Ein lauter Weckruf

Die slowakische LGBTIQ-Community ist nach dem Anschlag in Bratislava erschüttert

  • Jessica Ramczik, Bratislava
  • Lesedauer: 6 Min.

Ihre Namen waren Matúš und Juraj. Die Menschen, die am 14. Oktober in der kleinen Bratislaver Gasse nördlich der Donau schweigend miteinander stehen, Kerzen anzünden, Blumen niederlegen und sich weinend in den Armen liegen, sind wegen ihnen gekommen. Einige von ihnen haben Plakate dabei.

Matúš und Juraj sind tot, weil ein 19-jähriger mutmaßlicher Rechtsextremist seinen Worten Taten folgen ließ. Der 23-jährige Matúš H. war Barkeeper im Tepláreň. Er arbeitete dort, um seinen Abschluss in Sinologie an der Comenius-Universität in Bratislava zu finanzieren. Neben ihm starb Juraj V., 26 Jahre alt, Mitarbeiter in einem Ladengeschäft und Student der Philosophie. Dabei wurde auch eine Mitarbeiterin der Bar schwer verletzt. Sie schwebte nicht in Lebensgefahr.

Die Tat erschüttert die LGBTIQ-Szene in der Slowakei. Es ist eine Tat, wie sie in der Slowakei bislang einzigartig ist. Nicht weit vom Ort des Geschehens findet am 14. Oktober ein öffentliches Gedenken an die beiden Opfer statt, organisiert von Mitgliedern der LGTBIQ-Community. Gekommen sind 16 000 Menschen. Es wehen Pride-Flaggen und auch Flaggen der Antifa. Viele Menschen, die man hier anspricht, wollen sich auch offen gegen eine wiedererstarkende Rechte und gegen Faschismus positionieren. Die Redner*innen sind Protagonist*innen der LGTBIQ-Szene, liberale Politiker*innen wie der Bürgermeister von Bratislava Matúš Vallo und Personen des öffentlichen Lebens, wie der homosexuelle Comedian Fero Joke. Auch die Präsidentin der Slowakei Zuzana Čaputová spricht kurz. Sie wirkt sichtlich bewegt. Ihre Botschaft: Hass auf die LGTBIQ hat in der Slowakei nichts zu suchen. Das Attentat bezeichnet sie als Hassverbrechen. Einen Tag zuvor besuchte sie den Ort des Attentates. Außerdem spricht ein Vertreter der jüdischen Gemeinde von Bratislava. Denn fest steht: Die Tat war auch antisemitisch motiviert.

Wichtigster Redner auf der Bühne ist an diesem Tag wohl Roman Samotný. Er ist der Betreiber des Tepláreň. Er zeigt sich bewegt von der Vielzahl der Menschen, die sich heute hier zusammengefunden haben. »Es zeigt uns, dass wir nicht isoliert sind. Aus Samotný spricht unendlicher Schmerz. Trotzdem ist er zu einem Interview bereit. «Es ist alles so traurig, ich weiß nicht, was ich tun soll und wie ich überhaupt weitermachen soll», sagt er.

Samotný spricht auch davon, dass es in der Slowakei einen gesellschaftlichen Wandel geben muss. Dies beinhaltet in seinen Augen auch ein konsequentes Vorgehen gegen Hate Speech. Gerade im Zusammenhang mit dem Attentat auf das Tepláreň ist die Debatte aufgeflammt, wie nie zuvor in der Slowakei: Was macht Sprache mit dem Weltbild der Menschen? So seien es auch Mitglieder der Regierung und des Parlaments, die immer wieder durch queerfeindliche Äußerungen aufgefallen seien. «Diese Menschen sind offen homophob», so Samotný. Ähnlich sieht es Zuzana Čaputová: «Seit drei Jahren sage ich, dass Worte Waffen sind. Dass wir Politiker für jedes einzelne Wort, das wir sprechen, verantwortlich sind. Doch viele füllen den öffentlichen Raum rücksichtslos mit Hass.» «Es muss sich etwas ändern. Gesetzesänderungen wären ein Anfang, wenigstens als Symbol. Es braucht Kontrolle in sozialen Netzwerken. Auf Facebook und den anderen Netzwerken. Da werden Menschen beschimpft und bedroht. Dort erhalten sie Morddrohungen. Das ist schrecklich und das muss gestoppt werden», so Roman Samotný.

