- Wirtschaft und Umwelt
- Energiepreiskrise
Die Wirtschaft ist skeptisch
Der Unternehmenslobby sind die staatlichen Hilfen in der Energiepreiskrise zu gering
»Es sind harte Zeiten«, lässt sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zitieren. Der Staat müsse nun »alle Finanzkraft« aufbringen, die nötig sei, um die Volkswirtschaft durch diese Krise zu leiten, erklärt der Grünen-Politiker. Die Bundesregierung wolle damit zugleich die »Planungssicherheit verbessern«. Doch Mittelstand und Industrie zeigen sich angesichts des unübersichtlichen Maßnahmenbündels verunsichert.
Die Bundesregierung hat auf die – bereits vor dem Ukraine-Krieg – steigenden Preise bisher mit drei Entlastungspaketen reagiert. Das Finanzministerium beziffert das Volumen auf insgesamt rund 95 Milliarden Euro. Das ist viel Geld, das großteils auf direkten und indirekten Wegen vor allem an die Bürger fließen soll. Es kommt allerdings auch den Unternehmen zugute, weil dadurch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stabilisiert wird. Dennoch fielen nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums die früheren Corona-Hilfen (bislang) für die Wirtschaft üppiger aus als das, was im Rahmen der Entlastungspakete bisher geplant ist.
Schon das erste und zweite Entlastungspaket enthielten kaum Schritte, die Unternehmen erreichten. So wurde die Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate gesenkt. Wie weit diese Steuersenkung von den Mineralölkonzernen an Autofahrer und Speditionen weitergegeben wurde, ist umstritten. Für das jetzt schon legendäre 9-Euro-Ticket überwies der Bund im Sommer etwa 2,5 Milliarden Euro an die Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs.
Das dritte und mit 65 Milliarden Euro umfangreichste Entlastungspaket – etwa 20 Milliarden davon sollen die Länder stemmen – wurde Anfang September von den Koalitionsparteien vorgestellt. Es umfasst zahlreiche steuerliche Maßnahmen wie eine Home-Office-Pauschale und soll strukturelle Veränderungen auf den Weg bringen, um Entwicklungen bei den Energiepreisen zu dämpfen. Dazu gehört die Förderung des Ausbaus von Photovoltaikanlagen – ab Januar. Jedoch hängt das dritte Paket im parlamentarischen Prozess fest, da die Länder entlastet werden wollen. »Der Bund muss sich bewegen«, fasste Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Erwartungen der Länder zusammen.
Einige Entlastungsmaßnahmen hat das Bundeskabinett am 14. September mit dem Entwurf zum Jahressteuergesetz vorangebracht, ein gesondertes Maßnahmenpaket soll Unternehmen stützen. »In dieser Situation gilt es, Strukturbrüche in der Wirtschaft zu vermeiden«, heißt es im Monatsbericht des von Christian Lindner (FDP) geführten Bundesfinanzministeriums ähnlich wie bei dem grünen Minister Habeck.
So wird das Kurzarbeitergeld verlängert, das in der Corona-Pandemie erheblich zur Beschäftigungssicherung beitrug. Auch die Absenkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent wird verlängert. Für besonders energieintensive Unternehmen wird eine Entlastung von rund 1,7 Milliarden Euro bereitgestellt: Dieser »Spitzenausgleich« soll rund 9000 Firmen über den Winter helfen. Daneben werden bestehende Hilfsprogramme zunächst bis zum 31. Dezember fortgeführt. Im Mittelpunkt steht hier wieder einmal die staatliche Förderbank KfW. Ihre Stützungsmaßnahmen für Unternehmen dürften erneut auf Rekordniveau steigen: Allein im ersten Halbjahr hat sie mit 95 Milliarden Euro schon doppelt so viel ausgereicht wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Dazu gehört beispielsweise das »Sonderprogramm Ukraine, Belarus, Russland«, mit dem die KfW zinsgünstige Kredite für Firmen bereitstellt, die von Krieg oder Sanktionen betroffen sind. Die während der Corona-Pandemie eingeführten Bund-Länder-Bürgschaftsprogramme zur kurzfristigen Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit sollen ausgeweitet werden. Auch Wohnungsunternehmen und Kultureinrichtungen erhalten über die KfW Unterstützung.
Als ein besonders dicker Brocken erweist sich zusätzlich zu den Entlastungspaketen der Beistand für Unternehmen mit Eigenkapital, die von »großer volkswirtschaftlicher Bedeutung« sind. Die zunächst 30 Milliarden Euro, mit denen der Energieversorger Uniper gestützt wird, werden großteils über die KfW finanziert. Gleiches gilt für den Kredit über zehn Milliarden Euro für das Unternehmen Gazprom Germania, das von der Bundesnetzagentur verwaltet wird. Geprüft wird noch, »zukunftsfähige Unternehmen« zu stabilisieren, die ihre Produktion aufgrund einer Gasmangellage oder extremer Energiepreise aussetzen müssen. Das soll beispielsweise Bäckereien und Brauereien helfen.
Die Wirtschaftsverbände bleiben jedoch skeptisch. BDI-Präsident und oberster Industrielobbyist Siegfried Russwurm sieht »erhebliche Mängel und Lücken im Entlastungspaket«. Beispielsweise könnten zwar viele Mittelständler ihre Produktion vorübergehend ohne Gas aufrechterhalten. Doch sie sorgten sich, dass im Falle einer Gasmangellage die Einspareffekte unberücksichtigt blieben. Der Maschinenbauverband VDMA sieht im dritten Paket »mehr Beruhigungspille als konsequentes Maßnahmenbündel«. Dabei hätte es so einfach sein können, die Zahlungsfähigkeit aller Unternehmen zu stützen und gleichzeitig etwas für Investitionen zu tun, etwa durch großzügige Abschreibungen.
Auch der DGB kritisiert die Entlastungen als »zu zögerlich« und fordert einen Energiepreisdeckel. Dieser solle so ausgestaltet werden, dass dennoch ein Anreiz zum Energiesparen bleibt, so der Gewerkschaftsbund. Die Differenzkosten der Energieversorger sollten in vollem Umfang aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Mittlerweile zeichnet sich am politischen Horizont ab, dass die Bundesregierung nun doch wie in mehreren EU-Ländern und Großbritannien die Preise für Strom, Gas und Öl deckeln will. Die Gasumlage, die ab dem 1. Oktober Importeure und Stadtwerke entlasten sollte, dürfte dafür gestoppt werden. Dann zahlen nicht die Gaskunden, sondern alle Steuerzahler für die harten Zeiten.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!