Nah am Volk und der Avantgarde

Das Museum Eberswalde zeigt das Werk des kommunistischen Malers Otto Nagel

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 5 Min.
Otto Nagel, »Abschied vom Fischerkietz IV«, Pastell, 1965.
Otto Nagel, »Abschied vom Fischerkietz IV«, Pastell, 1965.

Eine kleine, aber feine Ausstellung mit Ölmalerei und Pastellkreidezeichnungen des Berliner Künstlers und Kommunisten Otto Nagel (1894 – 1967) ist momentan im Dachgeschoss des Museums Eberswalde zu sehen. Sie ist zusammengestellt aus dem Archivbestand der Akademie der Künste Berlin. Aus konservatorischen Gründen sind Nagels Werke nur gedimmtem Licht ausgesetzt. Unter ihnen befindet sich etwa die wunderbare Szene mit den noch unzerstörten und ineinandergeschachtelten Altbauten der Berliner Fischerinsel, kurz vor ihrem Abriss. Nagel nannte seine Pastellkreidezeichnung 1965 unverhohlen deutlich »Abschied vom Fischerkiez IV«.

Er war nicht nur Chronist eines proletarischen Berlins, sondern auch der Stadtarchitektur und Kritiker des Abrisses historischer Ensembles. Architektonisch wichtige Zeugnisse fielen allzu oft, in der DDR wie auch in der BRD, einem unbedingten Modernisierungswahn zum Opfer.

Auch wenn die Ausstellung nicht mit gänzlich unbekannten Bildern überraschen kann, hält der begleitende Katalog, herausgegeben vom produktiven und umtriebigen Kunsthistoriker und Kurator Eckhart Gillen, neue Erkenntnisse über das Leben von Nagel bereit. Erst kürzlich war die von Gillen kuratierte Ausstellung mit Werken von Wolf Vostell und Boris Lurie in Berlin-Dahlem zu sehen und wird demnächst in Koblenz gezeigt.

Otto Nagel, im Berliner Wedding als fünftes Kind einer Arbeiterfamilie geboren, entwickelte früh ein zeichnerisches Talent, begann eine Lehre als Mosaik- und Glasmaler, arbeitete dann aber unter anderem als Lackierer. 1912 trat er der SPD bei, verweigerte den Kriegsdienst an der Front und wurde dafür in Köln interniert. Als Mitglied des Soldatenrates kehrte er zurück nach Berlin, wo er erst der USPD und schließlich der KPD beitrat.

Nach dem Vorbild des Soldatenrats entstand 1919 der »Arbeitsrat für Kunst«, zu dem Nagel über den Kunsthistoriker und Kritiker Adolf Behne Kontakt erhielt. Die Organisation hatte sich zum Ziel gesetzt, Tendenzen in Architektur und Kunst einer breiten Bevölkerung nahezubringen. Darüber lernte Nagel dann auch Vertreter der künstlerischen Avantgarde wie George Grosz, John Heartfield und Walter Gropius kennen. Behne wurde zum engen Freund und Förderer Nagels und erinnerte sich später daran, dass dieser ein starkes Interesse entwickelte, Kunst den Proletariern vermitteln.

1921 zeigte Ernst Friedrich, der 1925 das Antikriegsmuseum gründen wird, in seiner Verlagsbuchhandlung eine Einzelausstellung des Autodidakten Otto Nagel. Im selben Jahr wurde Nagel wegen seiner politischen Betätigung als Fabrikarbeiter gefeuert und musste sich fortan als Künstler durchschlagen. Sein naturalistischer Malstil war volksnah und frei von avantgardistischen Tendenzen und verband ihn eher mit dem von ihm verehrten Heinrich Zille und dessen immanenter Sozialkritik.

