Höcke als Drohkulisse

Die CDU muss 2023 ihr Verhältnis zur AfD endgültig klären

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Profitiert vom Verhalten der CDU: Björn Höcke
Profitiert vom Verhalten der CDU: Björn Höcke

Für die AfD endet 2022, wie es begann: Mit dem Abtritt eines Funktionärs. Kurz vor Weihnachten erklärte der sächsische Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann, der Partei den Rücken zu kehren. Seine Erklärung liest sich wie fast jede Austrittserklärung in den letzten Jahren: Die AfD grenze »sich viel zu wenig öffentlich von extremistischen Personen, Vereinigungen oder Parteien« ab, so Teichmann und führte als Beispiel die politische Nähe zu den »Freien Sachsen« an. Mit der völkischen Kleinstpartei hält es die AfD wie zuvor bereits mit anderen Gruppierungen, darunter früher etwa Pegida. Zwar gilt ein vom Bundesvorstand verabschiedeter Unvereinbarkeitsbeschluss, doch sooft wie im Freistaat AfD-Vertreter*innen bei Aufzügen Seit’ an Seit’ mit den »Freien Sachsen« gesichtet wurden, ist die Sache mit der Distanzwahrung eher theoretischer Natur, auch wenn der Beschluss zur Folge hat, dass eine parallele Mitgliedschaft in beiden Parteien nicht möglich ist. Aus den völkisch dominierten ostdeutschen Landesverbänden, besonders Sachsen und Thüringen, gibt es Forderungen, den Unvereinbarkeitsbeschluss aufzuheben. Bis jetzt gab es dafür im Bundesvorstand keine Mehrheit – zuletzt auf einer Beratung im Oktober.

Die Entscheidung dürfte vor allem taktisch begründet sein. Einerseits handelt es sich bei den »Freien Sachsen« offiziell um ein Konkurrenzprojekt, andererseits gilt die Kleinstpartei für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) seit 2021 als »erwiesene rechtsextremistische Bestrebung«. Im Vergleich dazu ist die sächsische AfD bisher nur ein Verdachtsfall, worüber das LfV allerdings die Öffentlichkeit aufgrund einer gesetzlichen Regelung offiziell nicht informieren darf.

Mit dem Inlandsgeheimdienst hat auch die wohl schwerste Niederlage der AfD im Jahr 2022 zu tun. Im März urteilte das Verwaltungsgericht Köln, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dürfe die Gesamtpartei als Verdachtsfall einstufen. Die AfD wehrt sich juristisch dagegen, ein Verfahren beim Oberverwaltungsgericht Münster läuft aktuell. BfV-Präsident Thomas Haldenwang erklärte erst vor wenigen Tagen im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa, es sei »gegenwärtig ein gewisser Trend erkennbar«, wonach es mit der AfD »weiter nach rechtsaußen« geht.

Maßgeblich dazu beigetragen haben dürfte, dass sich der parteiinterne Machtkampf gleich zu Jahresbeginn mit dem Austritt des damaligen Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen endgültig zugunsten der völkischen Nationalisten rund um Björn Höcke entschied. Noch verzichtete der Thüringer Faschist auf die endgültige Machtübernahme, seine Präsenz auf AfD-Parteitagen war 2022 allerdings so umfassend wie nie. Wie groß Höckes Einfluss ist, zeigte sich Mitte Juni in Riesa, wo die Parteitagsdelegierten die Ära Meuthen dadurch final beendeten, indem es keine Unterstützer*innen des früheren Vorsitzenden in den neuen Bundesvorstand schafften. Was folgte, war der endgültige Exodus noch verbliebener Höcke-Widersacher*innen. Ende November verließ mit der hessischen Bundestagsabgeordneten Joana Cotar die letzte halbwegs bekannte Kritikerin die AfD und wetterte über fehlenden Anstand »in den korrupten Netzwerken innerhalb der Partei«. Sie behauptete, Opportunist*innen seien in der Partei ein viel größeres Problem als »der extreme Rechtsaußen-Rand«, der immer nur eine Minderheit gewesen sei. Noch Ende September – zwei Monate vor ihrem Austritt – verbreitete Cotar als Kritik am Oktoberfestbesuch einiger Grünen-Politiker*innen eine antisemitische Karikatur der NSDAP. Sie habe den Ursprung nicht gekannt, behauptete Cotar, nachdem sie den Beitrag wieder gelöscht hatte.

