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Queere Krönung
Berlin hat seine erste Weinkönigin – und es ist eine Dragqueen
Hohe Schuhe, kurze Röcke und vier Paar Beine, galant übereinandergeschlagen: Die Bewerberinnen um den Titel der ersten Berliner Weinkönigin haben gerade auf wackeligen Barhockern Platz genommen und müssen sich nun den Fragen der Jury stellen. Die ehemalige badische Weinkönigin Simona Meier hat sich etwas für die vier Dragqueens einfallen lassen. "Es gibt ja im Weinland Deutschland ganz verrückte Namen für die speziellen Weinlagen. Dazu zählt der Kröver Nacktarsch, der Bernkasteler Doctor oder auch der Odenheimer Königsbecher", erklärt die Winzerin, die den Showabend mit ihren Weinen begleitet. "Jetzt ist die Frage: Wenn ihr die Wahl hättet, hier in Berlin eine Weinlage zu bestimmen, wie sollte die heißen?"
Es ist die zweite von insgesamt drei Herausforderungen, an denen sich die Dragqueens am Montagabend im Meistersaal, Nähe Potsdamer Platz, messen lassen müssen. Neben den kritischen Fragen der Jury gilt es für Nova Duh, Harpy Fatale, Foxglove und Intervention Rachel auch, in einer klassischen Drag-Disziplin, der Lippensynchronisation, zu überzeugen. Präsentiert werden einstudierte Choreografien, während die Performerinnen ihre Lippen stumm zum Playback bewegen. Durch den Saal dröhnen "Bloody Mary" von Lady Gaga, "Let’s get loud" von Jennifer Lopez – und eine Audioaufnahme von Dieter Bohlen bei der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar".
Nach gut dreieinhalb Stunden und einem großen Finale, bei dem die Dragqueens als Models über den Laufsteg schreiten, steht die Gewinnerin fest. Mit entschlossenem Auftreten und viel Humor, der schon zu Beginn in der eher ungewöhnlichen Interpretation eines Schuhplattlers gipfelt, begeistert Intervention Rachel sowohl Jury als auch Publikum.
Der Titel passt der Weinkönigin wie angegossen, auch wenn sie gesteht, dass sie eigentlich gar nicht in Berlin geboren wurde. "Ich komme tatsächlich aus einem kleinen Weinort in Baden-Württemberg und mein Vater ist Vorsitzender des Weinbaumuseumsvereins", sagt die Dragqueen. Gerade für den Vater sei es ein Höhepunkt, "wenn sein Sohn als Weinkönigin zurückkommt". Für ihre eigene Berliner Weinlage hat sich Intervention Rachel mit einem eher simplen Namen begnügt: "Ich glaube, ich würde einfach sagen: ›Schmeckt‹."
Die Konkurrenz, die sich beispielsweise für eine Berliner Weinsorte namens "Dunkle Hure" stark machte, ist trotz der vermeintlichen Niederlage alles andere als enttäuscht. "Das hier war mein erstes Drag-Race", sagt Nova Duh zu "nd", der die Freude nach der Preisverleihung anzusehen ist. Seit mittlerweile zwei Jahren performt die 35-Jährige, dabei geht es nicht nur um Drag, sondern auch Burlesque und Kabarett. "Wenn ich ehrlich bin, sehe ich mich gar nicht so sehr als Dragqueen, sondern ich mache queere Performance." Schon als Kind habe sie versucht, weibliche Energie nachzuahmen und sei davon fasziniert gewesen.
Geboren wurde Duh in Mexiko, hat das Land aber vor zehn Jahren verlassen. Ihren letzten Besuch, bei dem sie auch als Kabarettistin auftrat, hat sie in keiner allzu guten Erinnerung. Im Moment sei es in Südamerika oft schwer für queere Performer*innen aufzutreten, auch wenn der Einfluss feministischer Bewegungen zunehme. "In Berlin fühle ich mich sehr sicher mit dem, was ich mache, aber natürlich wurde ich in meiner Vergangenheit immer wieder mit Gewalt konfrontiert." Dass es auf der Welt so viel Hass gegen queere Menschen gebe, mache sie traurig.
Beim Abend im Meistersaal spielt der Wettbewerb selbst für Duh eine demensprechend kleine Rolle. Im Fokus steht für die Performerin vielmehr das Gesehenwerden. "Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, zu gewinnen. Auch wenn ich natürlich eine Königin bin", sagt Duh und lacht. Am Ende gehe es um den Spaß daran, auf der Bühne zu stehen. "Wir müssen uns nicht schämen. Jede queere Story ist eine wichtige Story."
Die queeren Feierlichkeiten zu verdanken haben die Anwesenden letztlich Bernhard Moser. "Ich kämpfe seit nahezu zehn Jahren für diesen Abend", sagt der Leiter des Eat-Berlin-Festivals, in dessen Rahmen der Wettbewerb ausgetragen wurde, kurz nach der Krönung. Lange habe er suchen müssen, um jemanden zu finden, der den Mut gefunden habe, sich für den Abend bereitzuerklären.
Die Idee hinter der Veranstaltung ist laut Moser offensichtlich: "Diese ganze Weinköniginnensache an sich, die da in den Dörfern durchgeführt wird, ist ganz fürchterlich. Ich finde es hochgradig wild, was dort mit den jungen Frauen gemacht wird." Den eigenen Showabend will der Veranstalter als eine Art Gegenprogramm verstanden wissen. "Wenn wir es in Berlin machen, dann machen wir es geil", sagt Moser.
Tatsächlich wird an diesem Montagabend nicht nur einiges auf der Bühne, sondern auch auf den Tellern der Gäste geboten. Renommierte Köche lassen zwischen den Aufführungen eigene Kreationen auftischen. Auf dem Programm stehen "convierte Fjordforelle auf Beluga-Gemüselinsen mit Kartoffel-Nussbutterschaum und Forellenkaviar" oder auch "Langustino Königsberger Art". Für das dreieinhalbstündige Abendprogramm werden 179 Euro pro Ticket verlangt – deutlich mehr als bei einer konventionellen Wahl zur Weinkönigin.
Die Winzerin Simona Meier, selbst queer, spricht trotzdem von einer "ganz große Ehre", an dem Festakt mitgewirkt zu haben. "Für mich war das Jahr als badische Weinprinzessin die Hölle", sagt das Jury-Mitglied. Der Verband sei, im Gegensatz zur Gesellschaft, noch nicht bereit genug gewesen. "Wir müssen uns einfach von diesem angestaubten Weinköniginnenleben verabschieden und das haben wir heute Abend gemacht."
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