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  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Noch nicht am Ziel

Kommission zum Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« hält in ihrem Zwischenbericht Vergesellschaftung für möglich

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.

Vonovia und andere Immobilienkonzerne sollten vielleicht schon mal die Taschen packen. Viel brauchen sie nicht zusammenzusuchen. Denn ihre Wohnungen werden sie wohl hier lassen müssen. Die Vergesellschaftung ist möglich. Das zumindest legt nun auch der seit Donnerstagabend kursierende Entwurf des Zwischenberichts der mit hochkarätigen Juristen besetzten Expertenkommission nahe. Rechtliche Einwände, die die Gegner der Vergesellschaftung vorbrachten, entkräftet das Gremium. Eine Empfehlung ist das nicht. Zudem bleiben auch einige Fragen offen. Doch die Euphorie in der Stadt ist schwer zu ignorieren. »Die Kommission hat bestätigt, was für mehr als eine Million Menschen vergangenes Jahr schon klar war: Berlin kann enteignen«, freut sich Isabella Rogner von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Dass die Freude nun so groß ist, obwohl die Kommission in dem Entwurf lediglich deutlich macht, was Aktivisten und einige Juristen schon lange sagen, liegt zum einen daran, dass die Einsetzung des Gremiums vom Senat von vielen nur als ein Manöver gesehen wurde, um die Umsetzung des an der Wahlurne erfolgreichen Volksentscheids auszusitzen. Namentlich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihr Bausenator Andreas Geisel (beide SPD) lehnen das Ziel von Deutsche Wohnen & Co enteignen bekanntlich vehement ab. Viel wichtiger ist aber zum zweiten, dass nun Experten, die von den Gegnern der Vergesellschaftung nicht mehr ignoriert werden können, die verfassungsrechtliche Machbarkeit bestätigen.

Die 13-köpfige Kommission prüft seit Ende April rechtliche Teilaspekte, die bei einer Vergesellschaftung der Immobilienbestände großer profitorientierter Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen berührt würden. In dem nun vorliegenden Entwurf für den Zwischenbericht gehen die Experten zunächst davon aus, dass, anders als es das Bundesverfassungsgericht dem Mietendeckel bescheinigte, die landesrechtliche Kompetenz zur Regelung einer Vergesellschaftung gegeben ist.

Zwar sei das Thema Gegenstand der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung, doch habe der Bund bisher von seiner Kompetenz bei der Vergesellschaftung von Grund und Boden noch keinen Gebrauch gemacht. Weil Ziel der Vergesellschaftung auch sei, »der Dynamik der Mietpreisentwicklung« entgegenzuwirken, wurde ebenso geprüft, ob sich aufgrund der Mietpreisbremse im Bund eine Sperrwirkung für die Vergesellschaftung auf Landesebene ergibt. Das sei »nach derzeitigem Diskussionsstand« zu verneinen.

In einer weiteren wichtigen Frage wird die Expertenkommission ebenfalls deutlich. So müsste als Entschädigung für die Vergesellschaftung nicht der Verkehrswert der Wohnungsbestände gezahlt werden. Wie sich die Entschädigungshöhe stattdessen errechnet, ist dabei weiterhin ungeklärt. Dass der symbolische Euro pro Wohnung, den Deutsche Wohnen & Co enteignen einmal vorgeschlagen hatte, nicht ausreicht, darin sind sich die Experten einig. Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob der Verkehrswert generell keine Grundlage ist, um die Entschädigung zu berechnen, oder ob vom Verkehrswert der Wohnungsbestände Abzüge wegen der spekulativen Gewinne der Unternehmen gemacht werden müssten.

Diese Form, in der zwei unterschiedliche Positionen zu einer Frage dokumentiert werden, zieht sich durch weite Teile des Zwischenberichts. Wenig verwunderlich, schließlich schreibt die Kommission bundesrepublikanische Rechtsgeschichte. Der Artikel 15 des Grundgesetzes, auf den sich die Vergesellschaftungsaktivisten beziehen, wurde bisher nie angewandt. Der Verfassungsrechtler Helmut Ridder unterschied bereits frühzeitig maßgeblich zwischen Vergesellschaftung und der in Artikel 14 des Grundgesetzes enthaltenen Enteignung.

Diese Besonderheit der Überführung in Gemeineigentum findet sich auch im Zwischenbericht. »Ein schlichter Transfer der Eigentumstitel zum Staat« sei ausgeschlossen. Es brauche eine Organisationsform, deren gemeinwirtschaftlicher Auftrag im Rahmen eines Vergesellschaftungsgesetzes dauerhaft gesichert sei. »Eine Anstalt des öffentlichen Rechts, wie sie von der Initiative des Volksentscheids vorgeschlagen wurde, ist jedenfalls ein geeigneter Träger«, schreibt die Kommission im Entwurf des Zwischenberichts.

Generell werden sowohl grundsätzliche Fragen erörtert – etwa, ob bei der Anwendung von Artikel 15 überhaupt das Gebot der Verhältnismäßigkeit gilt –, aber auch den Berliner Fall ganz konkret betreffende Aspekte. Zu letzterem gehören beispielsweise die Konsequenzen internationaler Investitionsschutzabkommen auf die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen börsennotierter Konzerne.

