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Wohnzimmer statt Krankenhaus
Die »BB Gårda« ist ein komplett von Hebammen geführtes Geburtshaus in Schweden. Finanzielle Probleme sorgten für einen holprigen Start
Auf dem Tisch einer weiträumigen, offenen Küche steht eine Obstschale, nach der kleine Hände greifen. Wir befinden uns nicht etwa in der Wohnung einer Familie, sondern in der BB Gårda – Abkürzung für das schwedische Wort für Geburtshaus und dem zentral gelegenen Stadtteil Gårda, in dem die Einrichtung liegt – das erste Geburtshaus in Göteborg. Die Hände gehören dem Kleinkind von Sara Holm. Die 39-Jährige ist alleinerziehend und arbeitet im Geburtshaus als Hebamme.
Diesen Job macht sie leidenschaftlich gern. »Ich habe Gender Studies studiert und anschließend nach einer praktisch-feministischen Arbeit gesucht.« In Schweden, so Holm, helfen Hebammen Schwangeren nicht nur, Kinder auf die Welt zu bringen, sondern auch selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden und abzutreiben. Außerdem klären sie über Geschlechtskrankheiten und sexuelle Rechte auf. »Darauf liegt in Schweden ein großer Fokus«, sagt sie.
Das Geburtshaus BB Gårda, hebammengeführt und ohne Ärzt*innen im Team, wurde 2024 eröffnet. Frauen, die in Schweden nicht im Krankenhaus gebären wollen, bekamen bis dahin ihre Kinder zu Hause. Nur etwa 100 Kinder pro Jahr werden in Schweden so geboren. In Deutschland gibt es 140 Geburtshäuser. Die meisten der außerklinischen Geburten in Deutschland finden in einem Geburtshaus statt. Obwohl auch in Deutschland nur eines von 100 Kindern nicht im Krankenhaus zur Welt gebracht wird, wird die Nachfrage seit 20 Jahren größer.
Im Moment befindet sich Sara Holm in Elternzeit. Davor hat sie nicht nur im Geburtshaus gearbeitet, sondern auch im Östra Sjukhuset, der einzigen Geburtsklinik Göteborgs. Göteborg ist die zweitgrößte Stadt Schwedens und hat mit dem Umland etwa eine Million Einwohner*innen. Der Arbeitsalltag im Krankenhaus gestaltet sich stressig: zwischen verschiedenen Patient*innen hin und her springen oder Untersuchungen durchführen, die Holm als unnötig ansieht, zum Beispiel den vaginalen Ultraschall. Als Hebamme habe sie ein anderes Verständnis davon, was es heißt, Schwangere zu begleiten.
Gemütlich statt steril
Ein völlig anderes Arbeitsumfeld fand sie dagegen in der BB Gårda vor. Die Räume, in denen die Geburten stattfinden, sähen aus wie private Schlafzimmer, wenn da nicht die große Badewanne in der Ecke wäre. Viele der Geburten finden in einem Geburtspool statt. Auf einem Poster an der Wand sind Frauen in verschiedenen Gebärpositionen zu sehen. Diese hat Cita Lundin, eine der Gründerinnen und Leiterin des Hauses, selbst gemalt. »Es war mir wichtig, diverse Frauenkörper dazustellen«, sagt sie.
Die Hebammen übernachten vor und während einer Geburt in der Praxis. »Das ist kein Wartezimmer, sondern unser Wohnzimmer«, so Lundin, die wie Holm Hebamme und Krankenschwester ist. Deshalb vermeiden sie alle klinischen Begriffe. Babypuppen und ein White Board stehen für Geburtskurse bereit. Die Hebammen sind an Ort und Stelle, sobald bei einer Schwangeren die Wehen beginnen. Im Krankenhaus wird eine Wöchnerin dagegen erst nach der Latenzphase aufgenommen, also nachdem der Muttermund bereits vier bis sechs Zentimeter geöffnet ist.
Auch Holm hat ihr Kind zu Hause statt im Krankenhaus zur Welt gebracht. Sie wollte in einer ihr bekannten Umgebung nur im Kreis ausgewählter Personen gebären, ohne von einer Station auf die nächste überwiesen zu werden. »Ich wollte die Geburt wirklich erleben.« Holm wusste bereits vor der Geburt, dass sie keine weiteren Kinder bekommen wird. Auch deshalb wollte sie, dass die Geburt genau nach ihren Vorstellungen abläuft. Und das ging ihrer Meinung nach am besten zu Hause.
Holm und Lundin haben vor ihrer Spezialisierung auf den Hebammenberuf eine Krankenschwesterausbildung absolviert. Das ist Voraussetzung für alle, die in Schweden als Geburtshelfer*innen arbeiten wollen. Auch abseits von Geburtshäusern haben Hebammen in Schweden eine größere Verantwortung als in Deutschland.
Wer schwanger ist, geht zur Hebamme, nicht zur Gynäkologin. Erst bei Problemen wird eine Ärzt*in hinzugezogen. Wer sich für eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus entscheidet, muss bei Komplikationen ins Krankenhaus gefahren werden. Um dies möglichst zu vermeiden, sollen in der BB Gårda, genau wie in deutschen Geburtshäusern, nur Frauen mit einer risikoarmen Schwangerschaft entbinden. Deshalb finden bis zu sieben Vorgespräche statt, so Lundin. Es soll sichergestellt sein, dass eine Entbindung zu Hause oder im Geburtshaus wirklich das Richtige ist. Die Schwangere soll dabei verstehen, dass ein Gebären im Geburtshaus bedeutet, dass es keine Schmerzlinderung über eine Rückenmarksbetäubung per PDA oder Lachgas gibt.
