Notfalls besetzen

Initiative für afrikanische Geflüchtete aus der Ukraine soll Räume verlieren

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Harriet Tubman 1820–1913, Freiheitskämpferin« steht auf einem Schild am Eingang der ehemaligen Adlerhalle am Dragoner-Areal in Kreuzberg. Es wurde am Mittwochnachmittag von Aktivist*innen angebracht. »Wir wollen uns damit mit dem Tubman-Network solidarisieren, das die Räume hier zum Monatsende verlieren könnte«, sagt ein Anwohner des Dragoner-Areals. Das Tubman-Network ist ein Berliner Zusammenschluss von Schwarzen Organisationen und Einzelpersonen. Benannt ist es nach der afroamerikanischen Fluchthelferin Harriet Tubman, die im 19. Jahrhundert mehr als 300 versklavten Menschen aus den Südstaaten der USA zur Freiheit verhalf.

Seit Juli dieses Jahres nutzte das Netzwerk die Adlerhalle am Dragoner-Areal als Anlaufstelle für Menschen aus Afrika, die aus unterschiedlichen Gründen in der Ukraine gelebt haben und vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind. Dabei waren sie vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt. »Diese Gruppe ukrainischer Kriegsflüchtlinge fällt größtenteils durch die Raster der Hilfssysteme«, berichtet Kahbit Ebob Enow vom Tubman-Network. Über 2500 Menschen haben das Angebot der Initiative in den letzten sechs Monaten angenommen. Doch ihre Arbeit ist gefährdet, weil unklar ist, ob die Räume weiter zur Verfügung stehen. Der Vertrag für die Adlerhalle endete eigentlich bereits am 31. August, wurde von der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) aber noch einmal um einen Monat verlängert. Ende September stellt sich für das Tubman-Network nun dringend die zukünftige Raumfrage.

Gemeinsam mit Unterstützer*innen und etwa 25 afrikanischen Studierenden, die aus der Ukraine geflohen sind, lud das Netzwerk am Mittwochnachmittag deshalb zu einem Runden Tisch ein. Zahlreiche weitere Initiativen bekundeten ihre Solidarität mit dem antirassistischen Netzwerk, unter anderem das Mietenwahnsinn-Bündnis, zu dem sich zahlreiche Berliner Mieter*innen zusammengeschlossen haben. Auch Anwohner*innen und Nutzer*innen des Dragoner-Areals waren gekommen. Sie alle einte die Forderung, die Uwe von der Initiative »Wem gehört Kreuzberg?« so zusammenfasst: »Wir fordern von der BIM und dem Berliner Senat eine dauerhafte Bleibemöglichkeit für das Tubman-Network« – als schriftliche Zusicherung. Schließlich sei die Initiative schon mehrmals mit Versprechungen hingehalten worden, die dann nicht eingehalten worden seien.

Es wurde daran erinnert, dass die BIM in Berlin über 5000 Immobilien verwaltet und es bis heute keine Information darüber gibt, wie die Halle am Dragoner-Areal weiter genutzt werden soll. Mehrere Aktivist*innen des Tubman-Network erklären, man habe überlegt, wie die große Halle in der kalten Jahreszeit hätte genutzt werden können. Sogar ein finanzielles Budget für Heizmöglichkeiten sei vorhanden gewesen. Doch die Umsetzung der Pläne sei daran gescheitert, dass es von der BIM keine Zusage für einen dauerhaften Verbleib in der Halle gegeben habe. Die Konsequenzen bekamen die Teilnehmer*innen des Runden Tisches im wahrsten Sinne des Wortes zu spüren: Bei den herbstlichen Temperaturen wurden warme Decken verteilt.

Trotz der widrigen Umstände war die Entschlossenheit der Beteiligten groß, das antirassistische Netzwerk beim Kampf um einen Raum zu unterstützen. Sollte die BIM sich nicht auf Verhandlungen einlassen, will man weitere Schritte beraten. »Notfalls müssen wir Räume besetzen«, sagte ein Unterstützer und bekam für diesen Vorschlag viel Unterstützung. Ohnehin wehrt man sich am Dragoner-Areal solidarisch gegen Verdrängung durch hohe Mieten, genau wie gegen rassistische Ausgrenzung. Das wurde an diesem Mittwoch noch einmal deutlich.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal