- Berlin
- Entschädigung der Polizei nach Schießstandskandal
Missstand am Schießstand
Die Entschädigung von Polizisten, die nach jahrelangem Schießtraining erkrankten, reicht nicht aus
Marode Gebäude ohne Lüftungsanlagen, zu lange Schießzeiten und bleihaltige Munition – die Arbeitsbedingungen in Berlins Schießanlagen haben Schießtrainer*innen und Polizist*innen über Jahre hinweg krank gemacht. Ihre Entschädigung durch das Land Berlin vor bald drei Jahren sei nach undurchsichtigen und oftmals ungerechten Kriterien verlaufen, hat jetzt eine Kommission festgestellt. Sie fordert Aufarbeitung und weitere Entschädigungszahlungen.
2018 beschäftigte sich eine Bewertungskommission mit insgesamt 786 Entschädigungsanträgen und wies im darauffolgenden Januar 487 Antragsteller*innen Ausgleichssummen zwischen 3000 und 80 000 Euro zu. Insgesamt 3,3 Millionen Euro gingen an die Geschädigten. Doch auf die Entscheidung hagelte es Beschwerden: Betroffene mit kleiner oder gar keiner Entschädigung fühlten sich in ihrer individuellen Belastung nicht anerkannt. Nun hat eine neue Sichtungskommission die damalige Bewertung untersucht und ihr Ergebnis am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses vorgestellt.
Intransparenz und Ungleichbehandlung attestiert Bernd Manthey der Bewertungskommission. Zusammen mit drei weiteren pensionierten Polizeibeamt*innen hat er sich mit einem Teil der Beschwerden auseinandergesetzt. Insgesamt 178 Fälle rollten sie wieder auf, verglichen die Atteste mit den Kategorien der Bewertungskommission und stellten fest: Mehrmals wurden ähnlich gelagerte Situationen ganz unterschiedlich entschädigt, und das ohne nachvollziehbare Erklärung. »Wenn man in die schriftlichen Entscheidungsgrundlagen geguckt hat, fand man nur pauschale Begründungen«, so Manthey. Komplett ignoriert wurde dabei die Vorgabe aus einem Erlass zum Ausgleichsfonds von 2018, die »Häufigkeit der Schießübungen auf den Schießanlagen« zu berücksichtigen. »Jemandem, der 34 Jahre ausgesetzt war, wurde nichts zugesprochen, und jemand anderes war nur ein Jahr ausgesetzt und hat 3000 Euro bekommen«, erzählt Manthey als Beispiel. »Da ist eine weitere Betroffenheit entstanden, weil die Kolleginnen und Kollegen bemerkten, dass man nicht auf ihre persönlichen Belange eingegangen ist.«
30 Betroffene sollen noch im Laufe dieses Jahres Geld erhalten. Sie erfuhren laut der Sichtungskommission eine nachweisbare Ungleichbehandlung. In 46 Fällen soll eine neue ärztliche Begutachtung erfolgen. Manthey hofft auf schnelle Umsetzung: »Die werden auch nicht gesünder, sie werden älter und die Erkrankungen ziehen sich bis in die heutige Zeit.«
Es gehe nicht nur um Geld, es gehe um die Anerkennung des Leids, betonen Manthey und die übrigen Abgeordneten. Benedikt Lux, Grünen-Abgeordneter und in der vergangenen Legislaturperiode für Innenpolitik zuständig, weist deshalb auf die Situation der Schießtrainer*innen hin, die früh auf die Missstände aufmerksam machten. »Aus damaliger Sicht haben sie Dienstgeheimnisse verraten und waren in den Augen mancher Kollegen vielleicht Weicheier.« Sie sollten von allen rechtlichen Konsequenzen freigesprochen und für ihr frühes Warnen anerkannt werden. Auch in dieser Frage sind sich die Abgeordneten und die Innenverwaltung einig.
Um langfristig die Arbeitsbedingungen von Polizist*innen zu verbessern und vor allem ihr Gesundheit zu schützen, stehen wichtige Sanierungen an – nicht nur von Schießständen, die größtenteils noch unter der früheren Regierung erneuert wurden, sondern aller Polizei- und Feuerwehrgebäude. Der Leiter des Berliner Immobilienmanagements (Bim), Sven Lemiss, beschreibt im Innenausschuss das Ausmaß des Sanierungsstaus. Das Portfolio der Polizei sei »zustandsmäßig das schlechteste«, auf Platz zwei komme die Feuerwehr. Finanziell bedeutet das laut Innensenatorin Iris Spranger (SPD) notwendige Investitionen von über zwei Milliarden Euro.
Darunter fallen in höchster Priorität die Renovierungen, die der Gefahrenabwehr dienen. Lemiss betont aber, dass nirgendwo eine akute Gefahr für Leib und Leben bestehe. »Wir unternehmen rechtzeitig Schutzmaßnahmen, zum Beispiel einen Tunnel oder Schadstoffmessungen.« Dazu kommen Modernisierungen und ökologische Umbauten, zu denen Berlin sich selbst verpflichtete hat, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erfüllen. Bisher wächst der Sanierungsstau laut Bim jedes Jahr weiter an.
Aktuell hapere es nicht am Geld, sagt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. »Es gibt andere Hindernisse beim Verbauen und Investieren des Geldes.« Die Innenverwaltung prüft deshalb, ob eine mögliche Investitionsgesellschaft die Gelder effizienter einsetzen kann. Doch Schrader erinnert an die Schulbauoffensive, die ähnliche funktioniere und trotzdem Probleme beim Ausgeben der Mittel habe. Laut Lemiss von der Bim hängt es vor allem an den Zwischenlösungen. Sogenannte Drehscheiben, also Ausweichorte für mehrere Wachen nacheinander, seien schwierig zu finden, über Ersatzstandorte würde zu lange diskutiert.
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