Gute Nachrichten für Pedro Sánchez

Spaniens Ministerpräsident bringt Hilfspaket durch und Justizrat beendet Blockade des Verfassungsgerichts

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

Die sozialdemokratische Minderheitsregierung von Pedro Sánchez hat einen Stolperstein weniger. Am Dienstag löste der Oberste Justizrat (CGPJ) die seit über sechs Monaten währende Blockade bei der Neubesetzung von Richtern am Verfassungsgericht auf. Einstimmig entsandte der CGPJ zwei neue Richter an das höchste Gericht. Die hätten gemäß der Verfassung spätestens vor sechs Monaten neu eingesetzt werden müssen. Möglich wurde dies, da die progressiveren Richter im Justizrat nicht auf ihrem Kandidaten beharrten, sondern die progressive María Luisa Segoviano mittrugen. Da zusätzlich die Mitte-links-Regierung zwei Richter für neun Jahre bestimmen kann, erhält das höchste Gericht nach fast zehn Jahren eine »progressive Mehrheit«.

Über die rechte Mehrheit im höchsten Gericht konnte die rechte Volkspartei (PP) der Regierung immer wieder in die Parade fahren und wichtige Vorhaben stoppen, obwohl sie keine Mehrheit im Parlament hat. In der in zwei Lager gespaltenen Justiz ist oft nicht das Gesetz dafür ausschlaggebend, wie Richter entscheiden, sondern die politische Ausrichtung bestimmt, wie Gesetze oder die Verfassung interpretiert oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Urteile des Verfassungsgerichts werden deshalb nicht selten von europäischen Gerichten kassiert.

Vergangene Woche war es zum offenen Schlagabtausch zwischen Verfassungsgericht und der Parlamentsmehrheit gekommen. Denn mit knapper Mehrheit untersagte das Verfassungsgericht dem spanischen Parlament erstmals, nachdem eine Reform im Parlament schon beschlossen war, sie im Senat weiter zu debattieren und zu verabschieden. Das löste die schwerste institutionelle Krise seit Jahrzehnten aus. Das Verfassungsgericht urteilte zudem in eigener Sache. Denn im Parlament sollte der Modus der Richterwahl so geändert werden, dass die Konservativen ihn nicht mehr hätten blockieren können. Die PP ließ daraufhin die Reform per Eilantrag durch ihre rechten Richter stoppen. Verfassungswidrig sorgten ausgerechnet die zwei Richter für eine knappe Mehrheit, die seit sechs Monaten kein Mandat mehr haben.

Doch die Erneuerung der Richter basiert auf einem Verfassungsbruch. Seit Jahren hat der CGPJ kein Mandat mehr, ist nur noch geschäftsführend im Amt. Der Rat darf keine neuen Richter ernennen, betonen Verfassungsrechtler wie Javier Pérez Royo immer wieder. Er spricht von einem »Präzedenzfall«, der »aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hätte schlechter sein können«. Er mahnt Reformen auch mit Blick auf den CGPJ an. Denn dort hat sich die Rechte eingegraben und blockiert seit vier Jahren die Erneuerung, um die Kontrolle über die »Regierung der Richter« nicht zu verlieren. Regierungschef Pedro Sánchez meint, die »Demokratie hat über die PP-Blockade gewonnen«.

Regierungschef Sánchez feiert auch das neue Krisenpaket als Sieg. Um der hohen Inflation zu begegnen, hat seine Regierung am Dienstag ein neues Hilfspaket beschlossen. »Der Spiegel« titelt: »Spanien streicht Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.« Der Teufel steckt aber im Detail. Die Steuer wird nur für wenige Produkte gestrichen. Auf Eier, Milch und Brot fiel ohnehin nur der reduzierte Satz von vier Prozent an. Gesenkt wurde der Satz für Nudeln und Öl von zehn auf fünf Prozent, Einsparungen halten sich also in Grenzen. Aufruhr sorgt vor allem unter Menschen mit geringem Einkommen, dass Fleisch und Fisch ausgenommen wurden. Sollen arme Menschen kein Fleisch oder keinen Fisch mehr essen? Das fragen sich auch Verbraucherschützer. Die Fleischwirtschaft ist empört, die längst eine Absenkung gefordert hatte.

Teurer wird es für Autofahrer. Nachdem die Spritpreise etwas gesunken sind, fällt der Tankrabatt von 20 Cent pro Liter ab dem 1. Januar weg. Transportbranche, Bauern und Fischer sollen direkte Hilfen bekommen. Bisher profitierten beim Gießkannenprinzip vor allem die, die viel konsumieren, wie beim Tankrabatt die, die viel Sprit verbrauchen, statt zielgerichtet denen zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen.

Etwa 4,2 Millionen Haushalten mit einem Jahreseinkommen unter 27 000 Euro und einem Vermögen von weniger als 75 000 Euro soll ein einmaliger Bonus von 200 Euro zum Inflationsausgleich gezahlt werden. Ausgenommen sind Haushalte mit zwei Mindestlöhnen, da sie die Grenze von 27 000 Euro Bruttolohn überschreiten. Absurd ist, dass Bezieher des vor zwei Jahren eingeführten Sozialgeldes ausgeklammert werden, die sehr wenig Geld zur Verfügung haben und unter der Inflation besonders stark leiden. Die große Zeitung »El País« meint, die Regierung wolle das »Fiasko« des ersten 200-Euro-Schecks ausgleichen. Den erhielten, auch wegen bürokratischer Hürden, statt 2,7 Millionen nur 600 000 Haushalte.

Dass Mieterhöhungen weitere sechs Monate auf maximal zwei Prozent gedeckelt werden, begrüßen Mietervereinigungen. Sie sprechen aber von einer »ungenügenden« Maßnahme und fordern den versprochenen Mietendeckel per Gesetz. Die neue Maßnahme sei zudem »dumm« gemacht, da die Mieter die Deckelung beim Vermieter »beantragen« müssen, weshalb ebenfalls viele davon vermutlich nicht profitieren werden.

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