Auch ein Viertel Rind ist noch zu schwer

Argentinien verschärft Arbeitsschutz in der Rindfleischbranche

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

Argentiniens Rindfleischmarkt steht vor einer Zäsur. Seit über hundert Jahren liefern die Schlachthöfe am Río de la Plata ein geschlachtetes Rind in zwei Hälften an die Fleischereien aus. Die im argentinischen Sprachgebrauch ›media res‹ genannte Hälfte ist das in der Mitte durchgeschnittene Schlachttier ohne Kopf und Eingeweide. Je nach Gewicht des Rindes kann jede Hälfte zwischen 90 und 120 Kilo wiegen. Die werden von den Fleischern zerteilt und verkauft.

Doch ab November ist damit Schluss. Dann müssen geschlachtete Rinder in Argentinien in mindestens vier Teilen ausgeliefert werden. Der Grund ist die Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten, den »lomeros«, die täglich rund 100 der schweren Rinderhälften zum Ausladen auf ihren »lomo«, sprich Rücken aufbuckeln müssen. Zukünftig sollen sie höchstens noch 32 Kilo schwere Rinderstücke tragen dürfen. Doch auch damit liegen sie noch über dem Höchstgewicht von 25 Kilo, das die Internationale Arbeitsorganisation ILO festgelegt hat.

Einig sind sich alle Beteiligten darüber, dass das Vermarktungssystem der halben Rinder aus Rücksicht gegenüber den Beschäftigten geändert werden muss. Doch seit 30 Jahren wird über den Zeitpunkt der Änderung gestritten. Keine Eile haben jene Schlachthöfe, die den inländischen Markt beliefern und die nötigen Investitionen nicht vornehmen wollen oder können. Denn bevor die geschlachteten Rinder weiter zerteilt werden können, müssen sie mindestens 24 Stunden kalt gelagert werden. Das erfordert große und teure Kühlhäuser, wie sie die Schlachthöfe für den Exportsektor haben müssen.

So wurde auch die jetzt in Kraft tretende Anordnung bereits im April 2021 von der Regierung erlassen, aber deren Umsetzung mehrfach verschoben. Noch immer würde nur die Hälfte der knapp 400 offiziell registrierten Schlachthöfe über die baulichen und betrieblichen Voraussetzungen für die Umsetzung der Norm verfügen, ließ der Verband der regionalen argentinischen Schlachthöfe Fifra verlauten. Der Verband warnt vor dem Verschwinden kleinerer Schlachthöfe vor allem im ländlichen Raum. Vergangene Woche hatte er bei einem Treffen mit den zuständigen Ministerien abermals versucht, die Umsetzung der Norm auszusetzen. Doch sowohl das Arbeitsministerium als auch das Wirtschaftsministerium winkten ab.

Zustimmung kommt vom Exportsektor. »Die Viertelung ist ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Effizienz und modernisiert unsere Branche«, so Mario Ravettino, Vorsitzender des Konsortiums der argentinischen Fleischexporteure. Derzeit gebe es weltweit nur noch Paraguay und Argentinien, die die Vermarktung in Form von Schlachtkörperhälften aufrechterhalten. Sollte sich im letzten Moment nichts mehr ändern, dann werden auch in Argentinien ab Dienstag keine halben Rinder mehr ausgeliefert. Die dafür verantwortliche Behörde hat bereits verstärkte Kontrollen angekündigt und bei Verstößen mit Bußgeldern bis hin zu Betriebsstilllegungen gedroht.

Neben der Gesundheit der Beschäftigten soll auch gewährleistet werden, dass das Fleisch beim Abladen vom Lkw und Tragen in die Fleischerei nicht über den Boden schleift, zumal jedes dieser Teile verpackungsfrei ausgeliefert wird. Darin liegt die Furcht der Exportfirmen begründet, dass dies von den Importländern als mangelnde Hygiene ausgelegt werden und zu einem massiven Exporthindernis werden könnte.

Doch der schmerzende Stachel im Fleisch der Exportbranche ist die enorme Informalität der Branche. Geschätzt wird, dass 60 bis 70 Prozent aller Aktivitäten informell geleistet werden, sprich von Beschäftigten ohne reguläre Arbeitsverträge; und dass ein nicht geringer Teil am Fiskus vorbei abgewickelt wird. »In einer Produktionskette, in der jährlich eine Milliarde Dollar hinterzogen wird, stößt jedes Vorhaben gegen die Informalität auf Widerstand«, so Ravettino. Wer die Regeln einhält, leidet unter Wettbewerbsverzerrung. Und wer von dieser profitiert, zeigt wenig Willen für Veränderung. Mit der neuen Verordnung würde dies zumindest vermindert werden, so die Ansicht des Vorsitzenden.

Für die Regierung ist nicht nur der Steuerausfall von Bedeutung. Sie rechnet gar mit einer leichten Senkung der Fleischpreise gerade in den ärmeren Vierteln der Bevölkerung. Da keine halben Rinder mehr geliefert werden, können die Fleischereien zukünftig günstigere Teilstücke ohne die teuren Filetstücke ordern, so das Kalkül.

Denn damit auch die teuren Stücke über die Ladentheke gehen, verringern die Fleischereien den Preis für Rinderfilet von 1700 Peso pro Kilo über eine Art Umlage um 250 Peso. Diese wiederum werden auf den Kilopreis von 800 Peso für die preisgünstigeren Stücke verteilt und aufgeschlagen. Ob diese Umlage tatsächlich wegfällt, wird sich an der Fleischtheke zeigen, zumal bei einer korrekten Abführung von Abgaben und Steuern der Fleischpreis steigen müsste.

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