- Politik
- Femizid in Leipzig
»Frauenhass wird verschleiert«
Die Initiative »Keine mehr« hält Gedenkfeier für eine ermordete Sexarbeiterin ab
Am Ende der Eisenbahnstraße im Leipziger Osten sind am Donnerstagabend rund 100 Menschen zu einer Gedenkfeier zusammengekommen. Der Anlass: Hier im Hotel »Adler« kam am 10. November eine 31-jährige Sexarbeiterin, die sich Malina nannte, gewaltsam zu Tode. Der 42-jährige Tatverdächtige Danny M. hatte das Hotelzimmer, in dem die Frau tot aufgefunden wurde, angemietet. Er sitzt in Untersuchungshaft und schweigt bislang zu den Vorwürfen. Angemeldet wurde das Gedenken von »Keine mehr«, einer Leipziger Initiative, die Femizide dokumentiert und im öffentlichen Raum sichtbar machen will. »Die Gründe für Femizide liegen in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis, in dem Männlichkeit bedeutet, Macht und Kontrolle über Frauen auszuüben«, sagt Hanna, Aktivistin bei »Keine mehr« in ihrem Redebeitrag. Auch der mutmaßliche Täter habe dieses Besitzdenken gezeigt. Der Mord an Malina sei der 14. Femizid, den die Gruppe in Leipzig dokumentiert.
Über die Frau ist nicht viel mehr bekannt als das was in Polizeimeldung und Boulevardpresse steht. Offenbar war sie vor einem Jahr mit ihrer Schwester aus der bulgarischen Stadt Lukovit nach Deutschland gekommen. Das, was Malina in der schlimmsten Konsequenz von Gewalt geschah, ist laut dem Europäischen Netzwerk für die Förderung der Rechte und der Gesundheit von Sexarbeiter*innen mit Migrationshintergrund (Tampep) keine Seltenheit. Gemäß einer Statistik des Netzwerks von 2019 erleben 80 bis 85 Prozent der Sexarbeiter*innen in Deutschland Gewalt. Dies zeige, dass Legalität Prostituierte nicht schütze, sagt Alina Unverzagt von der Leipziger Ortsgruppe des prostitutionskritischen Vereins Sisters, der den Ausstieg aus der Prostitution unterstützt.
81 Prozent der Sexarbeitenden in Deutschland besitzen laut Statistischem Bundesamt keine deutsche Staatsbürgerschaft. Auch Malina war eine Migrantin. Zu dem Mord an ihr findet Unverzagt deutliche Worte: »Die Frau ist nicht nur ihrem Täter zum Opfer gefallen, sondern einem Patriarchat, das Prostitution hervorbringt. Wenn Prostitutionsbefürworter*innen sagen, dass sich einfach nur die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen oder Prostituierten ändern müssten, dann vergessen sie, dass Frauen ihren Körper verkaufen und es eben nicht per se um einvernehmlichen Sex geht. Wir wollen festhalten: Konsens kann nicht erkauft werden und Prostitution ist eben kein Job wie jeder andere. Wie kann von einem normalen Beruf und Konsens ausgegangen werden, wenn Gewalt wie in diesem Fall inhärenter Bestandteil dessen ist«, sagt sie am Rande der Kundgebung.
Das aktuelle Prostituiertenschutzgesetz sei ein Minderheitenschutzgesetz und schütze nicht die Mehrheit derjenigen, die nur schwer einen Weg aus der Prostitution fänden und von Gewalt betroffen seien. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Deutsche Institut für angewandte Kriminalitätsanalyse (Diaka) in seinem Gutachten »Sexkauf – eine rechtliche und ethische Untersuchung« vom Oktober 2022. Demnach ist es dem Gesetzgeber nicht möglich, Gewaltfreiheit durch den Freier und Würdeschutz zu garantieren. »Trotz der Kenntnis über schwerwiegende strafbare Handlungen und sexuelle Ausbeutung gegenüber Menschen in der Prostitution fehlt es Polizei und Strafverfolgungsbehörden insbesondere an den entsprechenden gesetzlich zu schaffenden Eingriffsbefugnissen«, heißt es dort. »Die Konsequenzen einer solchen liberalen Gesetzgebung sieht man an Fällen wie diesen«, so Unverzagt.
Über den Fall der ermordeten Malina wurde bundesweit bislang wenig berichtet; darüber, dass ihr Fall nicht der einzige in Deutschland ist und Prostituierte mit einer zwölf- bis 18-fach höheren Wahrscheinlichkeit einem Tötungsdelikt zum Opfer fallen als andere Berufsgruppen, in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht. Eine Verbindung zwischen der Gewalt, die Malina widerfuhr, ihrer Tätigkeit und einem damit einhergehenden Anspruchsdenken des
mutmaßlichen Täters vermag keiner der Berichte herzustellen. Lediglich Boulevardmedien berichteten verharmlosend über den Fall. Im Fokus dieser Berichterstattung steht bislang, dass der mutmaßliche Täter offenbar in sein Opfer verliebt gewesen sei und Malina habe heiraten wollen. Das Wort Femizid fehlt in allen bisherigen Berichten, aus einer Prostituierten wird beschönigend eine Liebesdame. »Dass Frauenhass hier eine Rolle gespielt haben könnte, verschleiern solche Artikel. Oft stehen die Gefühle der Täter und deren Verhältnis zum Opfer im Vordergrund«, so Unverzagt. Auch »Keine mehr« kritisiert diese Berichterstattung. »Oftmals werden solche Taten zu Beziehungstaten verklärt, verübt von Männern, deren Liebe nicht erwidert wurde«, so Hanna, Aktivistin bei »Keine mehr«.
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