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Nicht IQ, Talent und Training sind wichtig
Elisabeth Pähtz erklärt, wie man Großmeister im Schach wird
Zunächst einmal Glückwunsch zum Großmeistertitel im Schach – als erste Deutsche und 40. Frau weltweit. Wie fühlt sich das an? Und schwingt da nicht doppelter Stolz mit, weil Sie zugleich weltweit das erste Vater-Tochter-Großmeisterpaar sind?
Natürlich ist das ein gutes Gefühl. Und das Beste daran ist, man behält diesen Titel lebenslang.
Elisabeth Pähtz, geboren 1985 in Erfurt, in der Kindheit von ihrem Vater Thomas Pähtz, DDR-Schachmeister trainiert, ist die erfolgreichste Schachspielerin Deutschland. Nachdem sie bereits Großmeisterin im Frauenschach geworden ist, wurde ihr jetzt Ende November auch der allgemeine Großmeistertitel vom Internationalen Schachverband (FIDE) zugesprochen. Kurz zuvor erschien ihr Buch "Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt. Strategien für das Spiel des Lebens" (Westend, 208 S., br., 20 €). Mit der Schachspielerin, die zu den Top Ten in ihrer Disziplin weltweit gehört, sprach Karlen Vesper.
Sie haben im zarten Alter von fünf Jahren begonnen, Schach zu spielen, alsbald mit mehreren Trainingsstunden pro Woche. Ist Ihnen da ein Stück Kindheit verloren gegangen?
Nein, ich habe nichts vermisst. In unserer Trainingsgruppe stand immer der spielerische Aspekt im Vordergrund. Wir wurden nicht ans Brett gezwungen. Und wir spielten in der Freizeit Fußball oder Tischtennis und alles Mögliche. Mir ist von meiner Kindheit nicht verloren gegangen. Darauf hat auch meine Mutter geachtet. Sie hat für Ausgleich gesorgt, eine schützende Hand über uns gehalten. Wir sollten das Kindsein genießen. Das ist ihr mit ihrem mütterlichen Instinkt auch sehr gut gelungen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Schach Ihr Leben sei. Und zwar im doppelten Sinne. Ohne Schach wären Sie nicht auf der Welt – da sich ihr Vater und Ihre Mutter bei einer Partie Schach ineinander verliebt haben. Ihr Vater, DDR-Meister im Schach, gewann »blind« gegen Ihre Mutter. Hätte solch herbe Niederlage für sie nicht eher eine abschreckende Enttäuschung sein müssen, als Überheblichkeit seinerseits interpretiert werden können?
Meine Mutter war schon in ihrer Jugend begeisterte Schachspielerin. Als mein Vater bei der ersten Partie gegen meine Mutter Blindschach spielte, hat sie die Spielstärke meines Vaters nicht realisiert, weil sie zu sehr abgelenkt war, seine Züge auf dem Brett richtig auszuführen. Selber eine sehr intelligente Frau, hat dies ihr den Mann aber wohl noch attraktiver erscheinen lassen.
Bedarf es eines bestimmten IQ, um erfolgreich Schach spielen zu können?
Ich würde sagen, es genügt ein Durchschnitts-IQ. Entscheidender ist Talent. Und natürlich Training und Fleiß. Ganz wichtig ist auch ein gutes soziales Umfeld. Ich habe viel mit jungen Talenten gearbeitet und weiß, was wichtig dies ist. Wenn dies nicht stimmt, können sich viele Talente nicht entfalten. Das gilt nicht nur für den sportlichen, sondern auch kulturellen Bereich. Ob ein Kind ein Geigenvirtuose oder ein erfolgreicher Opernsänger wird, hängt viel vom häuslichen Milieu ab, nicht zuletzt von finanziellen Mitteln.
Sie waren erst zwölf Jahre, als sie eine Silbermedaille bei den Deutschen Frauen-Meisterschaften in Ottweiler gewannen und bei den Europameisterschaften in der U10 in Verdun sowie kurz darauf bei der U10-Weltmeisterschaft in Sao Lorenzo, Brasilien, ebenfalls jeweils eine Silbermedaille gewannen. Sie wurden als neues »Schachwunder« in den Medien gefeiert. Wie gelingt es, da nicht Bodenhaftung zu verlieren?
Eine gute Frage. Ich war als Kind gar nicht so selbstbewusst gewesen, eher schüchtern. In der Schule wurde ich oft gehänselt, weil ich Schach spielte. Da kam ich gar nicht auf die Idee, mit meinen Erfolgen zu prahlen. Ich habe mich als Teenagerin vielmehr zurückgezogen, um nicht dem Spott der Klassenkameraden ausgesetzt zu sein.
Sie wollten eigentlich Opernsängerin werden. Und ihr Vater sah in Ihnen eher eine Eisschnellläuferin, hatte Sie zunächst als Schachspielerin nicht auf dem Plan, vielmehr ihren Bruder. Weil er Jungs dafür befähigter hielt als Mädchen?
Ganz und gar nicht. Mein Bruder hat sich von klein auf für das Spiel begeistert, da war das Interesse schon mit vier Jahren da. Ich hingegen habe zunächst keine große Begeisterung gezeigt, bin aber mit zu den Turnieren gefahren. Wenn meine Mutter arbeitete, musste mein Vater auf mich aufpassen. Und da nahm er, als Kinder- und Jugendtrainer, mich mit zu den Turnieren. Während ich zuschaute, habe ich die Regeln gelernt, konnte irgendwann die Figuren setzen und habe mich offenbar geschickt angestellt. Ich bin also eher zufällig Schachspielerin geworden.
Ihr Bruder hat seine erfolgreiche Schachlaufbahn abgebrochen, ist heute Physikprofessor an der Hangzhou Universität in China.
