»Wir brauchen einen Sozialgipfel«

Für die Präsidentin der Volkssolidarität, Susanna Karawanskij, ist die Strom- und Gaspreisbremse zu wenig

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie schätzen Sie die geplanten Entlastungen der Bundesregierung für Strom- und Gaskunden ganz allgemein ein?

Sie kommen natürlich ziemlich spät. Außerdem ist das Gießkannenprinzip nicht zielführend, sie hätten vielmehr passgenauer auf Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen ausgerichtet werden sollen. So vermuten wir, dass die geplante Entlastung für viele nicht ausreichen wird, da sie die hohen Kosten ja schon längst vorfinanzieren müssen. Sehr viele private Haushalte sind finanziell längst total überlastet. Doch auch bei den sozialen Unternehmen gibt es viele, die sich große Sorgen machen. So wissen beispielsweise viele Pflegeeinrichtungen oder auch »Essen auf Rädern« nicht mehr, wie sie die enormen Kosten stemmen sollen.

Interview

Susanna Karawanskij, Präsidentin der Volkssolidarität, kritisiert unter anderem, dass die Sozialverbände nicht an den Entscheidungen zu den Entlastungspaketen beteiligt werden. Auch dass die Regierung plant, die Abfederung der hohen Preise auf dem Energiemarkt über Schulden zu finanzieren, hält sie für falsch. Am Dienstag legte die Ampel-Regierung, gerade noch vor dem Beginn der Haushaltsberatungen für den Etat 2023 im Bundestag, die Gesetzentwürfe für die Strom- und Gaspreisbremse sowie eine Übergewinnsteuer für Kraftwerksbetreiber vor. Bei den Gaspreisen soll die Deckelung bei zwölf Cent pro Kilowattstunde liegen, beim Strompreis bei 40 Cent. Karawanskij ist auch Politikerin der Linkspartei und seit dem 9. September 2021 im Kabinett Ramelow II Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft in Thüringen.

Was hätte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach besser machen können?

Vor allem müssen endlich die Sozialverbände in die Entscheidungen zu den Entlastungspaketen einbezogen werden. Wir brauchen einen richtigen Sozialgipfel. Die Volkssolidarität hat als einer der Erstunterzeichner zum »Solidarischen Herbst« aufgerufen, weil die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiter und zwar gefährlich weit auseinandergeht. Die Gerechtigkeitsmaschine – die Steuerpolitik – läuft nicht mehr. Und zwar deshalb, weil der Staat überhaupt nicht mehr in Erwägung zieht, über Einnahmen bei den Reichen für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen. Es gibt politisch zum Beispiel überhaupt keine Diskussionen mehr über eine Erbschaftssteuer oder Übergewinnsteuer. Und auch höhere Spitzensteuersätze sind so gut wie tabu, wie wir bei der Abstimmung vor zwei Wochen im Bundestag zu einer Abgabe von Multimillionären und Milliardären gesehen haben.

Selbst die sogenannten Wirtschaftsweisen hatten das ja vorgeschlagen, um die Energiekrise abzufangen und vor allem denen zu helfen, die eine Gaspreiserhöhung besonders trifft. Die Ökonomen hatten betont, dass dies der »einzige Weg zu sozial und ökologisch gerechter Krisenbewältigung« sei. Und im Resultat greift das dann nur Die Linke auf und alle anderen Parteien stellen sich dagegen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wenn das Scheitern des Antrags daran gelegen haben sollte, dass er von der Linken kam, kann ich nur sagen: Die Regierung hat ja die Möglichkeit, selbst einen diesbezüglichen Antrag einzubringen. Doch es ist ja auffällig, dass bei ihr das Interesse an Ergebnissen wissenschaftlicher Studien – sei es bei Corona oder eben auch in sozialen Fragen – nicht sehr ausgeprägt ist. Meine Sorge ist, dass die erste Brille, durch die da geschaut wird, immer die der Wirtschaft ist und nicht die der sozialen Probleme. Aber so gibt man das Solidarprinzip letztlich auf.

Noch mal konkret zur Gas- und Strompreisbremse: Werden damit Ihrer Meinung nach alle, die es tatsächlich brauchen, auch wirklich entlastet?

Wenn man auf der Ebene solcher einzelnen Maßnahmen wie der Gas- und Strompreisbremse oder auch des sogenannten Dezemberabschlags beziehungsweise der Soforthilfe Dezember bleiben will, dann reichen diese längst nicht aus. Wir fordern, wie auch die Verbraucherzentralen und der Deutsche Mieterbund, unbedingt weitere Maßnahmen wie Moratorien bei Gas und Mieten und für Strom- und Heizsperren. Denn wie gesagt sind viele Haushalte durch die Vorfinanzierung schon stark überlastet und die Energiearmut führt geradewegs in die Armutsfalle. Und aus dieser kommt man dann auch nicht in ein oder zwei Jahren wieder heraus.

Noch mal etwas weiter gefasst: Mehr Entlastung soll ja auch das 49-Euro-Ticket bringen. Halten Sie den Preis für niedrig genug, um arme Menschen tatsächlich zu entlasten?

Nein. Das 49-Euro-Ticket passt zum Beispiel überhaupt nicht in die Leistungsberechnung für Hartz IV-Bezieher und auch nicht für diejenigen, die mit Hartz IV aufstocken. Dort sind Mobilitätskosten von gerade einmal 30 Euro vorgesehen. Daher sind Berlin mit einem 29-Euro-Ticket und Thüringen mit der Idee eines 28-Euro-Tickets Vorreiter für eine tatsächlich soziale Mobilität. Ein einheitliches, günstiges Ticket ist eine große Chance für eine echte Mobilitätswende. Doch auch hier braucht es viel mehr Geld im System, damit der ÖPNV und die entsprechende Infrastruktur gestärkt werden. Wir müssen am Ende zu einem 365-Euro-Jahresticket kommen, also zu einem Euro pro Tag.

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