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»Wir wollen kein Diversity-Make-up«
Olaolu Fajembola setzt sich dafür ein, dass marginalisierte Kinder sich in den Helden ihrer Bücher und in ihrem Spielzeug wiedererkennen
Was haben Sie als Kind gespielt?
Olaolu Fajembola betreibt seit 2018 einen Onlineshop für Diversität und Vielfalt im Kinderzimmer. Gemeinsam mit ihrer Mitgründerin Tebogo Nimindé-Dundadengar berät sie zudem Pädagogen zu den Themen Diversitätssensibilität und Rassismuskritik.
Ich bin ein 80er-Jahre-Kind. Damals wurden wir Kinder zum Spielen einfach rausgeschickt und sollten zum Abendbrot zurück sein. Ansonsten war ich die klassische Leseratte und habe es geliebt, in Fantasiewelten abzutauchen. Außerdem besaß ich ein wunderschönes Puppenhaus, das meine Mutter designt hatte. Gespielt habe ich aber meistens mit kleinen Tierfiguren. Ich hatte zwar auch eine Schwarze Puppe, was für die damalige Zeit eher selten war, doch mit ihr konnte ich mich nicht so richtig identifizieren, denn sie hatte glatte Haare. Und in den Kinderbüchern gab es sowieso gar keine Schwarzen Held*innen.
Zusammen mit Tebogo Nimindé-Dundadengar führen Sie Tebalou, einen Onlineshop für Diversität und Vielfalt im Kinderzimmer. Wie ist die Idee entstanden?
Diversität in der frühkindlichen Erziehung war für uns schon immer ein Thema, über unsere eigene Kindheit hinaus. Ich bin Kulturwissenschaftlerin und habe mich akademisch viel mit Kultur im großen Sinne beschäftigt, also auch damit, dass Deutschland ein multiethnisches Land darstellt, und zwar sehr viel länger, als es sich dessen bewusst ist. Tebbi hat Psychologie studiert und sich in diesem Rahmen viel mit den Stressmomenten, den Coping-Mechanismen und der Resilienz von marginalisierten Menschen befasst. Dazu kam die biografische Erfahrung, Mütter zu werden, also Schwarze Kinder auf die Welt zu setzen. Uns war es dabei von Anfang an wichtig, dass unsere Kinder sich vom ersten Pappebuch, in dem es ums Töpfchen geht, wiedererkennen können – und neben sich selbst auch all die anderen Kinder, mit denen sie etwa in der Kita abhängen.
War es schwierig, solche Bücher zu finden?
Wir haben festgestellt, dass sich seit unserer eigenen Kindheit leider nicht so viel getan hat in Sachen Diversität im Kinderzimmer. Was Genderfragen angeht, wurden wir beispielsweise noch mit vielen antiquierten Rollenbildern konfrontiert, etwa die Mama, die das Kind verarztet, während der Papa weiterhin zur Arbeit geht. Wir konnten nicht im nächsten Buch- oder Spielzeugladen Geschichten und Figuren vorfinden, die unsere Lebensrealitäten eher abbilden, in denen etwa auch Väter die Care-Arbeit übernehmen und Mütter morgens zur Arbeit gehen. Als ich dann hin und wieder Buchläden in London besucht habe, habe ich mit Begeisterung festgestellt, dass es diese Geschichten durchaus gibt. Und da meine Familie bilingual ist, bin ich immer mit Koffern voller Bücher nach Deutschland zurückgekommen.
Gab es diese Geschichten in deutscher Sprache nicht?
Im Vergleich zum amerikanischen und britischen Markt gibt es bis heute weniger diversitätssensible Titel. Also es gibt sie, nur sind sie meist nicht kuratiert im Buchladen zu finden. Bereits bei unserem ersten Treffen haben Tebbi und ich uns darüber unterhalten, wie krass wir immer noch recherchieren und Mundpropaganda anwenden mussten. Wir waren uns einig: Im 21. Jahrhundert sollten diese Titel niedrigschwellig allen zugänglich sein.
Was kann man alles bei Tebalou erwerben?
Unter den Kinderbüchern findet man alles vom ersten Buggy-Buch bis zum Jugendroman. Unter den Spielsachen sind Puzzles, Memories und natürlich Puppen. Unsere Puppen sollen die Schönheit der breiten Vielfalt von menschlichem Dasein abbilden, insbesondere verschiedene ethnische Realitäten. So gibt es bei uns zum Beispiel ostasiatisch gelesene Puppen und Schwarze Puppen. Leider sind 90 Prozent aller Puppen, die sich auf dem Markt befinden, weiß, und zwar überall auf der Welt, also selbst in afrikanischen Ländern. Zudem haben die wenigen Schwarzen Puppen im Vertrieb meist glatte Haare. Uns ist es wichtig, dass auch in den Haaren eine angemessene Repräsentation stattfindet. Darüber hinaus haben wir im Shop Bastelmaterialien. Die Hautfarbenstifte schaffen etwa bei weißen Kindern ein Bewusstsein dafür, dass die Haut unterschiedliche Töne haben kann und auch sie selbst in diesem Spektrum eingeordnet sind. Schwarze Kinder und Kinder of Color bekommen wiederum vermittelt, dass auch ihr Hautton eine Hautfarbe ist.
