Zwischen den Blöcken

Europas Wirtschaft wird 2023 von China und den USA in die Zange genommen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 6 Min.

Statt einer will das taiwanesische Unternehmen TSMC im kommenden Jahr nun zwei Chip-Fabriken in den Vereinigten Staaten fertigstellen. Ein triftiger Grund für den amerikanischen Präsidenten Joe Biden, auf die Baustelle im Bundesstaat Arizona zu reisen und die Investitionen des Halbleiterherstellers zu feiern. Dort lobte Biden sein in diesem Jahr verabschiedetes Gesetz, welches allein für die direkte Förderung der Chip-Produktion 52 Milliarden Dollar (49 Milliarden Euro) vorsieht und von dem TSMC nun doppelt profitieren wird. Biden jubelte: »Die verarbeitende Industrie in Amerika ist zurück!«

Die US-Regierung möchte die inländische Produktion von Hightech-Produkten insgesamt stärken. Dafür wurde das sogenannte Chip-Gesetz erlassen. Insgesamt sollen dadurch 280 Milliarden Dollar an Subventionen fließen. Wie sein Vorgänger Donald Trump setzt Biden auf »America first«. Finanzielles Herzstück seiner aggressiven Außenwirtschaftspolitik ist jedoch nicht das Chip-Gesetz, sondern der »Inflation Reduction Act« (IRA). Dabei geht es nicht, wie der Name vermuten ließe, um die Eindämmung der Inflation, sondern um ein Subventionsprogramm für mehr oder weniger grüne Produkte. IRA stellt von 2023 an 369 Milliarden Dollar Zuschüsse und Steuererleichterungen für Energiesicherheit und Klimaschutz bereit – die weitgehend daran geknüpft sind, dass die geförderten Produkte in den USA gefertigt werden. Das gilt für einfache Vorprodukte für Windkraftanlagen bis hin zu kompletten Elektroautos.

Flankiert wird der finanzielle Kraftakt von einer Reisediplomatie, die mögliche Partner in Afrika, Asien und Europa ins Visier nimmt sowie von politischen Muskelspielen. In der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie wird die Volksrepublik als der einzige Konkurrent der USA ausgemacht, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung umzugestalten als auch potenziell über die dafür nötigen Mittel verfügt. Um ihren Vorsprung zu halten, werden die USA »der Aufrechterhaltung eines dauerhaften Wettbewerbsvorteils gegenüber China Priorität einräumen«.

Die Trump-Administration hatte seit 2019 »zu dem eher groben Instrument« einer massiven Zollerhöhung gegriffen, analysiert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Biden ließ die Zölle unangetastet, verlagerte aber den Schwerpunkt auf die Eindämmung des Aufstiegs Chinas als Technologiemacht. Dazu führte das US-Handelsministerium neue Ausfuhrkontrollen für Spitzentechnologie ein. Das Stoppschild gilt nicht allein für US-Firmen, sondern auch für ausländische Unternehmen. Denn für die Regierung in Washington gilt traditionell das US-Recht auch außerhalb des eigenen Territoriums. Diese extraterritoriale Anwendung von Regeln wird mit der Drohung durchgesetzt, dass Unternehmen, die dagegen verstoßen, keine Geschäfte auf dem lukrativen amerikanischen Markt machen dürfen. Womit beispielsweise die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 unterbunden wurde.

In die Mühlen des Handelskonflikts geraten so auch europäische Konzerne wie ASML. Ohne Maschinen der niederländischen Holding gäbe es keine Hochleistungschips für kommende Smartphone-Generationen oder für autonomes Fahren. ASML ist der weltweit wichtigste Anbieter von Belichtungsmaschinen, die für die Halbleiterfertigung unerlässlich sind. Für die überaus komplexen ASML-Systeme notwendig ist wiederum die Technik der deutschen Mittelständler Trumpf und Zeiss. Bidens Regierung will jedoch zukünftige Lieferungen nach China untersagen. Bisher hatte sich ASML und die Regierung in Den Haag nur bei der aktuellsten Technologie gebeugt. Details seien zwar noch unklar, blickt das IT-Fachblatt »Computerbase« voraus, doch im kommenden Jahr könnte es auch die zweitbesten Systeme treffen. Für China ein harter Schlag.

