Gemischte Gefühle in Texas

Mit Greg Casar zieht ein weiterer linker Demokrat in das US-Repräsentantenhaus ein. Ein Lichtblick an einem ansonsten durchwachsenen Wahlabend

  • Stefan Liebich
  • Lesedauer: 4 Min.
Greg Casar, hier zusammen mit Bernie Sanders.
Greg Casar, hier zusammen mit Bernie Sanders.

Waffen und Cowboyhüte waren bei der Wahlparty in Austin, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Texas, nicht zu sehen. Hier im »Hotel Vegas« feierten stattdessen Hunderte Linke in bunten Outfits den Einzug eines neuen progressiven Kandidaten in das Repräsentantenhaus. Ein fröhlicher Mix aus Spanisch und Englisch lag in der Luft der Outdoor-Szene-Bar. DJ Chorizo Funk legte auf. Greg Casar hat seinen Wahlkreis mit 72 Prozent der Stimmen souverän gewonnen, verkündete der Wahlleiter unter großem Jubel. »Let’s do it Texas!«, rief der 33-jährige Sohn mexikanischer Einwanderer in den Saal.

Aber nicht überall konnten die Demokraten feiern. Auch wenn es nicht ganz so schlimm kam wie von den Republikanern erhofft, hatten sie schmerzhafte Niederlagen zu beklagen. Es ist bei Wahlen in der Mitte der Amtszeit des Präsidenten nicht unüblich, dass dessen Partei abgestraft wird. Auch wenn derzeit über die Mehrheiten in beiden Kammern des US-Kongresses noch keine Entscheidungen gefallen sind, sieht es so aus, als sei Joe Biden noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Bei den Republikanern haben nun hingegen die Anhänger der Lüge einer gestohlenen Wahl im Jahr 2020 die Mehrheit im Parlament.

Rebekah Allen, Politikredakteurin der »Texas Tribune«, sagte auf nd-Anfrage, um welche Themen es den Wähler*innen in Texas ging: »Das unterschied sich sehr stark, je nach politischer Ausrichtung. Den republikanischen Wählern ging es um Inflation, und sie waren über die Einwanderung an unserer Grenze zu Mexiko besorgt. Die Kandidaten der Demokraten machten in Texas und landesweit vor allem mit dem Abtreibungsurteil des US-Verfassungsgerichts Wahlkampf.« In Texas sind Abtreibungen inzwischen verboten.

Der linke US-Senator Bernie Sanders hat die Strategie der Demokraten, sich auf das Thema Abtreibungen zu beschränken, kritisiert. Und Mike Siegel bestätigt das. Er hatte sich 2018 und 2020 als Kandidat der Demokraten für das US-Repräsentantenhaus beworben, war aber jeweils knapp unterlegen. »Die Frage, die Bernie zu beantworten versuchte, lautete: Wie bringt man arme Menschen dazu zu wählen? Viele von ihnen müssen zuerst über die Kosten für Benzin und Milch nachdenken. Sie können kaum ihre Rechnungen bezahlen.«

Bei den Gouverneurswahlen in Texas konnte sich ihr Kandidat Beto O‹Rourke nicht gegen den republikanischen Amtsinhaber Greg Abbott durchsetzen. Dabei machen die nicht-weißen Texaner*innen inzwischen 60 Prozent der Einwohner*innen aus. Zudem wohnen viele Menschen in diesem Bundesstaat nicht auf einer Ranch, sondern in großen und mittelgroßen Städten, die politisch eher in Richtung der Demokraten ticken. Dass es trotzdem nicht für deren Mehrheit reichte, liegt auch daran, dass die Republikaner ihre Mehrheit dafür missbrauchen, das Wählen sehr schwer zu machen.

»Eine Stunde Wartezeit ist normal. Oft dauert es länger«, sagt Rachel Castignoli auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Rathaus von Austin mit Blick auf die langen Schlangen vor den Wahllokalen. Die Orte, an denen gewählt werden kann, wurden reduziert. Man sieht die Konsequenzen. »Der Wahltag ist zudem ein normaler Arbeitstag und die Kinderbetreuung hier ist nicht gut.« Rachel lebt seit 2014 in Texas. Sie sagt, dass viele Menschen in Texas nicht wählen, weil sie nicht registriert sind. Das ist oft nicht einfach und manchmal sogar unmöglich. Wer zum Beispiel einmal verurteilt wurde, darf nicht wählen. Mike Siegel sagt: »Ein Grund, warum die ländlichen Gebiete so republikanisch sind, ist die Unterdrückung von Wählern. Besonders Afroamerikanern in den ländlichen Gebieten wird es schwer gemacht, und Migranten aus Mexiko werden von der Einwanderungsbehörde terrorisiert. Die ländlichen Gebiete könnten viel progressiver sein. Aber auch von der Demokratischen Partei werden sie im Stich gelassen.« Rachels Blick in die Zukunft ist eher düster: »Ich denke, es wird schlimmer werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir 2024 einen republikanischen Präsidenten bekommen werden.«

Aber es gibt auch Grund zur Hoffnung. Die ganz linke Gruppe im US-Parlament um die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ging gestärkt aus der Wahlnacht hervor. Nicht nur haben alle sechs bisherigen Mitglieder des »Squad« ihre Wahlkreise wieder gewonnen, es werden weitere hinzukommen. Einer von ihnen wird Greg Casar sein. Er sagte am Wahlabend in seiner Siegesrede im »Hotel Vegas«: »Die progressive Bewegung ist lebendig und gesund!«

Der ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich ist Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.

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