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Brot, Frieden, Frauenquote

Bei der Abschlussdeklaration fanden Europas Linke schnell Einigung. Bei der Wahl der neuen Führung hakte es dagegen

Der neue EL-Präsident Walter Baier (vorn links) und sein Vorgänger Heinz Bierbaum
Der neue EL-Präsident Walter Baier (vorn links) und sein Vorgänger Heinz Bierbaum

Die Organisatoren des Kongresses der Partei der Europäischen Linken haben offensichtlich eine lyrische Ader: Peace, Bread, Roses – Frieden, Brot, Rosen, war das Motto der Konferenz in Wien, auf der am Wochenende nicht nur ein neuer Präsident des Vielparteienbündnisses gewählt wurde, sondern die Abgesandten von fast vier Dutzend linken und links-grünen Parteien ihre Strategie für die Europawahlen 2024 absteckten. Am Ende stand eine politische Erklärung, auf deren Basis ein gemeinsames Wahlprogramm stehen könnte.

Neun Forderungen für ein anderes Europa

1. Eine umfassende sozial-ökologische Transformation, die sich am Wohlergehen der Menschen orientiert und ökologische und soziale Bedürfnisse miteinander verbindet.
2. Eine nachhaltige ökologische und soziale Entwicklung ist in kapitalistischen Strukturen nicht zu erreichen. Die Arbeitnehmer selbst müssen eine aktive Rolle im Transformationsprozess spielen.
3. Menschenwürdige Lebensbedingungen für alle: Wohnen und Energie sind Gemeingüter und grundlegende Menschenrechte, keine Marktgüter. Wir können den notwendigen Übergang nicht dem Markt überlassen.
4. Ausweitung und Garantie verbesserter sozialer Rechte in Form eines sozialen Fortschrittsprotokolls. Wir fordern menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Löhne, von denen man leben kann.
5. Ausweitung und Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen: Wir brauchen öffentliche Investitionen in die Gesundheitsversorgung, den Wohnungsbau, die Bildung und die Kultur.
6. Beendigung aller Arten von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Rasse, Nationalität, Religion, sexueller Orientierung, Behinderung. Der Schutz aller Menschen und ihrer Rechte muss überall gewährleistet sein.
7. Verteidigung der Demokratie, der Volkssouveränität und der Rechtsstaatlichkeit, in Europa und anderswo, unter wirklich demokratischen Strukturen und gegen neoliberale und rechtsextreme Strukturen und Politiken.
8. Engagement für Frieden und Abrüstung. Der Krieg in der Ukraine muss aufhören. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand sowie den Abzug der russischen Truppen und die Rückkehr an den Verhandlungstisch.
9. Eine intensive Debatte über eine kollektive Sicherheitsarchitektur ist notwendig.
(aus der politischen Erklärung von Wien)

Zumindest um Brot und Frieden geht es ganz ausdrücklich in der Deklaration von Wien. Zentrale Elemente der am Sonntag beschlossenen Strategie sind die sozial-ökologische Transformation, der Ausstieg aus fossilen Energien sowie ausgeweitete und garantierte soziale Rechte in der EU, wofür Europas Linke die Verankerung eines sozialen Fortschrittsprotokolls im europäischen Vertragswerk fordert. Ausdrücklich dazu gehörten menschenwürdige Arbeitsbedingungen und armutsfeste Löhne. Zahlreiche Delegierte und Gäste des Kongresses, darunter der langjährige britische Labour-Chef Jeremy Corbyn, berichteten über die gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe in ihren Ländern. Nachdrücklich solidarisierte sich der Kongress mit den Protesten in Iran.