Worauf achten Sie bei der Auswahl der Artikel?
Was Bücher angeht, suchen wir nach Geschichten, in denen marginalisierte Kinder die Hauptrolle übernehmen, sei es Mädchen, Kinder mit nicht-christlicher Religionszugehörigkeit, Kinder mit Behinderungen, Schwarze Kinder, Kinder of Color oder Kinder mit nicht-heteronormativen Familien. Wenn hingegen ein Kind, das etwa asiatisch gelesen werden kann, im Titelbild ist, aber keine eigene Perspektive bekommt, nennen wir das Diversity-Make-up. Das wollen wir nicht. Wir wollen auch keine Aufklärungsbücher, in denen etwa Samra Lena erklärt, was Ramadan ist. Denn das wäre ein Produkt ausschließlich für nicht-muslimische Kinder. Stattdessen soll es um Samra gehen, die ganz aufgeregt ist, weil bald der Ramadan kommt und sie Geschenke erhält.
Welche Wirkungskraft haben Identifikationsfiguren im Bereich Fiktion?
Das zeigt der »Doll Test« ganz gut. Er wurde in den dreißiger Jahren von den Schwarzen Psycholog*innen Kenneth Bancroft und Mamie Phipps Clark entwickelt, um zu untersuchen, wie Kinder Rassismus erlernen. Dabei mussten Kleinkinder einer Schwarzen und einer weißen Puppe Attribute zuordnen, zum Beispiel gut und böse, schön und hässlich und so weiter. Sowohl Schwarze als auch weiße Kinder haben die positiven Attribute ausnahmslos der weißen Puppe und die negativen Attribute der Schwarzen Puppe zugefügt. Auf die abschließende Frage, mit welcher Puppe sie sich identifizierten, zeigten die Schwarzen Kinder jedoch auf die Schwarze Puppe. Da wurde klar, dass auch Kleinkinder Hautfarben sehen und vor allem schon rassistisches Wissen erlernt haben und dies anwenden, und zwar auch wenn sie selbst davon negativ betroffen sind. Das nennt man »secret education«, denn rassistische Vorurteile müssen Kindern nicht explizit beigebracht werden, sondern sie erlernen sie einfach durch das, was sie sehen, hören und erleben. Wenn Kinder Schwarze Menschen eher in einem Armut-Kontext und weiße Menschen immer als Sieger*innen sehen, sei es im Fernsehen oder in Büchern, hat es Folgen. Um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, brauchen marginalisierte Kinder also unbedingt Figuren und Geschichten, die sie ausdrücklich zentrieren und bestärken, und zwar bevor die Gesellschaft ihnen andere Botschaften vermittelt, die an ihrem Selbstbild rütteln.
Eine diversitätssensible Erziehung ist für privilegierte Kinder wiederum auch unentbehrlich.
Absolut. Gerade Kinder, die eine Mehrheitsperspektive haben, bekommen dadurch Werkzeuge, die sie befähigen, die Diversität der Welt als Normalität zu erfahren. So können sie sich in Empathie üben und die eigene Lebensrealität als eine unter vielen wahrnehmen. Sie lernen zum Beispiel, dass es neben Vater-Mutter-Kind-Familien auch queere Familien, Patchworkfamilien und Ein-Elternschaften gibt und all diese Familienkonstellationen legitim und wertvoll sind. Bei einer diversitätssensiblen Erziehung geht es also nicht nur darum, marginalisierte Kinder zu schützen, sondern auch darum, Kernkompetenzen der Gegenwart und Zukunft zu vermitteln.
Sie fordern Eltern dazu auf, möglichst früh mit ihren Kindern über Rassismus zu sprechen.
Wir Eltern von Kindern, die von Rassismus betroffen sind, müssen ihnen zwingend von klein auf beibringen: »Beleidigungen haben nicht mit dir zu tun. Du bist toll, wie du bist.« Rassifizierte Kinder müssen auch lernen, dass nur sie über ihren Körper verfügen dürfen und es nicht in Ordnung ist, wenn jemand ungefragt ihr Haar anfasst. Das ist eine Grenzüberschreitung. Damit die Vulnerablen aber wirklich geschützt und empowert werden können, müssen wir alle Kinder auf diesen Weg mitnehmen, also auch und gerade diejenigen, die in einer machtvollen Position sind. Bücher können da helfen. Die Biografien-Buchreihe Little People, Big Dreams zeigt etwa, dass auch vermeintlich schwierige Themen kindgerecht vermittelt werden können. Rassismus kann man zum Beispiel anhand der Biografie Martin Luther Kings niedrigschwellig ansprechen. Dabei tauchen Schwarze Menschen nicht nur als Opfer eines Unrechts auf, sondern es wird vermittelt, dass sie sich selbst befreit und Millionen Menschen inspiriert haben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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