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  • Queere Kunst und Islam

Queer, arabisch, lebensfroh

Eine Ausstellung in Paris zeigt nicht-heterosexuelle Motiviken in der Kunst der islamischen Welt

  • Julian Volz
  • Lesedauer: 5 Min.
Alireza Shojaian, »Yannnick Blossom at the mention of your name«.
Alireza Shojaian, »Yannnick Blossom at the mention of your name«.

Wenn hierzulande über LGBTQI*s in der vom Islam geprägten Welt gesprochen wird, kommt meist Schräges heraus. Da gibt es auf der einen Seite die Kulturkämpfer*innen, die – etwa in dem Band »Beißreflexe« von Patsy l’Amour LaLove – pauschal von »grauenvollen Bedingungen von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in muslimischen Ländern« fabulieren. Die Herausgeberin des Bandes belegt dieses Urteil in ihrem Beitrag mit drei Zeitungsartikeln, die sich allerdings nur auf die Situation von Homosexuellen im Iran beziehen. Auf der anderen Seite gibt es kulturrelativistische Autor*innen wie Georg Klauda oder Zülfukar Çetin, die verkünden, Sex unter Männern sei eine alte kulturelle Tradition im Islam, die mit Beschreibungen wie Homosexualität oder Queerness nichts zu tun habe. Wer sich auf diese Konzepte beziehe, spiele bloß dem westlichen Imperialismus in die Hände.

Dass beide Positionen an den Lebensrealitäten von queeren Menschen in vielen islamischen Ländern und ihrer Diaspora vorbeigehen, zeigt auf erfrischende Weise die Ausstellung »Habibi, les révolutions de l’amour« (Revolutionen der Liebe) im Pariser Institut du Monde Arabe (IMA). Die in ihr versammelten 23, meist in den 1980er oder 1990er Jahren geborenen Künstler*innen hantieren ganz selbstbewusst mit Konzepten wie »queer«, »trans« und »homo«. Auf die gängigen Narrative – Repression und Depression in der arabischen Welt – stößt man in ihren Arbeiten kaum. Stattdessen bringt die Ausstellung eine Lebensfreude rüber, die ansteckt.

So ist etwa eine mit »Ballroom« betitelte immersive Videoinstallation zu sehen, in der die libanesische Dragqueen Anya Kneez mit einem bärtigen Bauchtänzer überlebensgroß zu Klassikern der arabischen Popmusik tanzt. Oder man begegnet einer Fotografie, auf der Rizlaine, eine non-binäre Person, eine arabische Bluse trägt, auf ihrem Bett steht und stolz in die Kamera schaut. Laut Bildzeile sagt sie: »Ich danke Allah jeden Tag dafür, dass ich nicht hetero bin.« Das Bild entstammt der Serie »Djinn« der Fotografin Camille Farrah Lenain. Ihr Onkel, der 2013 an den Folgen von Aids starb, war für lange Zeit der einzige schwule Algerier, den sie kannte. Für ihre Fotoserie hat sie sich auf die Suche nach der queer-muslimischen Community in Frankreich gemacht und dabei eine Reihe interessanter Menschen porträtiert. Der in Beirut lebende Fotograf Mohamad Abdouni präsentiert seine Archivrecherchen über transidentitäres Leben im Beirut der 90er Jahre. Wie er berichtet, waren in der Stadt nach dem Ende des Bürgerkriegs enorme Freiräume entstanden, die zu einer seitdem nicht mehr erreichten Blüte queerer Kultur führten. In der Schau zeigt er eine Auswahl von Fotografien von der Person Em Abed, etwa bei der Arbeit an einer Maschine stehend, glücklich inmitten einer Gruppe lachender älterer Frauen bei einem Ausflug und in verschiedenen Kleidern während eines Drag-Balls.

Wie Élodie Bouffard, eine der drei Kurator*innen der Ausstellung, im Gespräch mit dem »nd« erläutert, habe sich der Tenor der Ausstellung aus den Arbeiten der Künstler*innen von selbst ergeben: »Die Künstler*innen schaffen mit ihren Arbeiten eine neue Realität, die sich dem Institut der arabischen Welt quasi aufgezwungen hat.« Dabei war das Projekt von Beginn an als Kunstausstellung geplant. »Wir wollten den Künstler*innen eine Plattform für ihren eigenen künstlerischen Ausdruck geben und ihnen nicht von außen einen soziologischen oder politischen Diskurs überstülpen.«

Auch Fragen der Repression und des Exils werden in der Ausstellung verhandelt. Je nach geografischem und politischem Kontext steht es darum ganz unterschiedlich. Abdouni kann seiner Kunst im Libanon relativ frei nachgehen. Der Künstler Soufiane Ababri, der in der Schau mit seinen expressiven und sehr expliziten »Bedworks« (Zeichnungen, die unter anderem auch schwulen Sex zeigen) vertreten ist, lebt vor allem deshalb in Frankreich, weil er dort einen viel besseren Anschluss an die Kunstszene hat, als es in Marokko der Fall wäre. Der Maler Alireza Shojaian musste hingegen aus dem Iran über Beirut nach Paris flüchten, weil es für ihn in Teheran keinerlei künstlerische und sexuelle Entfaltungsmöglichkeiten gab. Im IMA ist er unter anderem mit seinem Gemälde »The Mirror« von 2018 vertreten. Es zeigt den Künstler in einem Spiegel, außerdem fünf Fotografien: Eine wurde von der schwulen Künstlerikone Robert Mapplethorpe aufgenommen, eine zeigt den US-amerikanischen LGBT-Aktivisten Harvey Milk, eine weitere den Künstler während seines Militärdiensts im Iran. Auf der vierten ist zu sehen, wie er in Beirut glücklich einen Mann streichelt und auf der fünften zwei sich küssende Frauen. Das letzte Bild entstammt der »Kissing Series« des libanesischen Konzept- und Videokünstlers Akram Zaatari, der es aus dem Archiv des in den 1950er und 1960er Jahren im südlibanesischen Sidon aktiven Fotografen Hashem El-Madani geborgen hat. Wie Shojaian erzählt, wollte er mit dieser Arbeit auf künstlerische Arbeiten und Ereignisse reflektieren, die ihn grundlegend beeinflusst haben. Indem er sich Elemente der westlichen queeren Kunstgeschichte aneignet und sie mit Einflüssen aus der vom Islam geprägten Welt verbindet, entwickelte er seine eigene Bildsprache. Westliche Künstler*innen prägten in der queeren Kultur den Stil immer noch stärker als solche aus den anderen Teilen der Welt. Mit seiner Kunst will er dazu beitragen, diese Hegemonie zu untergraben. Es ist das Verdienst der Ausstellung, Queerness und Homosexualität aus einem rein westlichen Kontext zu lösen und solche Konzepte transkulturell zu erweitern.

»Habibi, les révolutions de l’amour«, bis zum 19. Februar 2023, Institut du Monde Arabe, Paris

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