»Es war krass, dass man die Bewegungen so spüren konnte. Ich habe mein Kind selbst auf die Welt gebracht.«
Lisette Lindberg
Wird ein Kind vor der 37. Woche geboren, ist das ebenfalls nicht im Geburtshaus möglich. Das Gleiche gilt für Geburten, die nach der 42. Woche eingeleitet werden müssen, bei Bluthochdruck, Diabetes oder einem ungewöhnlich kleinen Baby, bei Mehrlingsgeburten oder einer anderen Abweichung von der Norm.
Hitzige Debatte
Vor allem unter Ärzt*innen brach in Schweden eine hitzige Debatte rund um das erste Geburtshaus im Land aus. Nur wenige Minuten könnten über Leben und Tod entscheiden, hieß es in den Kommentarspalten eines Artikels im schwedischen Fachblatt »Ärztezeitung«. Ein anderer Kommentar formulierte gar: »Stoppt diesen Wahnsinn!«
Der Oberarzt Mårten Alkmark vom Universitätsklinikum in Göteborg sagte gegenüber der schwedischen Zeitung »Dagens Nyheter«, auch bei einer normalen, risikoarmen Geburt könne das Timing entscheidend sein. Zum Beispiel, wenn sich der Mutterkuchen während der Entbindung löse oder die Nabelschnur eingeklemmt werde. In beiden Fällen könne das zu Sauerstoffmangel beim Kind führen. Dann müsse die Entbindung oft sehr schnell gehen und die Zeit für eine Überführung ins Krankenhaus werde knapp.
Anneli Falk, Geschäftsführerin der Geburtshilfe, gibt an, dass aus Sicht der Uniklinik jegliche Entbindung in einem Geburtshaus mit einer Hausgeburt gleichzusetzen sei. Sie wolle nicht darüber spekulieren, welche Risiken mit einer solchen Geburt verbunden sind. Sie könne nur sagen, was eine Entbindung in ihrem Krankenhaus ausmache: »Bei uns fördern wir die normale Geburt und arbeiten dafür, dass Frauen in einer Umgebung gebären können, die ihre Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt.«
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Die jeweilige Region entscheidet in Schweden darüber, ob die Kosten von Hausgeburten durch die gesetzliche Versicherung übernommen werden. In der Region Västra Götaland, in der Göteborg liegt, werden sie nicht übernommen. Eine Geburt in der BB Gårda kostet rund 5000 Euro. Trotzdem sind Frauen bereit, dafür sogar aus Nordschweden mit dem Flugzeug anzureisen. Cita Lundin sagt, ihre Kund*innen seien überwiegend sehr gebildete Frauen: Technikerinnen, Psychologinnen, Ärztinnen und Krankenschwestern.
Mangel an Alternativen
Eine, die noch vor der Eröffnung eine Hausgeburt mit einer der Hebammen aus dem Team durchgeführt hat, ist Lisette Lindberg. Die Fränkin wohnt seit elf Jahren in Göteborg und hatte ihr erstes Kind im Krankenhaus in Göteborg geboren. Als der Geburtstermin für ihr zweites Kind anstand, suchte sie nach einer Alternative – in erster Linie, weil ihr erstes Kind im Krankenhaus nicht während der Geburt dabei sein konnte. Sie googelte »Geburtshaus Schweden« – und stellte fest, dass es bisher keines gab.
Bei der weiteren Internetrecherche stieß sie auf das Hebammenteam, das später die BB Gårda mit aufbaute. Die Hebammen schienen ihr sympathisch, und sie entschied sich mangels Alternative für eine Hausgeburt. »Ich bin sonst gar nicht der Typ für so etwas«, sagt Lisette. Dass eine Hebamme und eine von ihr selbst gewählte und bezahlte Doula, eine Frau, die der werdenden Mutter während der Schwangerschaft und der Geburt beisteht, während der ganzen Zeit für sie zuständig waren, statt wechselnde Hebammen im Krankenhaus, war für sie ein großer Vorteil.
Negative Stimmen für ihren alternativen Geburtsweg habe Lindberg vor allem im Krankenhaus erlebt. Während der schwedische Teil ihrer Familie nur etwas skeptisch war, wurde sie beim Abholen der Medikamente für die Hausgeburt im Krankenhaus gefragt, ob sie sich der Entscheidung wirklich sicher und des Risikos bewusst sei. Ängste, dass etwas schiefgeht, hatte sie nicht, denn von den Risikofaktoren, die gegen eine Hausgeburt sprechen, sei sie selbst nicht betroffen gewesen.
Am Ende habe sie ihre zweite Geburt zu Hause im Gegensatz zur ersten als sehr ermächtigend empfunden: »Es war krass, dass man die Bewegungen so spüren konnte. Ich habe mein Kind selbst auf die Welt gebracht.« Eine wirkliche Alleingeburt, also eine Geburt ganz ohne medizinisches Personal, wäre auch ihr allerdings zu hart gewesen.
18 Geburten haben in der BB Gårda seit der Eröffnung 2024 stattgefunden. Allerdings war die Praxis in dieser Zeit insgesamt sieben Monate geschlossen. Jemand hatte die Einrichtung wegen Mängeln im Brandschutz angezeigt. Sie zu beheben, war für Lundin so teuer, dass sie ihr fest angestelltes Personal gehen lassen musste und nun nur noch einige Mitarbeiterinnen auf Stundenbasis beschäftigt. Doch sie ist von der Idee so überzeugt, dass sie selbst ehrenamtlich in Vollzeit weiter das Geburtshaus führt. »Wir hoffen auf viele weitere Entbindungen«, so Lundin.
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