Während es in den sozialökonomischen Fragen weitgehend Übereinstimmung gab, sorgte der Ukraine-Krieg und die Haltung zur Nato für Debatten unter den über 40 Mitglieds-, Beobachter- und Partnerparteien der EL. Vertreter*innen von Linksparteien aus Süd- und Osteuropa hatten die Mitschuld des Militärbündnisses an der Eskalation des Ukraine-Konfliktes und letztlich des russischen Angriffs auf das Nachbarland thematisiert und eine klare Verurteilung der Nato gefordert. Insbesondere die skandinavischen Linksparteien sehen aufgrund der Nähe ihrer Heimatstaaten zu Russland die Rolle des Nordatlantikpaktes in der gegenwärtigen Situation jedoch eher als Sicherheitsgarant denn als Bedrohung. In der Schlusserklärung wurde mit der Verurteilung der russischen Aggression als Verbrechen und der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ein gemeinsamer Nenner gefunden. Die finnische Linksallianz, die in Helsinki an der Regierung beteiligt ist und somit auch für die Nato-Mitgliedschaft Finnlands steht, erklärte vor diesem Hintergrund in Wien, künftig kein Vollmitglied, sondern Beobachterpartei der EL sein zu wollen, sich aber trotzdem weiter aktiv in der Europäischen Linken zu engagieren.

»Mit den Forderungen nach Aufnahme von Verhandlungen, einem Waffenstillstand und Rückzug der russischen Truppen sind wir zu mehr als einem politischen Kompromiss gekommen«, erklärte der neue gewählte Präsident der EL, Walter Baier, in seiner Abschlussrede am Sonntag. »Wir engagieren uns gegen die Logik dieses Krieges, die darin besteht, dass eine Lösung nur auf dem Schlachtfeld gefunden werden kann.«

Der langjährige Chef des linken Thinktanks Transform!europe aus Österreich war auf dem Kongress als Nachfolger des Deutschen Heinz Bierbaum gewählt worden, dieser wird künftig dem Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorstehen. Am Sonnabend war Bierbaum, zugleich Vorsitzender der Internationalen Kommission beim Linke-Parteivorstand, mit zehnminütigen Ovationen verabschiedet worden. Bierbaums Verdienst ist es, die EL auch in den schwierigen Zeiten der Pandemie und des Ukraine-Krieges zusammengehalten und die Entwicklung von Konzepten forciert zu haben, die auch für andere progressive Kräfte, wie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltschutzbereich, anschlussfähig sind.

Mit Walter Baier bekommt die EL nun einen Präsidenten, der ebenfalls deren Entwicklung aus eigener Erfahrung kennt, gehörte er doch 2004 zu den Mitbegründer*innen des Bündnisses. Der Wirtschaftswissenschaftler war von 1994 bis 2006 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs und danach, bis 2020, Chef von Transform!europe.

Während die Wahl Baiers problemlos über die Bühne ging, sorgte die Bestimmung der Vizepräsident*innen für einige Reibereien. Die Parteien hatten für die ursprünglich auf vier beschränkten Posten ausschließlich Männer nominiert – in der heutigen Zeit und in einem linken Zusammenschluss ein Unding. Ohnehin hat die EL eine Schlagseite, seit ihrer Gründung stehen ausschließlich Männer an ihrer Spitze. Hinter den Kulissen hatte Bierbaum Gespräche mit den Delegationen geführt, um zumindest einige Frauen in den Vorstand zu bekommen. Dazu musste die Riege der Vizepräsident*innen auf sechs erweitert werde. Unten den Gewählten sind nun zwei Frauen, unter anderem die Linke-Politikerin Claudia Haydt, die bereits im Vorstand der EL saß.

Ohne Zweifel hat die Deklaration von Wien das Zeug für ein solides Wahlprogramm. Aber nur dann, wenn die Forderungen in der breiteren Gesellschaft ankommen. Dazu müssten die nationalen Parteien mitziehen, und zwar nicht nur verbal. Denn immer noch ist vielen das nationale Hemd näher als die europäische Hose. Selbst wenn niemand daran zweifelt, dass sich gemeinsame – europäische – Probleme nur gemeinsam und europäisch lösen lassen.

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