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Antoine Griezmann: Vom kleinen Prinzen zum heimlichen König

Der 31-Jährige blüht in einer neuen Rolle auf – und ist maßgeblich für den Erfolg der französischen Fußballer verantwortlich

  • Daniel Theweleit, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Herz des französischen Spiels: Antoine Griezmann
Das Herz des französischen Spiels: Antoine Griezmann

Schlagzeilen und Geschichten produziert der Fußballstar Antoine Griezmann seit vielen Jahren in großer Regelmäßigkeit, immer seltener jedoch taucht dabei sein Spitzname auf, was einiges verrät über das Älterwerden des 31 Jahre alten Franzosen. »Le Petit Prince« wurde Griezmann genannt, als er noch ein Tor nach dem anderen schoss und dabei immer so jungenhaft lächelte. Es war die Zeit, als er vor sechs Jahren Torschützenkönig bei der Europameisterschaft wurde und bei Atletico Madrid für die Show zuständig war, während der Rest seiner Mannschaft vorwiegend das Spiel des Gegners zerstörte.

Seither ist viel passiert in Griezmanns Karriere, auch einiges Unerfreuliches, die Unbeschwertheit des kleinen Prinzen existiert nicht mehr. Zwischenzeitlich war das ziemlich traurig, weil ein großer Fußballer viel zu früh seinen Leistungszenit überschritten zu haben schien. Bei dieser Weltmeisterschaft jedoch erstrahlt ein neuer Griezmann, der an diesem Mittwoch mit seinen Franzosen im Halbfinale gegen Marokko spielt. Der Prinz ist im Schatten der Giganten Neymar, Messi und Mbappé zum heimlichen König dieses Turniers avanciert.

In Zusammenarbeit mit seinem Trainer Didier Deschamps hat er sich gewissermaßen neu erfunden – er ist kein Torjäger mehr, sondern ein Mittelfeldspieler, dessen Profil der Rolle eines klassischen Spielmachers mit der Nummer 10 sehr nahekommt. »Die Mannschaft braucht mich im Herzen des Spiels«, sagt Griezmann. In den taktischen Darstellungen, die zu den Spielen kursieren, wird er zwar eher als rechte Hälfte einer Doppel-Acht dargestellt. Seine Wirkung auf dem Feld aber ist die eines sehr modernen Zehners, eines Lenkers, der den Rhythmus vorgibt, der die Stürmer in Szene setzt. Beim Titelgewinn der Franzosen 2018 war Griezmann noch der strahlende Star, der beste Torschütze des Weltmeisters, jetzt lässt er andere wie Kylian Mbappé glänzen.

Es gibt bei diesem Turnier ein Ranking, das jene Spieler auflistet, die die meisten Torchancen ihrer Teams vorbereitet haben. Erster ist Griezmann mit einem Wert von 17, gefolgt von Messi mit 16 sowie Ousmane Dembélé und Theo Hernandez mit jeweils elf. Für manchen Beobachter noch erstaunlicher ist allerdings Griezmanns auffällige Lust an der dunklen Arbeit, die nicht jeder wahrnimmt, die aber von den Mitspielern gefeiert wird. Innenverteidiger Raphael Varane sagt: »Er deckt enorm viele Räume ab. Er hat die Fähigkeit, zu verteidigen und die anderen spielen zu lassen. Das ist der Antoine, den wir kennen.« Varane mag das kennen, für den Großteil des WM-Publikums handelt es sich jedoch um bislang kaum bekannte Fähigkeiten Griezmanns.

Es ist ja auch viel passiert im Leben dieses Mannes, dem ein großer Karrierefehler unterlaufen ist, als er 2019 von Atlético Madrid zum FC Barcelona wechselte. Zunächst versicherte er im Format einer Mini-Dokumentation, dass er Madrid auf keinen Fall in Richtung Barcelona verlassen wolle. »Meine Fans, mein Team, mein Zuhause«, erklärte er, um sich kurz darauf doch für 120 Millionen Euro und einen satten Gehaltsaufschlag nach Katalonien transferieren zu lassen. Das Spiel des permanenten Ballbesitzes lag ihm aber nicht, zudem hatte der Klub gerade massive Probleme, sportlich wie wirtschaftlich. Griezmann wurde zu einem Gesicht der Krise und der Dekadenz von Barca, bis er im Sommer 2021 zu Atlético zurückkehrte. Doch das Selbstvertrauen war dahin, in Madrid spielte er nun ebenfalls meist enttäuschend und kam im vergangenen Herbst aufgrund einer ungewöhnlichen Vertragsklausel nur zu Kurzeinsätzen.

Vereinbart war nämlich, dass Atlético im Sommer 2023 eine festgelegte Summe von 40 Millionen Euro nach Barcelona überweisen muss, wenn Griezmann in den beiden Saisons zwischen Sommer 2021 und Sommer 2023 in mindestens der Hälfte der Partien, für die er einsatzfähig ist, 45 Minuten oder länger auf dem Platz steht. Weil das verhindert werden sollte, wurde der Angreifer oft erst sehr spät eingewechselt, bis die beiden Klubs sich im Oktober auf eine Ablösesumme von angeblich 20 Millionen Euro einigten – eine Erleichterung am Ende einer schweren Zeit.

Dass nun dieser brillante WM-Griezmann aus der Asche der verlorenen Jahre emporsteigt, ist dennoch eine kleine Sensation. »Er ist der Typ Spieler, der eine Mannschaft wirklich verändern kann, weil er so hart arbeitet«, schwärmte Trainer Deschamps am Tag vor dem Halbfinale gegen Marokko. »Er ist technisch begabt, er ist mental sehr stark, er ist gerade in seiner besten Form.« Über die Marokkaner sagt der Trainer, dass »bislang niemand eine Lösung gegen ihre Defensive gefunden« habe, was gut als motivierender Aufruf an Griezmann verstanden werden kann. Bislang haben die Afrikaner nur einen Gegentreffer im Turnier zugelassen – ein Eigentor. Dieses Halbfinale ist also eine wunderbare Herausforderung für den Kleinen Prinzen, der sich am Persischen Golf in einen Fleißarbeiter und Torvorarbeiter verwandelt hat.

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