Tote Tempel

Olga Hohmann entdeckt die Welt der Shopping-Malls

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf einer Säule neben dem Eingang des Apollontempels in Delphi steht, prominent platziert, der Imperativ: »Erkenne dich selbst!« Weniger prominent die Aufschrift einer zweiten Säule, an der hinteren Fassade des Apollontempels: »Nichts im Übermaß!«

»Erkenne dich selbst!« und »Nichts im Übermaß!« – das könnten auch die zwei Faustregeln des gesunden Konsumverhaltens sein. Was auch immer das sein soll. Jedenfalls trifft man in Shopping-Malls, Konsumtempeln also, erstaunlich häufig auf Referenzen zur griechischen Antike. Oft haben sie eine (Glas-)Kuppel und einen im Zentrum des Gebäudes zwischen »Nudel Box« und »Nordsee« platzierten Springbrunnen. Nicht zuletzt der Name des Modeschmuckgeschäfts »Pandora« versucht, dem Shopping-Erlebnis einen hochkulturellen Beiklang zu geben. Nicht nur die Antike muss als Legitimationsgrundlage für die langsam aber sicher aussterbenden Einkaufszentren herhalten, auch »Bijou Brigitte« und »Orsay« versuchen sich mit ihren frankophil klingenden Titeln über Wert zu verkaufen. Es hilft alles nichts: Video killed the radio star – und Online-Shopping die Einkaufstempel.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der pompöseste der an diesen historisch werdenden Orten platzierte Springbrunnen begegnete mir im Weimarer »Atrium«. Das »Atrium« ist eigentlich schon längst eine archäologische Stätte, denn es sollte ursprünglich gar keine Shopping-Mall werden, sondern die »Halle der Volksgemeinschaft«, ein Teil des Ende der 1930er Jahre unter den Nationalsozialisten errichteten »Gauforums«. Die »Halle der Volksgemeinschaft« sollte ein für die kleine Stadt komplett überdimensionierter, repräsentativer Versammlungsort werden – Hitler baute sich seine eigene, gigantische Bühne. Das Projekt wurde nie fertiggestellt – schon Anfang der 40er ging den Nazis die Kohle aus und das Gebäude stand ein halbes Jahrhundert lang als Stahlbetongerippe leer: Bis man sich in den frühen 2000ern ein Herz fasste und es in eine Shopping-Mall verwandelte.

Das »Atrium«, wird von thüringischen Antifa-Kids seit seiner Eröffnung 2009 liebevoll »Arium« genannt. Seine weiß verkleidete Fassade ist mit einem Ausschnitt aus Manets »Frühstück im Grünen« bedruckt – und die Ladenketten, die es dort hineingeschafft haben, sind extrem »underwhelming«: Nicht mal einen »H&M« gibt es. Wenn man allerdings in die oberste Etage des »Ariums« fährt, erlebt man eine Überraschung: Unter einer lichtdurchfluteten Kuppel (fast so schön wie die bei Karstadt Sport am Zoologischen Garten) ist dort die aufwendige Kulisse eines »Italienischen Dorfes« aufgebaut. Man geht an terrakottafarbenen Hauseingängen (ohne Haus dahinter) vorbei durch Gässchen, die (falsch deklinierte) Straßennamen bekommen haben: Auf dem mediterran verzierten Straßenschild steht dann zum Beispiel »Piccolo Strada«. Es gibt einige wenige Süßigkeiten – oder Gewürzgeschäfte, die in der Theaterkulisse des »Italienischen Dorfes« platziert sind (aber praktisch nie frequentiert werden), ansonsten ist es verwaist. Nur der pompöse Springbrunnen plätschert einsam vor sich hin. Dass das »Arium« sich mit einem »Italienischen Dorf« schmückt, ist natürlich kein Zufall, sondern hat mit Goethes Affinität für Bella Italia zu tun.

Ich erinnere mich außerdem daran, wie meine Grundschulklasse einen Ausflug zu einer Ausstellung in einem Einkaufzentrum machte: »Begehbare Körperteile«. Neben Lunge, Leber und Niere gab es auch eine begehbare Gebärmutter. Es dauerte wenige Minuten – dann sammelten sich alle Grundschulkinder in dem unförmigen, dunkelroten Latex-Uterus. Wir verbrachten mehrere Stunden in dem Organ und spielten, wir wären Embryos, jeder der jeweilige Zwilling des anderen. Außerhalb unserer Gebärmutter gingen Menschen bei »C&A« shoppen. Irgendwann lockte uns unsere Grundschullehrerin aus der Skulptur heraus, indem sie uns ein Pistazieneis versprach. Das Einkaufszentrum hieß – no joke! – »Schiller Kaufhaus«. Oder war es die »Goethe Galerie«?

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