China trägt seinerseits zur globalen Blockbildung bei. Die Regierung in Peking setzt auf »Eigenständigkeit« und »Weltoffenheit«, um dem Handelskonflikt mit den USA zu begegnen. Der Aufbau einer heimischen Spitzen-Innovationsbasis ist allerdings ein dorniger Weg. Da der Zugang zu amerikanischer Technologie wohl dauerhaft eingeschränkt bleibt, wird China versuchen, für eine Übergangszeit Hightech aus Drittstaaten zu beziehen.

Seit November treffen sich Präsident Xi Jinping und Regierungsvertreter laufend mit ausländischen Staats- und Regierungschefs, um Hightech-Importe, ausländische Investitionen und Rohstoffe für die kommenden Jahre zu sichern. Hierfür erscheint eine enge Zusammenarbeit mit asiatischen Staaten und Schwellenländern erforderlich. Um diese buhlen – vor dem Hintergrund der sich verfestigenden Wirtschaftsblöcke – auch europäische Staaten und die US-Regierung.

Geopolitisch scheint die Lage dennoch günstig für Xi’s Charmeoffensive zu sein. Selbst eher westlich ausgerichtete Demokratien wie Indien oder Südafrika haben in der Russland-Ukraine-Frage demonstriert, dass sie auf eine gewisse Distanz zu den USA und der Europäischen Union gehen. Auch arabische Länder wie Saudi-Arabien – die Xi Mitte Dezember besuchte – diversifizieren ihre strategischen Beziehungen. So weigern sich die OPEC-Staaten, dem Wunsch aus Washington und Brüssel nach höheren Öl- und Gasfördermengen nachzukommen.

Die Europäische Union, wirtschaftlich geschwächt von den Folgen ihrer Sanktionen gegen Russland, windet sich in diesem Zangengriff. Die EU, so rechnet der US-Vermögensverwalter Blackrock vor, gibt gemessen am Bruttoinlandsprodukt derzeit doppelt so viel Geld für Energie aus wie die Vereinigten Staaten. Die EU-Kommission will trotz dieser grundlegenden Herausforderung gleichzeitig die wirtschaftliche Abhängigkeit von China drastisch reduzieren und über globale Themen wie den Klimawandel mit Peking im Gespräch bleiben.

Ob Abgrenzungen und Sanktionen, wie sie vor allem Berlin mit seiner »wertebasierten Außenpolitik« fördert, angesichts der Blockbildung der richtige Weg sind, bezweifeln Kritiker. Frankreich und weitere europäische Regierungen überarbeiten ihre Sicherheitsstrategien; die Bundesregierung will Anfang 2023 ihre China-Strategie veröffentlichen. Die meisten europäischen Positionierungen dürften letztlich moderater ausfallen als die amerikanischen. So ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner, liefert existenzielle Rohstoffe und viele westliche Konzerne erzielen einen großen Teil ihres Umsatzes in der Volksrepublik.

Sich vorbehaltlos auf die amerikanische Seite zu schlagen, ist schon deshalb keine aussichtsreiche Alternative, weil die üppigen US-Subventionen Investitionen und Kapital aus Europa anlocken werden. Das schwedische Unternehmen Northvolt etwa hat den Bau einer großen Batteriefabrik in Schleswig-Holstein mit Verweis auf den »Inflation Reduction Act« infrage gestellt. Trotz vager Zusagen von Biden während des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Dezember dürften sich die unterschiedlichen Interessenlagen nicht auflösen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine europäische Antwort skizziert. 231 Milliarden Dollar allein des IRA-Paketes verstoßen nach Kommissionsschätzungen gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Diese gilt freilich – spätestens seit die Amerikaner das wichtigste Schiedsverfahren blockieren – als zahnloser Tiger. Die Sorge ist berechtigt, dass Europa im Wettbewerb der drei Blöcke weiter zurückfällt. Dass sich die Politiker im kommenden Jahr zu einer eigenständigen deutschen oder europäischen Position durchringen könnten, ist kaum zu erwarten. Stattdessen dürfte der weltweite Subventionswettlauf, der schon vor Corona begann, beschleunigt werden. Unter dem verbalen Deckmantel von Sicherheitsinteressen, Inflationsbekämpfung und Arbeitsplätzen sollen Doppelwumms, neue EU-Schulden und »Souveränitätsfonds« die Wirtschaft im Lande halten. Zur Freude von Unternehmen und Gewerkschaften. Das wird teuer.

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