Die globalen Katastrophen im Blick

In der Serie »Peripherie« reist eine junge Frau in eine dystopische Hightech-Zukunft

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Flynn Fisher (Chloë Grace Moretz), die Kassandra des 22. Jahrhunderts
Flynn Fisher (Chloë Grace Moretz), die Kassandra des 22. Jahrhunderts

Wann ist der Kipppunkt erreicht, an dem Umweltbelastung und Zerstörung natürlicher Ressourcen so groß ist, dass es kein Zurück mehr gibt und in der Folge unzählige Menschen sterben müssen? Diese Frage treibt gerade nicht nur Aktivist*innen diverser Umweltgruppen um, die medienwirksam auf das Thema aufmerksam machen. Science-Fiction-Altmeister William Gibson erzählt in seinem jetzt von Amazon aufwendig als achtteilige Serie verfilmten Roman »Peripherie« (2014) von einer ganzen Kette zerstörerischer Ereignisse wie Pandemien, Umweltkatastrophen, einer nuklearen Havarie und rechten Anschlägen, die in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zum Tod von 80 Prozent der Weltbevölkerung führen.

Die junge Flynn Fisher (Chloë Grace Moretz) wird mit diesem Szenario konfrontiert. Sie lebt in einem parallelweltlichen, heruntergekommenen White Trash-Amerika der 2030er Jahre. Für ihren Bruder Burton (Jack Reynor), einen ehemaligen Marine, der an einer posttraumatischen Störung und den Nebenwirkungen seiner digitalen Implantate leidet, testet die junge Frau Computerspiele. Als sie ein ganz neues Produkt ausprobiert, findet sie sich plötzlich in London 70 Jahre in der Zukunft wieder, wo sie Zeugin eines Verbrechens wird. Nur ist das keine virtuelle Realität, wie sie erst glaubt, sondern sie ist mit einem sogenannten »Peripheral«, eine Art Avatar, in die Zukunft gereist.

Das London der Zukunft ist eine digitale, maximal vernetzte Hightech-Welt, die dem ländlichen, heruntergewirtschafteten Amerika gegenübersteht, in dem Flynn Fisher wohnt. In den 2030er Jahren von Flynns ländlicher White-Trash-Parallelwelt ist China die Industriemacht Nummer eins, Amerika ist technologisch abgehängt. Flynn jobbt in einem Laden, in dem minderwertige Produkte im 3D-Verfahren hergestellt werden. Bald meldet sich bei ihr der Ermittler Wilf Netherton (Gary Carr) aus der Zukunft, Flynn reist mit ihrem Avatar fortan zwischen den Zeitebenen hin und her und wird in eine komplexe politische Intrige hineingezogen.

Bald intervenieren außerdem Menschen aus der Zukunft in Flynns Welt, lassen bestehende Konflikte eskalieren, die Situation wird für Flynn und ihren Bruder immer bedrohlicher. Nur stellt sich bald heraus, dass im technologisch so weit entwickelten und stets sauberen zukünftigen London die eingangs erwähnte Kette schrecklicher Katastrophen schon stattgefunden hat. Während des Jackpots, wie diese eskalierende Krisenkette genannt wird, erlebt die Menschheit gleichzeitig einen massiven technologischen Schub, sodass kurze Zeit später Umweltschäden beseitigt und diverse Krankheiten geheilt werden können. Nur kommt dieser technologische Sprung für Milliarden von Menschen zu spät.

Die von vielen gehegte Hoffnung, eine technologische Weiterentwicklung könne irgendwann die drohende Klimakatastrophe verhindern, ein Topos, der von den »Immer weiter so«-Apologeten gerne ins Feld geführt wird und mit dem sich aus einer kapitalismuskritischen Perspektive auch der Berliner Soziologe Philipp Staab in seinem gerade erst erschienenen Essay »Anpassung« (Suhrkamp) kritisch auseinandersetzt, wird hier radikal konterkariert.

Flynn Fisher muss plötzlich vielmehr mit der Gewissheit klarkommen, dass sie unmittelbar vor Beginn dieser Katastrophenkaskade lebt. Die Serie zeigt zwar auch in Rückblenden aus dem Leben einiger Bewohner des zukünftigen Londons, wie die dystopische Welt der Klima- und Umweltkatastrophen mitsamt dem zivilisatorischen Zusammenbruch aussieht. Aber das eigentlich Bedrückende, was Buch und Serie gut in Szene setzen, ist die Gewissheit der kämpferischen Hauptperson Flynn, mit dem bevorstehenden Zusammenbruch leben zu müssen. Oder eröffnet das Wissen darum doch noch die Möglichkeit, etwas zu verändern?

Das alles passiert in einer sich dramatisch zuspitzenden Geschichte um weitere technologische Errungenschaften, wie diese im spätkapitalistischen, konsumorientierten, hypermodernen, digitalen Überwachungsstaat der Zukunft inwertgesetzt werden und einer Intrige um politische Macht. Das alles ist, wie bei William Gibson üblich, in einen komplexen, in alle Richtungen ausfransenden und manchmal fast schon unübersichtlich werdenden Thriller-Plot eingewoben. Dabei setzt die Serie, die inhaltlich auch manches verändert und anpasst, die technologisch weit entwickelte Welt der Zukunft mit Nanorobotern, digitalen Körperimplantaten, sich bewegenden Tätowierungen und einer Vielzahl kybernetischer Organismen beeindruckend um. Wobei die sehenswerte Serienadaption etwas actionmäßiger daherkommt als der Roman.

Verfügbar auf Amazon Prime.

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