«Bratislava ist so etwas wie eine LGBTIQ-Insel in der Slowakei. Bis vorgestern hätte ich noch gesagt, dass ich mich hier sehr sicher fühle», sagt Samotný. Es gibt dennoch viele und gerade ältere Menschen, die uns einfach nicht akzeptieren wollen. Trotzdem habe sich in den letzten Jahren vieles verbessert. «Ich bin so dankbar dafür, dass die Slowakei Teil der Europäischen Union ist. Wäre sie das nicht, würde es der LGBTIQ-Szene hier viel schlechter gehen». Es brauche den Druck aus Europa und auf die Regierung der Slowakei. In der Tat, fragt man die Menschen, die hier gegen Hass und Queerfeindlichkeit auf die Straße gehen, sprechen viele davon, dass es auch darum ginge, jetzt zu beweisen, wie gut sich die Slowakei in der EU integrieren könne. Tatsächlich hat sich das gesellschaftliche Klima gegenüber LGTBIQ geändert. Noch 2012 griffen Rechte die Christopher-Street-Day-Demo an.

Aktuell sei die LGTBIQ-Szene tief erschüttert. Man habe immer irgendwie gewusst, dass so etwas geschehen könne. Aber wie darauf vorbereiten? Das, wovor wir alle am meisten Angst hatten, ist jetzt wahr geworden. Vielen, die hierher kommen, geht es um weit mehr als das Gedenken an die zwei Opfer des Attentates. «Ich will, dass Menschen meinen Ekel gegenüber einer solchen Tat sehen, wenn ich hier heute auf die Straße gehe», sagt der 23-jährige Rado. «Ich möchte, dass Menschen in der Slowakei frei leben können und ich möchte, dass sich meine Freunde sicher fühlen können.»

Für viele, die heute vor dem kleinen Meer von Kerzen stehen und die überhaupt in der Lage sind, mit der Presse zu sprechen, war das Tepláreň mehr als nur eine Bar. «Wir waren auch eine Familie. Wir waren Freunde. Diesen Ort gebe es nun nicht mehr, so Samotný. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, jetzt an diesem Ort weiterzumachen. Viele haben mich gefragt, ob ich das Tepláreň wieder eröffnen werde, aber irgendwie glaube ich, dass zum jetzigen Zeitpunkt wohl viele Angst hätten, überhaupt wieder dorthin zu gehen. Ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, dass Menschen dort hinkommen und wieder Spaß haben können.« Vielleicht wird er das queere Online-Kulturprojekt queer.sk weiterführen. Mehr wisse er jetzt noch nicht. »Wie kann ich Menschen je versprechen, dass sie in meiner Bar wieder sicher sein werden? Ich weiß es einfach nicht.«

Der Täter wurde mittlerweile identifiziert. Er tötete sich kurz nach der Tat selbst, nachdem er sich zuvor online dazu bekannt hatte. Auch der Vater ist kein Unbekannter. Er trat 2020 für die rechtspopulistische Partei Vlasť an, scheiterte aber bei der Wahl. Vor dem Anschlag veröffentlichte der Täter ein 65-seitiges Manifest in englischer Sprache. Darin verherrlicht er andere rechtsextreme Mörder wie Anders Bering Breivik und den Attentäter von Christchurch als Vorbilder, leugnet den Holocaust und ruft zum Mord an Juden auf. Außerdem gibt er an, Trump-Fan und Männerrechtler zu sein.

Als die Gedenkveranstaltung auf dem Hlavné námestie, dem Hauptplatz, an diesem Abend zu Ende geht, bleiben viele und halten noch inne. Einige umarmen Roman Samotný, der immer wieder bitterlich weint. Ob sich etwas ändern wird am Umgang mit LGTBIQ, das wissen die Wenigsten an diesem Abend. Einige sagen: Es war ein Weckruf. Ein lauter.

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