Opposition in der Findungsphase

Nicht nur in Italiens Parlament muss sich der Widerstand gegen reaktionäre Politik neu formieren

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 5 Min.

Italien ist – zumindest parlamentarisch – fest in den Händen der Rechten. Und eine wirklich Opposition gibt es derzeit nicht, schreibt zumindest die hiesige Presse, egal welcher Couleur. Aber ganz so stimmt das nicht. Sowohl politisch wie auf sozialer Ebene gibt es sehr wohl Widerstand gegen die konservativen und oft reaktionären Vorhaben und Taten von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihren Verbündeten.

Im Parlament sind vor allem zwei Parteien in der Opposition: Die sozialdemokratische Demokratische Partei (PD) und die 5-Sterne-Bewegung (M5S), während sich das sogenannte Zentrum um den ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und den einstigen Wirtschaftsminister Carlo Calenda diesbezüglich vornehm in »kritischer Zurückhaltung« übt.

Die Demokratische Partei hat laut der letzten Umfragen einen historischen Tiefststand von etwa 15 Prozent Wählerzuspruch erreicht. Sie steckt mitten in einer »Selbstfindungsphase«, die – so hofft man – mit dem Parteitag enden wird, der für März vorgesehen ist. Aber schon vorher, am 19. Februar, werden die Parteimitglieder über den neuen Sekretär oder die neue Sekretärin entscheiden. Derzeit ist bei der PD alles kompliziert, so auch diese Wahl. Denn zwischen den beiden Erstplatzierten wird es eine Stichwahl geben, an der sich alle Bürger beteiligen können.

Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten sind Stefano Bonaccini (Ministerpräsident der Region Emilia Romagna) und seine augenblickliche Stellvertreterin Elly Schlein. Schlein ist Hoffnungsträgerin der parteiinternen Linken, weil sie etwas wirklich Neues darstellen würde. Und das aus vielen Gründen: Die 37-Jährige ist eine Frau, die aus ihrer Bisexualität kein Geheimnis macht; sie hat eine dreifache Staatsangehörigkeit (die italienische, die schweizerische und die US-amerikanische), einen internationalen Horizont und hat zum Beispiel schon für Barack Obama gearbeitet. Und sie ist erst vor wenigen Tagen wieder in die Demokratische Partei eingetreten, nachdem sie diese verlassen hatte, als die PD die Regierung des ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi unterstützte, zu dessen Mehrheit auch die Rechte gehörte.

Elly Schlein steht für eine solidarische Migrationspolitik, für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, für eine gerechte Steuerpolitik mit Abschaffung aller Steuerparadiese und einer realen Bekämpfung der Steuerhinterziehung, für ein »mutiges Europa«, das in die Zukunft investiert und für »das Recht jedes Individuums auf Selbstverwirklichung«. Das sind vielleicht keine ausgesprochen linken, aber sicherlich authentisch liberale Werte.

Ihr derzeitiger Vorgesetzter und jetzt Konkurrent um das höchste Parteiamt Stefano Bonaccini (Geburtsjahr 1967) kommt aus einer Arbeiterfamilie, ist das, was man einen »Vollblutpolitiker« nennt und hat als »Landesvater« seiner Region einen guten Ruf. Zudem ist er eng mit den Strukturen der PD verwoben. Wer von den beiden beiden am Schluss die Demokratische Partei wieder fit und zu einer wirklichen Oppositionspartei machen soll, wird man sehen. In den Umfragen liegt Bonaccini derzeit vorn.

Auf die 5-Sterne-Bewegung trifft die Redensart »Totgesagte leben länger« zu. Vor den Wahlen im vergangenen September und nach ihren Koalitionen mit praktisch allen Parteien war sie von über 30 auf 15 Prozent Zuspruch geschrumpft. Dann besann sie sich auf ihre »linken« Werte. Trotz einer Spaltung, die inzwischen stattgefunden hat, und obwohl der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte, der zuvor sowohl mit der Ultrarechten wie mit den Sozialdemokraten koaliert hatte, weiter als Parteichef im Amt blieb, liegt die M5S derzeit wieder bei 18 Prozent und damit vor der PD – Tendenz steigend. Die 5-Sterne-Bewegung hatte in ihrer Regierungszeit den »Bürgerlohn« durchgesetzt, den man aber eher mit der deutschen Sozialhilfe vergleichen kann. Er liegt bei höchstens 700 Euro monatlich für eine bedürftige Familie mit mehreren Kindern. Für Italien war dies allerdings der erste wirkliche Schritt hin zu einem alle einschließenden Sozialstaat.

Zwar hat dieses Gesetz nie wirklich funktioniert, zumindest nicht, wo es darum ging, die Arbeitslosen in die Lohnabhängigkeit zu führen. Und trotz des Missbrauchs, den es immer wieder gegeben hat, war es für viele Menschen und nicht nur im Süden ein Lichtblick. Der Rechten aber war es schon immer ein Dorn im Auge und so hat eine der ersten Verordnungen, die von Melonis Regierung verabschiedet wurde, die Gelder drastisch gekürzt. Noch 2023 soll der »Bürgerlohn« vollkommen abgeschafft und durch einen »Ernährungslohn«, also eine Art »Armenspeisung«, ersetzt werden.

Ein Hoffnungsträger für die Italiener, die in der ultrarechten Regierung eine ernste Bedrohung sehen, ist Maurizio Landini, Generalsekretär der CGIL, der größten italienischen Gewerkschaft. Zwar steht auch ihr ein Kongress mit den leider üblichen Grabenkämpfen bevor, aber die CGIL ist im Augenblick eine der wenigen Instanzen, die soziale und antifaschistische Forderungen vorbringt, die über den »normalen« Arbeitskampf weit hinausgehen. So hat Landini in diesen Tagen immer wieder das Haushaltsgesetz für das kommende Jahr angeprangert. »Es nimmt den Armen und gibt den Reichen«, erklärte er. »Das Gesetz hat den Süden des Landes vollkommen vergessen«, sagte er und ging weiter: »Es nimmt den jungen Menschen die Zukunft.« Für viele Italiener ist Landini glaubwürdig, gerade weil er nicht in die althergebrachten Machtkämpfe zwischen den Parteien verwickelt ist.

Und dann sind da noch außerhalb der Parlamente die zahlreichen Bewegungen, in denen vor allem junge Menschen aktiv sind: gegen die Wohnungsnot, gegen Rassismus und für eine gerechtere Migrationspolitik, gegen die Umweltbelastung, für Frauenrechte… Aufgabe einer wirklichen Oppositionspartei wäre es, all diese Ansätze und Bewegungen zu bündeln und sich an ihre Spitze zu stellen. Wer diese Mammutaufgabe wirklich bewältigen will und kann, ist heute noch nicht abzusehen.

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