• Kultur
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Die Bebreiung der Kunst

Ein Kommentar zum Öko-Vandalismus mit angezogener Handbremse qua Attacke auf Kunstwerke

  • Gerhard Schweppenhäuser
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Breiattacke auf ein Werk von Monet hat zur vorübergehenden Schließung des Museums Barberini in Potsdam geführt.
Die Breiattacke auf ein Werk von Monet hat zur vorübergehenden Schließung des Museums Barberini in Potsdam geführt.

Die Protestierenden, die Werke von van Gogh und Monet attackierten, wollten zeigen, was verlorengeht, wenn etwas Einzigartiges zerstört wird – zum Beispiel ein großes Kunstwerk oder der Planet Erde. Kunstwerke werden Sinnbilder bedrohter Natur. Die Geste ihrer scheinbaren Zerstörung bestätigt den Kunst-Fetisch der bürgerlichen Kultur sozusagen durch die Hintertür. 

Walter Benjamin zufolge erschließt sich die »Aura« eines Kunstwerks nur in seiner Anwesenheit, im Hier-und-Jetzt-Erlebnis. Auch bei den Störaktionen in heiligen Hallen der Kunstverehrung geht es um die Präsenz des Auratischen. Doch das ist eigentlich, so meinte jedenfalls Benjamin, bereits zertrümmert: Durch den modernen Paradigmenwechsel zu den Reproduktionskünsten Fotografie und Film verfiel die Aura und wurde obsolet. Heute wird sie im Kunstbetrieb mit irren Kaufpreisen und kulturindustriellen Ausstellungsevents nach besten Kräften reanimiert. Der Warencharakter der Kunst verstellt zwar die Erfahrung des letztlich Unbestimmbaren, des Unwiederholbaren und Einmaligen bedeutender Kunstwerke. Doch eben an der Einmaligkeit bemisst sich ihr Tauschwert.

Die symbolischen Angriffe, mit denen Klimaprotestaktivistinnen und -aktivisten für Irritationen sorgen, sind Rohrkrepierer. Sie wählen Werke aus, die durch Glas gegen Vandalismus gesichert sind. Werden diese mit flüssigen oder breiigen Nahrungsmitteln beworfen, stehen die Chancen gut, dass sie keinen materialen Schaden leiden und derlei Happenings überstehen. Der Planet ist freilich nicht geschützt gegen den Ruin natürlicher Lebensgrundlagen und Lebensumwelten durch eine industriekapitalistische Produktionsweise unter Wachstumszwang. Solche Aktionen bewirken indessen nichts, was nicht vorher schon klar gewesen wäre, weder auf kognitiver noch auf emotionaler Ebene. Wer davon bis dato noch nichts geahnt hatte oder kein Unbehagen verspürte, dürfte es durch den Öko-Vandalismus mit angezogener Handbremse auch nicht kapieren.

Zudem wirkt die Aktionsform wie eine unbewusste Identifikation mit den Aggressoren, wenn die Geste der Planetenzerstörer symbolisch nachgeahmt wird. Ob die Ausführenden insgeheim auch ihren Spaß hatten? Klar, man kann froh sein, wenn es beim Symbolismus großer Kinder bleibt, die Objekte, die ihnen zu hoch sind, mit ihrem Essen bewerfen, aber erwachsen genug sind, sie nicht wirklich zu zerstören. Säureattentate auf ungeschützte Kunstwerke wären verstörender, aber im Hinblick auf das angebliche Erkenntnisziel nicht weniger verdreht.

Anstatt so zu tun, als würde man den Werken kultureller Rebellen des 19. Jahrhunderts etwas antun, die von einem turbokapitalistischen Kunstmarkt in symbolische Geiselhaft genommen und zum reinen Investment degradiert wurden, wäre es vielleicht stringenter, die ureigenen Erzeugnisse der Investoren ins Visier zu nehmen und in verantwortlich-reflektierten Kunstaktionen ästhetisch zu dekonstruieren. Die Festklebe- und Sprühaktionen im »Porsche-Pavillon« der »Stadt des KdF-Wagens« und in der »BMW-Welt« in der »Hauptstadt der Bewegung« gingen womöglich in diese Richtung, allein es fehlten politkünstlerische Dramaturgien.

Vollends peinlich, dass eine Trittbrettfahrerin in der Berliner Nationalgalerie nun zu archaisch anmutendem Kunstblut griff, um ein Werk von Toulouse-Lautrec zu besudeln. Die zivilisationsfeindlichen Rituale eines Hermann Nitsch lassen grüßen. Wer in dieser Sprache für »mehr Demokratie« agitiert, hat entweder einen Beuys’schen (also falschen) Demokratiebegriff – oder kein Problem damit, in die Fußstapfen rückständiger Feinde der Dekadenz eines welschen Bohemiens zu steigen, der in der verruchten Atmosphäre von Pariser Varietés, Nachtclubs und Bordellen ein Lotterleben führte und die Plakatreklame salonfähig machte. Zu Zeiten des letzten deutschen Kaisers, der die französische Avantgarde hasste, mussten die Fürsprecher*innen der modernen Malerei aus Berlin fliehen und sich nach Weimar zurückziehen. Im Rückblick hatte das ja auch sein Gutes.

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