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Die Spenden gehen aus
Berliner Obdachlosenhilfe braucht praktische Unterstützung angesichts von Kälte und Preissteigerungen
Vor allem Schlafsäcke und Männerkleidung fehlen. »Wir haben noch nie so wenige Kleiderspenden gehabt wie aktuell«, beschreibt die Sprecherin der Berliner Stadtmission, Barbara Breuer die Notlage, die auch die Hilfsorganisation angesichts der mittlerweile empfindlichen Kälte vor große Probleme stellt. Nach zwei Wintern, in denen die zahlreichen Wohlfahrtsverbände der Hauptstadt mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu kämpfen hatten, stehen sie mit der wachsenden Zahl Bedürftiger vor neuen Herausforderungen.
Zu Beginn des Krieges in der Ukraine vor gut neun Monaten war sehr viel Kleidung gespendet worden, sodass es kurzzeitig mehr als genug davon gab. Mittlerweile habe dies aber drastisch abgenommen: »Wir haben im Schnitt 100 Menschen hier am Tag, 30 davon sind Frauen aus der Ukraine. Letzte Woche hatten wir 170 an einem Tag, das sprengt dann einfach die Kapazitäten«, erklärte Breuer vor wenigen Tagen. Durch den Krieg, die Inflation und die Energiekrise kämen immer mehr Menschen in Berlin auch zur Stadtmission, um hier Hilfe zu suchen.
Dass die dringend benötigten Spenden weniger werden, ist auch deshalb ein Problem, weil ohnehin nur der geringste Teil tatsächlich an Bedürftige verteilt werden kann. »Was Berliner*innen spenden, ist oft nicht das, was Obdachlose am dringendsten brauchen«, erklärt Annett Kaplow, die den Textilhafen in der Storkower Straße leitet. Ganze zehn Prozent sind im Sinne der Helfer*innen und derjenigen, die darauf angewiesen sind, nutzbar: Dunkle, unauffällige einfache Sachen wie Kapuzenpullover und Jogginghosen. Lila Sakkos und gelbe Cordhosen werden daher eher in einem der vier Second-Hand-Läden der Stadtmission zugunsten von Bedürftigen verkauft.
Parallel zu der sinkenden Spendenbereitschaft können einzelne Notunterkünfte, darunter auch die der Stadtmission, mittlerweile wegen Überfüllung oft nachts keine Menschen mehr aufnehmen. Die Notübernachtung in der Lehrter Straße in der Nähe des Hauptbahnhofs ist eine von mehreren, in denen obdachlose Menschen in der kalten Jahreszeit nachts unterkommen können. Von November bis April bekommen sie dort ab 20 Uhr neben einem Schlafplatz auch etwas zu essen, können duschen und werden beraten. Für 125 Menschen gibt es Platz, oft sind es aber noch mehr. Und am Morgen müssen sie die Einrichtung wieder verlassen und zurück in die Kälte.
Grundsätzlich sei das Hilfesystem in Berlin »schon ganz gut ausgebaut«, sagt die Vereinssprecherin. Der unter anderem von der ehemaligen Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) ins Leben gerufene Masterplan, mit dem unfreiwillige Obdachlosigkeit bis 2030 abgeschafft werden soll, sei beispielsweise zu loben. »Trotzdem gibt es Menschen, die durchs Raster fallen und die es nicht schaffen, sich Kleidung und Essen zu holen.« Bis zu 70 Prozent der Menschen, um die sich die Stadtmission zur Zeit kümmert, haben laut Breuer eine psychische Erkrankung, die es ihnen viel schwerer mache, für sich zu sorgen. »Wir merken schon, dass die Not steigt in der Stadt«, sagt sie.
Über 90 Projekte und Einrichtungen gehören zur Berliner Stadtmission, darunter langfristige Unterkünfte und betreute Wohnprojekte. Allein 24 davon fallen in den Bereich Armut und Wohnungslosigkeit. Hinzu kommen Angebote von Caritas, Diakonie oder der Berliner Tafel. Nach der offiziellen Zählung von Obdachlosen im Januar 2020 sollen in der Hauptstadt 2000 Menschen auf der Straße leben. 55 000 Personen gelten offiziell als wohnungslos. In beiden Fällen dürfte die Dunkelziffer weitaus höher liegen – zumal unter dem Eindruck der Ereignisse der vergangenen Monate. Eine erneute Erhebung, wie sie für den Januar 2023 geplant war, wird es aber mangels Beteiligung von freiwilligen Zähler*innen nicht geben – vor wenigen Tagen wurde die bereits einmal verschobene Zählung erneut abgesagt.
Sicher ist: Deutlich mehr Menschen brauchen Unterstützung. Weil sie die Kosten zu Hause nicht mehr stemmen können, kommen sie verstärkt auch in die sozialen Einrichtungen. Aber auch für die Stadtmission stellen die Preissteigerungen ein zunehmendes Problem dar. Eine genaue Bezifferung sei schwierig, aber generelle Nebenkosten, Strom- und Fernwärmepreise seien für den Verein um bis zu 50 Prozent gestiegen, erklärt Barbara Breuer.
Angesichts der zunehmenden Notlagen Lösungen und Antworten zu finden, versucht auch die in diesen Tagen stattfindende 6. Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe. In zahlreichen Diskussionsrunden wird noch bis zum 8. Dezember über die Herausforderungen debattiert, vor denen Betroffene, Unterstützer*innen und Sozialträger stehen. Auch bei der als Veranstalterin fungierenden Senatsverwaltung für Soziales, die auf die Inbetriebnahme des neuen Systems einer gesamtstädtischen Steuerung zur Unterbringung gebaut hatte, dürfte angesichts von 10 000 zusätzlich zu schaffenden Plätzen für vor Ukraine-Krieg und anderen Krisen nach Berlin fliehende Menschen die Belastungsgrenze erreicht sein.
Und das zusätzlich zur »Versorgungslücke«, wie es Katharina Loos von der Notunterkunft für wohnungslose Frauen der FSD-Stiftung beschreibt. Projekte wie dieses, sagt sie, können der verdeckten Obdachlosigkeit vor allem von Frauen zwar entgegenwirken. Allein, es fehlt an Plätzen, Einrichtungen und Personal. Auch die Akquise von Räumlichkeiten, um mehr Angebote von Housing First unterbreiten zu können, für die der Senat über sechs Milliarden Euro im aktuellen Doppelhaushalt eingestellt hat, erweist sich als schwer zu lösende Aufgabe.
Dabei geht es fast allen obdach- und wohnungslosen Menschen nur darum: einen Ort, um zur Ruhe und mit der nötigen Unterstützung in ein anderes, vielleicht sogar »normales Leben« zu kommen, wie Kai-Uwe Wortmann in einer Diskussion der Strategiekonferenz erklärt: Nach drei Jahren auf der Straße habe erst der feste Platz in einer Wohneinrichtung der FSD-Stiftung dafür gesorgt, dass er wieder »planen, in die Zukunft und etwas aufbauen« könne. Mit dpa
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