Doch weder Generalabrechnungen frustrierter Ex-Mitglieder noch der Verfassungsschutz schadeten der AfD bisher nachhaltig. Zwar flog die Partei bei der Landtagswahl im Mai in Schleswig-Holstein aus dem Landtag und schaffte es nur eine Woche später mit 5,4 Prozent denkbar knapp erneut ins nordrhein-westfälische Parlament, doch schon im Herbst gelang ihr bei der niedersächsischen Landtagswahl mit elf Prozent (plus 4,8 Prozentpunkte gegenüber 2017) ein Comeback. Dies hat nichts mit einem starken Landesverband noch mit einem überraschenden Wahlkampf vor Ort zu tun. Vielmehr kehrte nach einem turbulenten ersten Halbjahr für AfD-Verhältnisse Ruhe in die Partei ein, die ihre Kräfte auf eine bundesweite Kampagne fokussierte, die sich mit den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für die deutsche Bevölkerung auseinandersetzte. Die Kernforderung war wie so oft simpel und realpolitische Widersprüche ignorierend: Deutschland solle in dem Konflikt nichts tun, was den eigenen Interessen schaden könnte, wobei Eigeninteresse sich in diesem Fall vor allem in Rufen nach billiger Energie erschöpfte – wie selbstverständlich auch vom Aggressor Russland.

Zumindest kurzfristig profitiert die AfD mit ihren einfachen Antworten auf eine komplizierte geopolitische Gemengelage, wenn im Ergebnis auch ambivalent: Eine im Oktober in Berlin abgehaltene und mit viel Aufwand beworbene Demonstration unter dem Motto »Energiesicherheit und Schutz vor Inflation – Unser Land zuerst« war mit 10 000 Teilnehmer*innen zwar kein Flop, allerdings für Hauptstadtverhältnisse auch kein Großereignis. Lauwarm lief der Herbst auch bei den bundesweit angekündigten Protesten. Während größere Proteste von rechtsaußen in den westdeutschen Bundesländern gänzlich ausfielen, konzentrierten sich die Aufmärsche in Ostdeutschland auf Sachsen und Thüringen, also jene Länder, in denen die AfD ohnehin stark und regional vernetzt ist.

Auch in den Umfragen profitierte die AfD von der Krisenstimmung längst nicht so, wie sie es sich erhofft hatte. In der bundesweiten Sonntagsfrage schafft es die Partei zwar bis auf etwa 15 Prozent, dies entspricht jedoch weitestgehend jenem von der Demoskopie angenommenen maximalen Mobilisierungspotenzial.

Entscheidend dürfte sein, ob sich die Normalisierung der AfD 2023 fortsetzt. Besonders die CDU muss ihr Verhältnis zu Rechtsaußen klären – auch hier sorgten Sachsen und Thüringen in den letzten Monaten für Aufregung. Um die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Erfurt unter Druck zu setzen, griff die CDU-Landtagsfraktion inzwischen wiederholt auf die Option zurück, sich eine parlamentarische Mehrheit mittels AfD-Stimmen zu organisieren. Eine permanente Drohkulisse, die nicht unbedingt das Vertrauen in Beteuerungen der CDU stärkt, auf keine Koalition oder zumindest Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die AfD hinzuarbeiten. Dass der Thüringer Fraktion der Faschist Höcke vorsteht, scheint für die Konservativen kein Hindernisgrund.

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