Der Diskussionsprozess sei »noch nicht abgeschlossen«, Punkte müssten noch »aufgegriffen« werden, seien noch »offen«, heißt es im Zwischenbericht. Nachdem der Entwurf am Donnerstagabend zuerst an die bekanntlich vergesellschaftungskritische »Berliner Morgenpost« durchgestochen worden und dann in viele weitere Hände geraten war, stellte die Kommission am Freitag etwas düpiert klar, dass der Entwurf noch beraten werde und noch keine Auskunft darüber möglich sei, »was die Kommission am Ende ihrer Beratungen beschließen wird«.

Offiziell soll der Zwischenbericht erst in der kommenden Woche vorgestellt werden. Der endgültige Bericht soll dann bis Ende April 2023 folgen, ein Jahr nach dem Start der Kommission. Zu klären sein wird bis dahin auch die Frage der Gleichbehandlung, die die Grenze von 3000 Wohnungen aufwirft, ab der die Unternehmensbestände vergesellschaftet werden sollen. Um dies beurteilen zu können, hat sich die Kommission am Freitag in einer Sachverständigenanhörung auch mit der Struktur des Berliner Wohnungsmarktes auseinandergesetzt. Es war der zweite öffentliche Termin des Gremiums.

Vier Arbeitssitzungen sind bis Ende April noch geplant. Dass dann ein klares Votum der Kommission vorliegen wird, darf bezweifelt werden. So vermutet die Stadtgeografin Susanne Heeg, die von der Vergesellschaftungsinitiative in die Kommission entsandt wurde: »Am Ende ist es vielleicht so, dass es eine bessere formulierte Situation von dem gibt, was wir jetzt schon haben: Ein paar sind dafür, ein paar dagegen.« Vermutlich werde es Sondervoten geben und unterschiedliche Stimmen würden zum Tragen kommen, denn: »Die Kommission entscheidet nicht.«

Und hier kommen die Parteien ins Spiel. Als der Zeitplan für die Kommission aufgesetzt wurde, war noch nicht klar, dass die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden muss. Auch wenn es nur ein Zwischenbericht ist, kommt für die Gegner der Vergesellschaftung die Einschätzung der Expertenkommission zur Unzeit.

Deutsche Wohnen & Co enteignen kündigte bereits an, bis zum Wiederholungstermin im Februar Wahlkampf gegen die Immobilienlobby in Parlament und Senat zu machen. »Der Senat hat keine Ausreden mehr und kann sich nicht länger hinter der Kommission verstecken«, sagt Initiativensprecherin Rogner am Freitag. Sie bekräftigt, dass der Senat nun ein Vergesellschaftungsgesetz ausarbeiten und dafür einen Zeitplan präsentieren müsse. »Wenn Giffey und Geisel weiterhin die Arbeit verweigern und stattdessen schützend die Hand über ihre Immobilienfreunde halten, dann werden sie am 12. Februar die Quittung dafür kassieren«, so Rogner.

Lediglich bei der Linken hat der Druck aus der Stadt bisher zu einem klaren Bekenntnis zur Vergesellschaftung geführt. Ob ihr der Rückenwind des Zwischenberichts an der Wahlurne nützt, bleibt abzuwarten. Linke-Landeschefin Katina Schubert gab zumindest schon die Losung aus, mit der Vergesellschaftung Geschichte schreiben und Druck dafür machen zu wollen, dass ein Vergesellschaftungsgesetz ausgearbeitet wird.

Auch die Grünen werden Farbe bekennen müssen. »Wenn man in einem Abstimmungsgesetz plebiszitäre Elemente schafft, dann muss man sich nicht wundern, wenn davon gebraucht gemacht wird«, hatte Grünen-Finanzsenator Daniel Wesener bereits am Mittwoch gesagt. Das aus der Volksabstimmung hervorgegangene Ergebnis sei die »Richtschnur«, erklärte Wesener, der angesichts der schon seit einigen Wochen kolportierten Informationen über einen vergesellschaftungsfreundlich ausfallenden Bericht schon gewusst haben wird, was für ein Papier die Expertenkommission in den Wahlkampf mitgeben wird.

Gäbe es noch andere Wege als über ein Vergesellschaftungsgesetz? »Ja, die Revolution womöglich, aber die ist jetzt vielleicht noch einen Tick unrealistischer, als ein verfassungskonformes Gesetz auf den Weg zu bringen«, scherzte Wesener am Mittwochabend. Zwar droht keine Revolution. Doch wenn die Vergesellschaftung in Berlin am Ende gelingt und zum ersten Mal der Artikel 15 des Grundgesetzes Anwendung findet, könnte das Vorhaben von Deutsche Wohnen & Co enteignen auch zur Blaupause für weitere gemeinwohlorientierte Transformationen in anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge werden. »Berlin kann nun Geschichte schreiben«, sagt auch Isabella Rogner.

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