Fahren mit Klassik, Bügeln mit Rock

Politisch gilt Stephan Weil als Mann der leisen Töne – und hat damit in Niedersachsen Erfolg

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 5 Min.

Soloauftritte auf großer Bühne und Marktschreierei sind nicht seine Sache, Gepolter und Polemik sind ihm fremd. Stephan-Peter Weil liebt auch im Wahlkampf eher die leisen Töne und heimeligen Veranstaltungen. Wohl deshalb hat sich der amtierende – und voraussichtlich auch künftige – niedersächsische Ministerpräsident zusammen mit seinem Kampagnenteam das Format »Auf ein Wort« ausgedacht.

Auf meist kleineren Plätzen und Kirchhöfen in den Städten Niedersachsens erörtert Weil dabei mit den örtlichen SPD-Landtagskandidatinnen und -kandidaten die Lage in der Welt, in Deutschland und in den jeweiligen Wahlkreisen. Die Besucher haben die Möglichkeit, Fragen auf einen Bierdeckel zu schreiben, die der Moderator oder die Moderatorin dann vorliest. Zwischendurch und hinterher gibt es Musik, Bier und Bratwürste vom Grill.

Ob am 1. Oktober in Nordenham und Otterndorf oder am 5. Oktober in Goslar: Dieses Veranstaltungsformat kommt gut an, die Plätze sind gut gefüllt. Hier kann der oft unterschätzte und bisweilen als Langweiler verspottete »MP« punkten und sein Fachwissen in meist ruhigem Ton an die Frau und den Mann bringen, ohne dabei abgehoben oder besserwisserisch zu wirken. »Weil er sowohl über eine sanfte Form der Ironie als auch über die Fähigkeit zuzuhören verfügt, hinterlässt er bei solchen Ortsterminen einigermaßen zuverlässig das Gefühl, ernstgenommen zu werden«, urteilt die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« über ihn.

Überhaupt ist Weil beim Wahlvolk beliebt. Vor allem dank ihm – und entgegen dem Bundestrend – liegt die SPD in Niedersachsen seit Wochen in den Umfragen zwei bis fünf Prozentpunkte vor der CDU. Während die Sozialdemokraten im Bund wieder unter die 20-Prozent-Marke gerutscht sind, können sie in Niedersachsen auf mehr als 30 Prozent hoffen. Würde der Ministerpräsident direkt gewählt, könnte Weil auch mit den Stimmen vieler CDU-Anhänger rechnen.

Zurzeit regieren beide Parteien im Bundesland noch in einer Großen Koalition, sie wollen diese erklärtermaßen aber nicht fortsetzen. Sowohl SPD als auch CDU umwerben die Grünen, denen 16 bis 18 Prozent prognostiziert werden, als künftigen Partner. Von 2013 bis 2017 führte Weil schon einmal eine rot-grüne Koalition an. Sie scheiterte damals am Übertritt einer Grünen-Abgeordneten zur Union.

Um Ausgleich bemüht

Weil kommt am 15. Dezember 1958 in Hamburg auf die Welt. Seine Eltern stammen aus Schlesien, der Vater war Ingenieur, die Mutter Volkswirtin. Von ihr, sagt Weil, habe er seine Leidenschaft für Politik geerbt. 1965 übersiedelt die Familie nach Hannover. Nach Abitur und Zivildienst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beginnt Weil 1978 ein Jurastudium in Göttingen, das er 1986 mit dem Zweiten Staatsexamen abschließt.

Weil ist zunächst als Anwalt in Hannover tätig, später auch als Staatsanwalt und Verwaltungsrichter und schließlich als Jurist bei der Landesregierung. 1994 rückt er zum Ministerialrat im Justizministerium auf. Von 1997 bis Ende Oktober 2006 hat er das Amt des Stadtkämmerers von Hannover inne. Von November 2006 bis Januar 2013 ist Weil dann Oberbürgermeister der Landeshauptstadt. Seit Februar 2013 ist er Niedersächsischer Ministerpräsident. In der SPD, deren Landesvorsitzender er seit 2012 ist, gilt Weil als moderater Rechter, ohne sich auf diesem Parteiflügel zu exponieren, der seinen Fokus unter anderem auf die Wirtschafts- und Industriepolitik richtet. Wie als Regierungschef will er auch in der SPD nicht polarisieren, sondern als Mann des Ausgleichs wahrgenommen werden.

Und er will Zuverlässigkeit beweisen: »Als Ministerpräsident bewerbe ich mich bei der Landtagswahl erneut um Ihr Vertrauen«, schreibt Weil auf seiner Webseite. »Traditionen und Innovationen zu verbinden, die Vielfalt unseres großen Landes anzuerkennen, alle Menschen mitzunehmen – das zeichnet unseren verantwortungsvollen Umgang mit Niedersachsen aus.«

Konsequent sein, aber nicht auf Krawall aus: Das spiegelt sich auch in Weils Verhältnis zur Kirche. Er ist katholisch getauft, tritt Anfang der 1980er Jahre aber wegen der Haltung des Klerus zur Verhütung aus. Er bezeichnet sich aber weiter als gläubigen Christen. »Eine Gesellschaft ohne Kirche mag ich mir nicht vorstellen«, sagt Weil im September der Zeitschrift »Bunte«.

Eine weichgespülte Rede

Richtig in die Negativschlagzeilen gerät Weil nur ein einziges Mal. Das Bundesland Niedersachsen ist mit 20 Prozent der Stimmrechte zweitgrößter Anteilseigner bei Volkswagen. Der Ministerpräsident ist qua Amt Mitglied im Aufsichtsrat des Autobauers. 2015 wird der Konzern vom Abgasskandal erschüttert. Weil gibt dazu eine Regierungserklärung ab. Der VW-Vorstand hat das Manuskript vorab bekommen und kritische Passagen gestrichen. Während Weil erklärt, es habe sich lediglich um eine »Prüfung auf rechtliche Belange und Richtigkeit der genannten Fakten« gehandelt, widerspricht ein anonymer Volkswagen-Mitarbeiter in einem Interview: »Das war kein Faktencheck, wir haben die Rede umgeschrieben und weichgespült.«

Seit 1987 ist Weil verheiratet, das Paar hat einen gemeinsamen Sohn. Weil ist Mitglied bei Verdi, bei der AWO und bei den Rotariern. Er sitzt in den Kuratorien verschiedener Stiftungen und Gesellschaften, übernimmt Schirmherrschaften für kulturelle Großereignisse wie die Göttinger Händel-Festspiele. Selbst hört er nach eigenem Bekunden »auf langen Autofahrten am liebsten Klassik, beim Bügeln lieber Rock«.

»Als Kind wollte ich gerne Profifußballer werden«, verriet Stephan Weil einmal der in Hannover erscheinenden »Neuen Presse«. Es ist anders gekommen. Wenn er Zeit hat, besucht er aber immerhin die Heimspiele von Hannover 96.

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