• Berlin
  • Klimaaktivismus und Kirche

Radikal umkehren, Schöpfung bewahren

Kirche und Umweltsenatorin stellen sich der Diskussion über Klima-Proteste

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich sei der Gegensatz von Realpolitik doch nicht Verzweiflung, sondern eher Hoffnung, sagt Klima- und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) bei einer Podiumsdiskussion am Montag. Am Abend, bevor in ganz Deutschland Wohnungen der Letzten Generation durchsucht werden, wird in der Neuköllner Genezarethkirche über die Frage diskutiert: »Wie radikal muss Klimaschutz sein? Zwischen Verzweiflung und Realpolitik«. Verzweiflung passe nicht zur christlichen Grundhaltung, meint Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz (EKBO). Was das Klima betrifft, »bin ich aber oft näher an Verzweiflung«, gibt er zu. Mit der bei Scientist Rebellion aktiven Biologin Nana-Maria Grüning und dem Protest- und Bewegungsforscher Simon Teune sprechen Jarasch und Stäblein über die aktuellen Klima-Proteste sowie notwendige Maßnahmen.

Auch Grüning verzweifelt ob der bald erreichten Klima-Kipppunkte, der drohenden Unbewohnbarkeit von 20 Prozent der Erdoberfläche und des wahrscheinlichen Zusammenbruchs der Gesellschaft, wie sie sagt. »Mir klopft mein Herz, wenn Sie das erzählen«, zeigt Jarasch sich empathisch. Trotzdem sei sie überzeugt davon, dass man die Menschen für Klimaschutz gewinnen und ihnen keine Angst machen solle. Die Wissenschaftlerin gewinnt sie damit allerdings nicht: »Die Politik sagt nicht die Wahrheit, weil sie nicht zugeben will, was 30 Jahre versäumt wurde«, so Grüning. Es gelte, die richtigen und nicht nur populäre Entscheidungen zu treffen. Bischof Christian Stäblein schließt sich ihr mit Verweis auf die Grundbotschaft der Bibel an. Die laute nämlich: »Kehret um.«

Volksentscheid »Berlin 2030 klimaneutral«


  • Der Senat hat den Termin für den Volksentscheid über die Klimaneutralität Berlins am Dienstag auf den 26. März fest- und ihn damit nicht mit der Wiederholungswahl am 12. Februar zusammengelegt.
  • Grund sei die organisatorische Herausforderung von zwei Abstimmungen an einem Tag. »Wir wollen nicht die Wiederholung der Wiederholungswahl riskieren«, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
  • Die Initiative Klimaneustart zeigt sich darüber enttäuscht, da die Wahlbeteiligung an einem separaten Termin erfahrungsgemäß niedriger sei. »Der Senat blockiert mit seinem Entschluss eine gesamtgesellschaftliche Debatte zur Klimaneutralität in Berlin«, erklärte Sprecher Stefan Zimmer.
  • Da das Abstimmungsgesetz eine Zusammenlegung von Volksentscheiden mit Wahlen vorsieht, hatte die Initiative zuletzt erfolglos den Rechtsweg eingelegt. ltb

    Simon Teune hält die Anliegen der heutigen Klimabewegung für wesentlich komplexer als etwa die der früheren Anti-AKW-Bewegung. Damals sei es um eine Risikotechnologie gegangen, heute seien alle Politikfelder betroffen. »Bisherige soziale Bewegungen konnten immer darauf setzen, dass sich Dinge mit der Zeit ändern. Heute spielt die Zeit gegen die Bewegung«, gibt er mit Blick auf die Letzte Generation zu bedenken. Neu an deren Protestform – den Autobahnblockaden – sei, dass sie sich nicht gegen konkrete Akteure richtet, sondern in den Alltag der Menschen eingreift. Auch das hält Teune für einen »Ausdruck der Verzweiflung«. Auf die Frage der Moderatorin und Journalistin Kirsten Dietrich an die rund 50 Gäste, ob sie dies für eine angemessene Form des Protests halten, melden sich fast alle.

    Dann gehöre das Publikum wohl zu den wenigen Prozent der Bevölkerung, die das so sehen, reagiert Jarasch wenig begeistert. Der Protest trage überhaupt nicht dazu bei, Mehrheiten für den Klimaschutz zu gewinnen, und auch im Senat werde nur noch über die Form und nicht über die Inhalte geredet, erklärt sie. Was die Zustimmung in der Bevölkerung betrifft, widerspricht Protestforscher Teune: Dass ein Protest als störend wahrgenommen wird, sei für Menschen in der Regel kein Grund, sich vom Anliegen abzuwenden.

    Seine Form des Protests sei es zwar auch nicht, »aber meinen Respekt davor kann ich zum Ausdruck bringen«, erklärt Bischof Stäblein. Auch Kirchenasyl sei früher nicht mehrheitsfähig gewesen und habe sich durchgesetzt. Er gehe davon aus, dass es beim Tempolimit ähnlich sein wird. Im November hatte die evangelische Kirche für alle Autofahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern beschlossen.

    In beiden Fällen ist die Kirche der Politik voraus. In Letzterer gebe es zwar einen Konsens, was den Ausbau des Nahverkehrs angeht – aber der ende sofort, wenn es darum gehe, Autofahren teurer zu machen oder Parkplätze in Grünstreifen umzuwandeln, bedauert Jarasch. Aber auch der Klima-Bürger*innenrat sei weiter gewesen und habe selbst Maßnahmen wie teureres Parken gefordert, erinnert Nana-Maria Grüning. Dass die Beschlüsse des Bürger*innenrats jedoch nicht verbindlich sind, hält sie für »ein massives Demokratiedefizit«. Auch hinsichtlich der Volksentscheide wie »Berlin 2030 klimaneutral« würden Signale aus der Politik fehlen, »dass das gewollt ist«, legt Simon Teune nach. »Ich lebe aber auch nicht in einer Ökodiktatur«, setzt sich Jarasch zur Wehr. Sie glaube einfach nicht, dass Berlin bis 2030 klimaneutral werden könne. »Das macht mich auch verzweifelt«, betont sie.

    »Was ist dabei die Rolle der Kirche?«, will Kirsten Dietrich von Christian Stäblein wissen. Den Raum für die Auseinandersetzung öffnen, sagt er mit Blick auf das Innere der Genezarethkirche. Dem Publikum reicht das nicht. »Ich bin enttäuscht von der Kirche, dass wir nicht sagen, diese Proteste sind legitim«, erklärt Mario Schatta, Mitarbeiter der evangelischen Kirche in Hohenschönhausen, und erntet Applaus. Schließlich diene der Protest der »Bewahrung der Schöpfung«. Die Kirche sollte zum Beispiel ein Spendenkonto für die Aktivist*innen einrichten, so wie sie es zur Wende getan habe. »Das wäre Umkehr«, findet Schatta.

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