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Die WM der Doppelmoral – Kritik an der Katar-Kritik

Über Bashing und antimuslimische Vorurteile in der Diskussion um den WM-Gastgeber

  • Rameza Monir
  • Lesedauer: 4 Min.
Als "Leichentuch" wurde im ZDF das Gewand des WM-Maskottchen La'eeb beschrieben.
Als "Leichentuch" wurde im ZDF das Gewand des WM-Maskottchen La'eeb beschrieben.

Bereits Wochen vor dem Turnierstart wurde von zahlreichen Fanorganisationen, Nachrichtenplattformen und Agenturen zum Boykott der WM in Katar aufgerufen. Neben der Dunkelziffer der toten migrantischen Arbeiter sprechen die schlechten Bedingungen für sich: Noch immer werden dort Arbeiter ausgebeutet, sie machen unbezahlte Überstunden und leben in kleinen, dreckigen Quartieren. Auch die Aussage des WM-Botschafters Khalid Salman, Homosexualität sei ein »geistiger Schaden«, kam dem Image des Emirats Katar nicht zugute. Fehlende Frauenrechte und Verbot von Homosexualität sind nur einige der Menschenrechtsverletzungen, die das Land unter massive Kritik geraten ließ.

Rameza Monir
Rameza Monir
Foto: privat
Rameza Monir ist freie Journalistin und
schreibt unter anderem über Rassismus.

Trotz der legitimen Kritik an der WM frage ich mich, wieso nicht bereits in der Vergangenheit diese kritische Haltung und der zivilgesellschaftliche Ruf nach Menschenrechten so laut wurden? Die fehlende Akzeptanz von sexuellen Minderheiten und die schlechten Bedingungen der Arbeiter*innen waren schon bei der WM 2018 in Russland ein Thema. Die Fifa und die russischen Organisatoren der Weltmeisterschaft 2018 waren darüber informiert, dass am Stadionbau in Sankt Petersburg nordkoreanische Arbeiter unter Bedingungen mitgewirkt haben, die von internationalen Organisationen als moderne Form der Sklaverei bezeichnet wurden. Diese Menschenrechtsverstöße fanden zu dieser Zeit aber kaum Aufmerksamkeit bei der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland.

Derlei Diskussionen werden oft mit dem Vorwurf des »Whataboutism« abgewürgt. Fakt ist, dass gegen die menschenunwürdigen Bedingungen in Katar lautstark protestiert werden muss. Fakt ist aber auch, dass die Berichterstattung unserer Medien sich antimuslimischer Vorurteile auf eine selektive Weise bedient, wie sie gegenüber anderen Ländern kaum vorhanden ist. Wir sehen es beispielhaft am Kommentar der Sportjournalistin Inga Hoffmann, die die Eröffnungsfeier der WM 2022 als »aufgeblasen« und »bizarr« bezeichnete und das arabische Gewand des WM-Maskottchens einem Leichentuch gleichsetzte. Beim Spiel Deutschland gegen Spanien am Sonntagabend beschrieb Co-Kommentator Sandro Wagner im ZDF seinen Blick in die Zuschauerreihen so: »Ich dachte, ich sehe nur Deutschland-Fans, aber da waren die ganzen katarischen Bademäntel.« Millionen Menschen in der arabischen Welt ziehen einen sogenannten Thawb an.

Diese Überheblichkeit und moralische Empörung kritisierte auch Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel jüngst in einem Tweet: »Ich bin mal gespannt, was wir zur Fußball-WM in Mexiko sagen. In diesem Land werden pro Jahr etwa 1000 Frauen ermordet und die Dunkelziffer liegt weltweit höher. Mal sehen, ob wir mit einem christlich geprägten Land genauso hart ins Gericht gehen wie mit einem muslimischen.«

Kein Gastgeberland eines internationalen Sportereignisses ist wegen seiner Menschenrechtslage so stark angegriffen worden wie Katar zu dieser WM. Die scharfe internationale Verurteilung der Homofeindlichkeit hat ihre Berechtigung. Das geht jedoch auch ohne die Reproduktion von antimuslimischem und antiarabischem Rassismus. Viele Menschen in Deutschland haben bereits starke rassistische Vorurteile gegenüber arabischen oder muslimisch gelesenen Menschen. Diese WM-Berichterstattung verfestigt teilweise ebendieses rassistische Klischee. So werden fehlende Frauenrechte in Katar in hiesigen Debatten mit dem Islam in Verbindung gebracht. Das wirft die Islam-Debatte in Deutschland erneut um Meilen zurück. Was dem Zuschauer bleibt, ist der negative Beigeschmack dieser Assoziationen, die man zu einer sogenannten »arabischen Welt« und dem Islam hat. Also die Stereotypisierung der rückständigen »orientalischen« Gesellschaft.

Wir brauchen in Deutschland einen Perspektivwechsel, weg von einer Betrachtung des Turniers durch die eurozentrisch-orientalische Brille. Das Einstehen für Menschenrechte weltweit ist und bleibt ein wichtiges Anliegen, dabei sollten jedoch nicht unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe angelegt werden. Bei der Menschenrechtssituation in Katar ist es wichtig, die Stimme zu erheben. Aber genauso sollten wir bei anderen Missständen bewusst nicht wegschauen. Jedermann und jede Frau kann kritisch reflektieren, ob sich die eigene Kritik an der WM 2022 nicht plumper rassistischer Klischees bedient. Geht es hierbei wirklich um Menschenrechte oder um das »Bashing« in einer Empörungskultur?

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