• Kultur
  • Long live Luckenwalde

Warten auf den Kran

Wenn ein Kunstwerk im Garten liegt: Nachforschungen in Luckenwalde

  • Ronald Kohl
  • Lesedauer: 4 Min.
Warten auf die Senkrechte: Grenzpatrouille in Luckenwalde
Warten auf die Senkrechte: Grenzpatrouille in Luckenwalde

Kunst und Kultur gehören in Luckenwalde nicht unbedingt zum Alltag und in unserer Siedlung schon gar nicht. Hier muss alles praktisch sein. Das typische Bild: Carport, Pool und Rasenrobi. Selbst Gartenzwerge sind so ziemlich ausgestorben. Ich zumindest kenne nur noch einen, der welche besitzt: mich selbst. Drei Stück. Zwei habe ich irgendwann mal in Polen gekauft. Den dritten konnte ich in letzter Minute vor dem Recyclinghof retten. Ein paar Hundert Meter von unserer Parzelle entfernt lag er zwischen Schutt und Unrat auf dem Rücken, hielt die Hände in den Taschen und lächelte.

Das Grundstück hatte wenige Monate zuvor den Besitzer gewechselt. Nach einem kurzen Plausch mit dem neuen Eigentümer reichte er mir die kleine Frohnatur aus bemaltem Gips über den Zaun.

Es ist weder Übertreibung noch Fantasie, sondern die unverfälschte Wahrheit, wenn ich nun berichte, dass ich unlängst wieder an jenem Garten vorbeikam und ich ziemlich exakt an der Stelle, an der ich meinen Gemütszwerg entdeckt hatte, jetzt ein Kunstwerk aus behauenem Stein von beeindruckender Größe liegen sah. Sämtlicher Müll ringsum war längst verschwunden. Mittlerweile glich das Ganze mehr einem Park. Die Ehefrau des freundlichen Herrn harkte gerade Laub und sammelte herabgefallene Zweige auf, was man eben im Spätherbst so tut. Auch sie verwickelte ich in ein Gespräch.

Allerdings ganz bestimmt nicht, um noch einmal etwas abzustauben. Ich erfuhr von ihr, dass ihr Mann diese Skulptur von dem Luckenwalder Bildhauer Karl Späth erworben hatte. Der hatte sie gegen Ende der DDR als Auftragsarbeit angefertigt. Dann war der Deal aber während der Wende geplatzt. Als ich nachhakte, musste sie passen: Wer nun genau der Auftraggeber gewesen wäre und was das Werk überhaupt darstellte, also da müsste ich schon ihren Mann fragen. Abschließend wollte ich von ihr wissen, wann die Skulptur denn aufgestellt werden würde. Sie antwortete mir: »Einen Versuch hat es ja schon gegeben. Aber der Kran war wohl zu klein.«

Meine erste Frage an Karl Späth, als ich dem Bildhauer gegenübersitze, ist die nach dem Gewicht der Figurengruppe. »Wir haben es mal ausgerechnet. Ungefähr 2,5 Tonnen«. Der Künstler hat uns eine Kanne Kaffee gekocht und Gebäck auf den Tisch gestellt. Außerdem liegt da für mich ein von Hand beschriebenes Blatt. Oben steht: »Schutz der Vernunft«.

In dem Text begründet Karl Späth, 1938 im Berliner Wedding geboren, seine politische Überzeugung. Fast habe ich beim Lesen den Eindruck, er verteidigt sie. Denn »Schutz der Vernunft« ist nicht, wie ich annahm, die Überschrift des Textes, sondern der Name der tonnenschweren Sandsteinskulptur. Den Auftrag hatte Karl Späth von der Kulturabteilung der Grenztruppen der DDR erhalten. Sie war als Segment eines Figurenensembles für eine Kaserne gedacht. Daran, welcher Art die anderen Figuren sein sollten, kann sich Späth nicht mehr erinnern.

Seine Plastik stellt einen Doppelposten dar, eine Grenzpatrouille. Hinsichtlich ihrer Bewaffnung gab es keinerlei Vorgaben. »Der eine trägt ein Luftgewehr, der andere gar nichts«, sagt der Bildhauer. Beinahe wäre mir an dieser Stelle die Frage entrutscht, in welchem Postenbereich die beiden denn da Streife gelaufen sein sollen, aber die Atmosphäre des Gesprächs lässt, jedenfalls nach meinem Gefühl, derlei Albernheiten nicht zu. Also bleibe ich ernst, oder richtiger: sachlich.

»Kennen Sie denn jemanden, der bei den Grenztruppen gedient hat?«

Karl Späth nickt. »Ja, mein jüngster Sohn.«

Der Künstler selbst hat zwei Jahre freiwilligen Dienst bei den Luftstreitkräften der NVA abgeleistet. »Alles in allem keine schlechte Zeit«, sagt er. »Es kommt viel auf die Vorgesetzten an.« Einer hat ihm mal den Urlaub gestrichen, weil er erfahren hatte, dass Späth zum Klettern in die Sächsische Schweiz wollte. Zu gefährlich.

»Daher also Ihre Affinität zum Sandstein?«

»Das hat ganz bestimmt damit zu tun«.

Da mir bekannt ist, dass für das Frühjahr der Einsatz schwerer Technik geplant ist, um die Figur endlich aufzurichten, möchte ich am Ende unseres Gesprächs wissen, ob ihm das viel bedeuten würde? »Ja, natürlich. Ich werde dann öfter daran vorbeigehen und mich freuen.«

Ich wiederum werde mich freuen, Karl Späth ab und an in unserer Siedlung zu sehen, denn Kunst und Kultur, na ja, ich sagte es bereits. Aber immerhin wird die Vernunft bald gut bei uns beschützt werden, auf dass wir weiter miteinander auskommen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.