Er hat einen überdurchschnittlichen IQ. Er ist der Wissenschaftlertyp, ist mit 14 auf ein Mathematik-Spezialgymnasium gegangen. Dass er dem deutschen Schach verloren ging, lag auch teils an unserem damaligen Verband. Da ist einiges schief gelaufen.
Im Schach soll es mehr Zugvarianten als Atome im Universum geben? Das ist kaum vorstellbar. Ist das empirisch belegt?
Ein Schachbrett hat 64 Felder, jeder Schachspieler hat 16 Figuren, es sind also 32 insgesamt. Ich halte die Hypothese, dass es im Schach mehr Zugmöglichkeiten als Atome in den Galaxien gibt, für realistisch.
Können sie Pokerface?
Das ist kein Muss im Schach. Der langjährige Weltmeister Garry Kasparov hat nie ein Pokerface aufgesetzt, schnitt vielmehr Grimassen, war ein Meister der Mimik und Gestik. Man konnte seinen Gemütszustand daran ablesen, wenn er die Uhr vom Handgelenk nahm oder sein Jackett auszog. Und außerdem ist es beim Schach – im Unterschied zum Pokerspiel – offensichtlich, wie es steht. Man sieht es auf dem Brett. Man muss die Figurenkonstellation nur richtig interpretieren.
Welcher Spielertyp sind Sie?
Ich bin der chaotische Typ, sowohl am Brett als auch im wahren Leben. Ich bin über die Jahre ruhiger geworden, aber dennoch zähle ich zu den aggressiven Spielertypen.
Betreiben Sie nach jedem Spiel eine Fehleranalyse mit Ihrem Trainer oder dem Vater?
Das kommt drauf an. Wenn ich mal eine harte Niederlage einstecken musste, brauchte ich erstmal etwas Abstand und habe mich erst später mit der Ursache meines Scheiterns befasst. Es gibt heute Computerprogramme, die einem anzeigen, welche Fehler man gemacht hat.
Haben sie schon mal gegen einen Computer gespielt? Oder lehnen sie dies prinzipiell ab?
Nein. Das hat mich nie gereizt. Wir benutzen heute zwar Computerprogramme, um unsere Eröffnungen aufzubessern oder bestimmte Stellungen zu analysieren. Aber gegen einen Computer zu spielen, ist sinnfrei. Der Mensch hat da keine Chance.
Sind Schachspieler abergläubisch?
Ja, die meisten. Entweder haben sie einen Glückspulli oder einen Glückskuli, eine Glückskette oder Glücksohrringe, wie ich. Am jeweiligen Maskottchen hält man solange fest, bis man eine Partie verloren hat. Dann muss ein neuer Glücksbringer her.
Den Bauern nennen Sie die wichtigste Figur im Schach. Das konterkariert meines Erachtens die Metapher vom Bauernopfer. Ihre Lieblingsfigur?
Meine Lieblingsfigur ist der Springer. Aber in der Tat wird der Bauer unterschätzt. Er ist einzigartig. Er hat zwar die kleinste Wertigkeit, kann sich aber in jede andere Figur transformieren, wenn er die Grenzlinie des Gegners erreicht hat.
Und der König?
Der König ist die einzige Figur, die von Anfang bis Ende auf dem Brett verbleibt, die nicht geschlagen werden darf und kann. Den König kann man nur »Schach Matt« setzen, dann ist das Spiel aber auch aus. Damit hat der König auch keine Wertigkeit. Wer den König matt setzt, gewinnt die Partie
Womit ich gern zur Männerdominanz im Schachsport und der Ungleichbehandlung der Geschlechter auch auf diesem Feld überleiten möchte. Sie haben selbst heftige Kämpfe ausgetragen und sind 2019 aus Protest aus der Nationalmannschaft ausgetreten.
Ich bin wieder eingetreten, nachdem die von mir beanstandeten Missstände ausgeräumt waren. Ich musste den radikalen Schritt vollziehen, weil alle verbalen Proteste und noch so guten Argumente kein Umdenken an der Spitze des Verbandes bewirkt hatten. Ich habe es nicht eingesehen, dass die Turnierzuschüsse bei den Männern doppelt so hoch waren wie bei den Frauen, unsere männlichen Kollegen fast das Dreifache verdienten, der Bonus bei den Männern doppelt so hoch war wie bei den Frauen, obwohl es sich um das gleiche Turnier handelte. Und warum Männern mehr sowie intensivere Trainingschancen eingeräumt wurden. Der Verband hat sich um 180 Grad gedreht. Jetzt gehört der Deutsche Schachbund in Hinsicht Gleichbehandlung zu den Vorzeigevereinen in der Welt. Allerdings wünschte ich mir noch mehr systematische Förderung von talentierten Mädchen und Frauen.
Sie sprechen fließend Russisch.
Weil ich auch in Russland trainiert habe und auf internationalen Turnieren gegen die starken Frauen aus Russland traf. Aber auch aus der Ukraine und Kasachstan – mit China die großen Schachnationen
Wie steht es angesichts des Ukraine-Krieges um Kontakte dorthin?
Ich bin nach wie vor mit meinen russischen wie auch ukrainischen Freundinnen in Kontakt. Und ich halte absolut nichts von der politischen Instrumentalisierung des Sports.
Wird auch zu Weihnachten in der Familie Pähtz Schach gespielt?
Die letzten sechs Jahre war ich zu Weihnachten immer auf einem Schachturnier, weil zu Neujahr die Weltmeisterschaften stattfinden. Ich werde auch dieses Jahr, am 23. Dezember, das Flugzeug besteigen, in Richtung Kasachstan, nach Almaty.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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