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Schön mit einem Klick – na und?

Filter auf Social Media sind kein Teufelszeug, meint Nadia Shehadeh. Sie sind eine Art Demokratisierung der Bildbearbeitung.

Seit es Massen an Filterfunktionen in diversen Social-Media-Angeboten gibt, mit denen sich Nutzer*innen auf die Schnelle ein bisschen makelloser, hübscher und fresher im Netz präsentieren können, hagelt es Kritik an der Schönmachtechnik. Unter dem Deckmantel von »Sorge um falsche Selbstbilder« und »schlechte Vorbildfunktion« werden diese Debatten geführt. Manche Kritiker*innen würden am liebsten sämtliche Filter- und Fotobearbeitungsfeatures abschaffen – oder aber mindestens eine Kennzeichnungspflicht herbeiführen. Dabei ist nichts davon nötig.

Filter sind eine Art Demokratisierung der Bildbearbeitung. Was früher nur Photoshop-Spezialist*innen vorbehalten war, kann nun jeder Ottonormalverbraucher: Einfach ein Klick oder ein Wisch auf Instagram, TikTok oder Snapchat – und zack hat man keine Poren mehr im Gesicht, weniger Augenringe, weißere Zähne oder sogar volleres Haar. Für viele Menschen ein Unding: Wie kann es sein, dass Menschen, die »in echt« gar nicht (mehr) so gut aussehen, Fotos im Netz hochladen, auf denen sie sich schön finden – und damit andere (und sich selbst?) in die Irre führen? Skandal! Die perfekten Instagram-Bilder riechen einfach zu sehr nach Catfishing, nach Menschen, die betrügen, und nach Lügen.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des "Missy Magazine", außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für "nd" schreibt sie die monatliche Kolumne "Pop-Richtfest".

Mir aber war es immer schon suspekt, mit wie viel Herzblut sich in die Filterdebatten reingehängt wird. Es ist eine Abwehrdiskussion, die ähnlich vehement geführt wird wie Make-Up-Shaming-Diskurse. Überall, wo Menschen »nachhelfen«, wird der große Betrug an der Menschheit gewittert: Filter, Botox, Haar-Extensions, künstliche Fingernägel, Schminke – alles Ausgeburten des Teufels. Femme Shaming ist da nicht weit. Menschen verarschen andere und sich selbst, so der Tenor. Dabei hatten »Natürlichkeitsdebatten« für mich stets einen schalen Beigeschmack – und sie sind vor allem in Bezug auf Frauen, Trans und Queers immer schon problematisch gewesen sind. Frauen, die irgendwo an ihrer Optik nachhelfen? Die vielleicht doch nicht so jung oder hübsch sind, wie sie vorgeben zu sein? Die vielleicht sogar keine richtigen Frauen sind? Das Problem hinter dieser vehementen Kritik ist nur allzu offensichtlich.

Hand aufs Herz: Fotomanipulationstechniken gab es schon immer. Das richtige Licht, das richtige Make Up, die richtige Person hinter der Kamera – professionelle Fotoproduktionen sind bekannt dafür, dass sie das Beste aus der jeweiligen Person vor der Linse herausholen. Auch mit Hilfsmitteln. Nun aber, da diese Techniken frei zugänglich sind, werden sie verteufelt.

Auch Stars, die unverhohlen die Filterfunktionen nutzen, stehen in der Kritik. Wie zum Beispiel Madonna in der vergangenen Woche: Sie hatte sich besonders eigenwillig mit blond gefärbten Augenbrauen und stark gefiltert auf Instagram präsentiert – und bekam dafür viel Häme. »Madonna sieht aus wie ein gekochtes Ei!«, hieß es unter anderem. Die Botschaft dahinter: Madonna kriegt es einfach nicht hin. Postet sie skurrile Fotos oder Videos, wird sie für ihr schlimmes Aussehen beschimpft. Postet sie sexy Bilder von sich, bei denen natürlich auch nachgeholfen wurde, wird sie als Betrügerin angeprangert. Und damit auch ja allen klar ist, dass man mit 63 nicht so aussehen kann, wie Madonna sich auf Instagram präsentiert, werden regelmäßig Paparraziaufnahmen der Pop-Veteranin veröffentlicht, die zeigen sollen: In Wirklichkeit sieht Madonna ganz anders aus In echt hat sie faltige Hände und ein angedeutetes Doppelkinn, harhar! Dabei bin ich mir sicher: Madonna weiß genau, wie sie aussieht. Und am Ende sollte es uns auch nicht obsessiv beschäftigen. Schließlich hat sich Madonna auf professionellen Bildern immer als Kunstprodukt inszeniert: ob auf Instagram oder auf ihrem ikonischen »True Blue«-Albumcover von 1986.

Dass Frauen (und vor allem: berühmte Frauen) in Wahrheit scheiße aussehen, ist überhaupt ein Thema, von dem viel zu viele Menschen besessen sind. Mann kann die Darstellung von Schönheit kritisieren – und welcher Druck dadurch vor allem auch auf Jüngere aufgebaut wird. Muss man vielleicht sogar. Man kann aber auch hinnehmen, dass Menschen schöne Bilder von sich im Netz kuratieren wollen – und selbst entscheiden möchten, was und wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Dass der Zugang zu besserer Technik, besseren Beauty-Behandlungen und besseren Fotobearbeitungstechniken dabei natürlich ungleich verteilt ist: geschenkt. Und dass es bei Stars außerdem Teil des Jobs ist, sich entsprechend in der Öffentlichkeit zu zeigen, wissen wir nicht erst seit Instagram.

Es muss ein Ende haben, Menschen dafür anzuprangern, sich Hilfsmitteln zu bedienen, mit denen sie sich schön fühlen – egal ob Filter, Make Up, das richtige Licht oder Fotobearbeitungsprogramme. Mir ist es schnurz, ob Khloe Kardashian zehn Poren mehr im Gesicht hat oder Madonna in Wahrheit kein so scharf konturiertes Kinn. Und ich werde niemanden verteufeln, der gern einen Filter nutzt, um schöne Bilder von sich zu haben. Zehn Jahre später wird es sowieso keinen mehr interessieren. Deswegen: No Shame in the Filter Game. Wir wissen, dass es die Filter gibt. Und wir wissen, dass sie benutzt werden. Das sollte als Information reichen. Den Hass darauf kann man sich einfach schenken.

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