Trotzdem war Nagel der künstlerischen Avantgarde gegenüber nicht verschlossen. 1924 organisierte er als Sekretär der Internationalen Arbeiter-Hilfe eine Ausstellung, die als »Spiegel des zeitgenössischen Deutschland«, wie Sergey Fofanow in seinem Katalogessay schreibt, nicht nur in Moskau, sondern 1925 auch in Saratow (Russland) und Leningrad gezeigt wurde. Dafür warb er mit Erfolg auch um Werke der abstrakten Moderne von Willi Baumeister sowie um Entwürfe und Bilder von Bauhaus-Künstlern wie Walter Gropius, Oskar Schlemmer und Paul Klee. 1924 war Nagel auch für die Ausrichtung einer Verkaufsschau zugunsten der Künstlerhilfe im Kaufhaus Wertheim am Potsdamer Platz in Berlin verantwortlich. Zum ersten Mal wurde ein völlig neues Marketingkonzept erprobt und die Kunst zum Publikum gebracht – nicht umgekehrt.

Bis zur Machtübergabe an Hitler und die NSDAP blieb Nagel aktiv im Umfeld der KPD und des Medienkonzerns von Willi Münzenberg. Danach überlebte er in einer Art inneren Emigration. Sein »Selbstporträt vor leerer Staffelei« von 1936 zeigt den Künstler mit traurig-deprimierter Miene. Eine dreitägige sogenannte »Schutzhaft« 1937 im Konzentrationslager Sachsenhausen sollte Nagel wahrscheinlich als Warnung dienen, sich ja nicht politisch zu betätigen.

Jedoch muss dem Mythos des zur Untätigkeit verurteilten widerständigen Künstlers, der in der DDR gepflegt wurde, widersprochen werden. Auch wenn drei seiner Werke im Kanon der von den Nazis so deklarierten »Entarteten Kunst« auftauchten, durfte Nagel während der gesamten NS-Herrschaft weiterhin malen und auch ausstellen. Bislang ist keine Beteiligung am Widerstand Nagels und seiner russischen Frau Walentina Nikitina, die er 1925 in Leningrad kennengelernt hatte, nachzuweisen.

Dagegen enthält die »BZ am Mittag« vom 12. Januar 1943 mit »Berlin ist mein Freiluftatelier« einen affirmativen Bericht zur Pleinair-Malerei Nagels. Ob und in welchem Umfang er verkaufen durfte, konnte bis heute nicht geklärt werden und bedarf weiterer Forschung. Um nicht anzuecken, musste sich Nagel jedoch unverfänglichen Sujets wie Landschaft und Porträts widmen und hat davon eine erhebliche Menge produziert.

In der DDR gehörte er von Beginn an zur umworbenen Nomenklatura, wurde vielfach ausgezeichnet, war Abgeordneter der Volkskammer sowie Präsident der Deutschen Akademie der Künste – von 1956 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1962 (Vizepräsident blieb er bis zu seinem Tod). In seiner Amtszeit hatte er sich stark und erfolgreich um westdeutsche und ausländische Künstler als korrespondierende Mitglieder bemüht, so Otto Dix, Frans Masereel, David Alfaro Siqueiros und Diego Rivera. Bei Angriffen im Rahmen der Formalismus-Kampagne – DDR-Kunst sollte sich auf staatliche Initiative hin vom »dekadenten Kunstbetrieb« des Westens durch realistische Motivik und klar kommunizierte gesellschaftliche Ideen abgrenzen – verteidigte Nagel die in die Kritik geratenen Kolleginnen und Kollegen. Allein Horst Strempel, dessen Wandgemälde »Trümmer weg – baut auf« im Bahnhof Friedrichstraße 1951 übermalt worden war, da es nicht dem sozialistischen Realismus entsprach, hatte er nicht beigestanden.

Bei der Pressekonferenz zur aktuellen Ausstellung im brandenburgischen Eberswalde wurde das Bemühen von Bürgermeister und Kulturamtschef deutlich, die Bilder als Dauerleihgabe von der Akademie der Künste für das Museum zu sichern.

»Otto Nagel: Menschensucher und Sozialist«,
bis 2. April 2023, Museum Eberswalde.

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