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Korruptionsskandal erschüttert Brüssel
Mutmaßliche Bestechungsversuche durch den Golfstaat Katar führen zu Festnahmen
Es war eine bemerkenswerte Rede, die die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili am 24. November im EU-Parlament hielt. Die Abgeordneten diskutierten über eine Resolution zur Menschenrechtslage in Katar und den Tod Tausender Arbeiter*innen auf den Baustellen der Fußball-WM. Ein Thema, bei dem selbstverständlich sein sollte, auf welcher Seite eine Sozialdemokratin steht. Doch die Vize-Präsidentin des Parlaments überraschte mit gewagten Aussagen: »Ich allein habe gesagt, dass Katar eine Vorreiterrolle bei den Arbeitsrechten spielt«, betonte Kaili und beschwerte sich, dass man der Korruption verdächtigt werde, wenn man mit Vertreter*innen Katars auch nur rede. Trotz der Intervention Kailis wurde die Resolution verabschiedet, in der es unter anderem heißt, der Golfstaat habe den Zuschlag für die Fifa-Weltmeisterschaft erhalten, obwohl es glaubwürdige Vorwürfe von Bestechung und Korruption gebe. »Die Abgeordneten bedauern den Tod von Tausenden von Wanderarbeitern«, so der Parlamentsbeschluss.
Der liberale Parlamentarier Pierre Karleskind (Renew) hatte schon im November darauf hingewiesen, dass die Sozialdemokraten zunächst gegen die Entschließung für eine solche Resolution gestimmt hatten. Zudem hätten sie gemeinsam mit den Konservativen von der EVP und den extremen Rechten die Annahme mehrerer Änderungsanträge verhindert, darunter auch solche, die die Haltung der Fifa zur Unterdrückung von LGBT-Rechten verurteilten. »Ich fürchte, jetzt verstehe ich …«, so der französische Europaabgeordnete am Samstag auf Twitter.
Der frisch gewählte neue Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds, Luca Visentini, ist ebenfalls unter den Festgenommenen. Erst im November trat der Italiener dieses Amt als Nachfolger von Sharan Burrow an. Visentini hatte zuvor beim Europäischen Gewerkschaftsverband als Generalsekretär fungiert. Mittlerweile wurde er unter Auflagen wieder freigelassen, wie die belgische Zeitung »Le Soir« berichtet. Visentini studierte Philosophie und hat eine klassische Gewerkschafterkarriere bei der Unione Italiana del Lavoro, einem der größten italienischen Gewerkschaftsbündnisse hinter sich. In seiner Freizeit verfasst er Gedichtbände und Romane.
Zu diesem Zeitpunkt war Kaili bereits von der belgischen Polizei festgesetzt worden. Wie die belgische Staatsanwaltschaft am Freitag mitteilte, geht es bei den Ermittlungen um versuchte Einflussnahme durch einen Golfstaat und Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche. Der Golfstaat, welcher anfangs nicht genannt wurde, soll demnach versucht haben, politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen. Es habe insgesamt 16 Durchsuchungen und fünf Festnahmen gegeben. Neben der griechischen Sozialistin wurde am Freitag auch ihr Lebensgefährte festgenommen. Er ist Berater für die Region Naher Osten und Nordafrika im Europäischen Parlament und Gründer der NGO »Fight Impunity«, die sich für die Förderung der »Rechenschaftspflicht in der internationalen Justiz« einsetzt, wie das Magazin »Politico« berichtete.
Hier könnte der Skandal noch größere Kreise ziehen, denn im Vorstand der NGO sitzen einflussreiche Politiker*innen wie die ehemalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der französische Ex-Premier Bernard Cazeneuve. Als Präsident fungiert der ehemalige sozialistische EU-Abgeordnete Pier-Antonio Panzeri. Auch er bekam Besuch von der Polizei. Ihm wird laut »Politico« »politische Intervention bei den Mitgliedern des Europäischen Parlaments zugunsten von Katar und Marokko« vorgeworfen. Im Zuge der Aktion seien demnach 600 000 Euro Bargeld sowie Smartphones beschlagnahmt worden, so die belgische Zeitung »Le Soir«.
Offen ist die Frage, welche weiteren Abgeordneten auf der Gehaltsliste Katars standen. So wies die Ko-Chefin der Fraktion The Left im Parlament, Manon Aubry, am Samstag darauf hin, dass während der Debatte zu den Menschenrechtsverletzungen im November, »einige (Parlamentarier*innen) Wort für Wort die Stellungnahme Katars wiederholten«.
Eva Kaili selbst war noch kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft ins Emirat gereist, um den katarischen Arbeitsminister Ali bin Samikh Al Marri zu treffen. Die griechische Politikerin hatte bei dieser Gelegenheit Katar für seine Arbeitsreformen gelobt. Besonders pikant: Ursprünglich hatte die Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Arabischen Halbinsel nach Katar fliegen sollen. Doch Doha hatte die Reise kurzerhand abgesagt. Kein Wunder, sitzen in der Delegation doch Abgeordnete wie der Ire Mick Wallace von der Fraktion The Left, der die Menschenrechtssituation in Katar immer wieder kritisiert hatte. Stattdessen durfte nur Kaili einreisen.
Für das Emirat kommt der Skandal zur Unzeit. Nicht nur, dass die Festnahmen während der laufenden Fußballweltmeisterschaft erfolgten. Auch die geplanten Visaerleichterungen für Bürger*innen Katars sind erst einmal vom Tisch. Ursprünglich wollten die Parlamentarier*innen am Montag für entsprechende Verhandlungen grünes Licht geben. »In dieser Situation kann es natürlich keine Visa-Liberalisierung für Katar geben«, so der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt. Wie »nd« aus Parlamentskreisen erfuhr, soll Kaili an der Abstimmung zu den Visaerleichterungen im zuständigen Parlamentsausschuss teilgenommen haben, obwohl sie dort nicht Mitglied war.
Nun sind alle Beteiligten um Schadensbegrenzung bemüht: Kailis eigene Partei, die griechische Pasok, entzog ihr die Mitgliedschaft. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola erklärte, man werde der ehemaligen TV-Moderatorin alle mit ihrem Amt zustehenden Befugnisse entziehen. Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments wird das nicht beeinträchtigen, gibt es doch insgesamt 14 Vize-Präsident*innen. Vielmehr leidet der Ruf der Abgeordneten. Der Grüne Daniel Freund sprach am Wochenende von einem beispiellosen Skandal und forderte umgehende Nachbesserungen bei den Transparenzregeln: »Es gibt in Brüssel eigentlich relativ gute Lobbyregeln«, so Freund. »Allerdings sind Drittstaaten hiervon bisher vollkommen ausgenommen. Hier muss die EU umgehend nachbessern. Lobbying von Drittstaaten muss ins Lobbyregister. Treffen mit VertreterInnen von Drittstaaten sollten offen gelegt werden.« Der EVP-Abgeordnete Daniel Caspary widersprach umgehend. »Eine neue Debatte hinsichtlich unserer Transparenzregeln brauchen wir nicht.«
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