Villa Kunterbunt« beendet.

Versuche der Besetzer*innen und ihres Anwalts, die Räumung weiter hinauszuzögern, erwiesen sich als nicht erfolgreich. Der letzte Versuch der Besetzer*innen: Sie boten der Stadt an, die Villa zu kaufen. Die Stadt Bochum zeigte sich dafür grundsätzlich gesprächsbereit, machte jedoch klar, dass sie keine Gespräche führe, wenn die Räumung unfriedlich verlaufen sollte. Das führte dazu, dass sich am Donnerstag alle Besetzer*innen und Unterstützer*innen vor dem Haus bei einer Mahnwache befanden.

Das Angebot, dass es nun von der Stadt gibt, sieht auf den ersten Blick gut aus. Für nur einen Euro will sie die Villa verkaufen. Allerdings hat das Angebot gleich zwei Haken. Die Stadt verlangt eine Finanzierungszusage in Höhe von einer Million Euro für die Sanierungsmaßnahmen. Außerdem sollen die Besetzer*innen erst wieder in das Haus einziehen dürfen, wenn die Sanierungen abgeschlossen wurden. Eine Auflage, die ihnen nicht gefällt. Sie wollen in Teilen des Hauses, die sie als nicht brandgefährdet einschätzen, leben und die Sanierung in Eigenregie weiterführen.

In der Lokalpolitik muss sich die Bochumer Verwaltung nun einige unangenehme Fragen stellen lassen. Etwa, wie sie das Haus, das sich in ihrem Besitz befindet und sogar denkmalgeschützt ist, so verfallen lassen konnte. Die Linke wüsste gerne »warum zunächst gegen die Bewohner*innen und nicht gegen die Stadt selbst vorgegangen wurde«, schließlich ist sie für den Zustand des Gebäudes verantwortlich. Die den Besetzer*innen gestellten Kaufbedingungen hält die Partei für »kaum erfüllbar« für ein selbstverwaltetes Projekt und mahnt die Stadt an, »eine realistische Lösung« mit den Bewohner*innen zu erarbeiten. Die Besetzer*innen jedenfalls hätten Lust, zu Besitzer*innen zu werden.

Auf der Seite bo-alternativ.de gibt es eine Dokumentation über die Zeit der Besetzung 1981 im PDF-Format.

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