Gegen Zerfall, für Trennung

»Progressive« in der Linken rufen zur Vernetzung und zur Rückkehr zum Gründungskonsens der Partei auf

Das Drama der Linken zeigt sich in harten Zahlen: Die Landtagswahl in Niedersachsen brachte der Partei das vierte Desaster in Folge allein in diesem Jahr. Nur 2,7 Prozent der Wähler votierten für sie, obwohl die Umfragewerte noch am Tag zuvor sie bei vier Prozent gesehen hatten. Und auch die Zahl der Genossinnen und Genossen, die mit den Füßen abstimmen, wächst und wächst. Dabei haben allein seit dem 8. September, an dem Sahra Wagenknecht eine von Millionen Menschen beachtete und vielfach bejubelte Rede über die Sanktionen des Westens gegen russische Rohstoffe hielt, mindestens 809 Mitglieder ihren Austritt erklärt. Das teilte die Pressestelle der Linken dem ARD-Magazin Kontraste mit, das am Donnerstag darüber berichtete. Die Frequenz der Austritte sei noch nie so hoch gewesen wie jetzt. Ende Juni hatte Die Linke noch 57 320 Mitglieder – zu ihrer besten Zeit im Jahr 2009 waren es mehr als 78 000 gewesen.

Viele Genossinnen und Genossen wollen etwas gegen den Niedergang der Partei tun. Eine Gruppe von Mitgliedern hat deshalb zu einem »bundesweiten Vernetzungstreffen progressiver Linker in und bei der Partei Die Linke« eingeladen, das Anfang Dezember in Berlin stattfinden soll. Der entsprechende Aufruf lag »nd« vorab vor und wurde am Donnerstagnachmittag auf der Webseite der Initiative Solidarische Linke veröffentlicht. Diese war bereits im März, maßgeblich angestoßen von dem früheren Bundestagsabgeordneten Thomas Nord und der ehemaligen Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach, gegründet worden.

Der Aufruf ist von 56 Personen unterzeichnet, die aus verschiedenen Strömungen kommen. Viele sind wie Breitenbach und Nord oder auch die Sprecherin des Forums demokratischer Sozialismus, Luise Neuhaus-Wartenberg, dem Reformerlager zuzurechnen. Weitere Unterzeichnerinnen sind die Bundestagsabgeordneten Martina Renner, Cornelia Möhring und Gökay Akbulut. Es finden sich aber auch viele Politiker aus der Bewegungslinken unter ihnen, zu denen etliche Parteilinke und frühere Anhänger Sahra Wagenknechts gehören wie etwa die Ex-Bundestagsabgeordneten Dorothee Menzner und Niema Movassat.

Der Aufruf ist vor allem als einer zur Trennung vom »linkskonservativen« – so charakterisiert sich Wagenknecht selbst – Flügel um die frühere Fraktionschefin zu lesen. Denn die negativen Folgen der Veröffentlichung ihres Buches »Die Selbstgerechten« im April 2021 und ihrer darauffolgenden Dauerpräsenz in TV-Talkshows mit den darin vertretenen Thesen werden in dem Papier als wesentliche Ursache für die Krise der Partei angesehen. Damit habe sich eine »Formation« mit einem »Gegenprogramm« zu dem der Partei manifestiert.

Die daraus abgeleitete Forderung im Aufruf lautet: »Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.« Die Strategie, gegensätzliche Differenzen bei Positionen etwa zur Klimapolitik, zur Migrationsfrage wie auch zur Position zu Russland im Ukraine-Krieg auszublenden, sei »nachhaltig gescheitert«, wird im Papier konstatiert. Das Wirken von Wagenknecht und ihrer Anhängerschaft sei »radikal gegen das Programm der Partei gerichtet, bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten«.

Zugleich wird betont, man wolle unterschiedliche Ansichten produktiv machen. Der »Kampf um soziale Gerechtigkeit, zum Beispiel eine gerechte Verteilung der Lasten der russischen Aggression gegen die Ukraine«, müsse »unteilbar verbunden sein mit dem Kampf für die universelle Geltung der Menschenrechte, mit progressiven, nachhaltigen Lösungen in der Energie- und Industriepolitik und bei der Bewältigung der ökologischen Krise, für einen starken öffentlichen Sektor bei der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge, mit der Verteidigung der Demokratie«.

Auch Lorenz Gösta Beutin gehört zu den Unterzeichnern und Initiatoren des Aufrufs und des Vernetzungstreffens. Der 44-Jährige ist stellvertretender Linke-Vorsitzender und hat sich 2017 bis 2021 als Bundestagsabgeordneter einen Namen als Klimaschutzexperte gemacht. Er sagte am Donnerstag im Gespräch mit »nd«, Die Linke werde »bei Klima- oder Energiepolitik, bei Migration oder Gleichstellung in der letzten Zeit als beliebig wahrgenommen«. Er streite für eine »emanzipatorische, sozialistische Mitgliederpartei, die weder ihre Mitglieder, Wähler*innen noch ihre Themen gegeneinander ausspielt«. Deshalb unterstütze er den Aufruf. »Progressive Politik bedeutet, Soziales und Ökologisches, Antifaschismus, Antirassismus, Feminismus, Friedenspolitik, Menschenrechte und Gleichstellung als unterschiedliche Felder unseres gemeinsamen Kampfes um eine solidarische Gesellschaft zu begreifen.«

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