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Dunkle Wesen in der Elbe-Schwimmhalle

Die Autorin unserer nd-Kolumne »Über Wasser« wagt eine Rückkehr in die Kindheit

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Elbe-Schwimmhalle in Magdeburg – ohne schwebendes Glasbecken
Die Elbe-Schwimmhalle in Magdeburg – ohne schwebendes Glasbecken

Als Kind lernte ich in der Magdeburger Elbe-Schwimmhalle schwimmen. Ein paar Jahre vor meiner Geburt gebaut, war sie eine der größten der DDR, mit Sprungturm, Wettkampftribüne, Tauchbecken und Wandmosaik. Die Halle dröhnte von den Anweisungen der Schwimmlehrer und dem Gekreisch der Kinder. Die große Fensterfront mit Blick in die noch kahle, nach der letzten Zerstörung freigeräumte Stadt ließ mildes Winterlicht herein, wir froren am Beckenrand um die Wette.

Ich erinnere mich vor allem an den furchtbaren Moment, wenn wir nacheinander per Köpper vom Startblock ins Becken springen sollten. Bis heute kann ich mich nicht nach unten kippen lassen. Wurde nie Leistungs- oder Rettungsschwimmerin. Schwimmen ging, tauchen sowieso. Es brannte, wenn ich mit offenen Augen unter den anderen durchgeschwommen war und überraschend am Ende des Pulks auftauchte.

Mehr als 40 Jahre später träume ich von der Elbe-Schwimmhalle. Ich erkenne sie sofort. Es ist ein lichtdurchflutetes, sich auf zwei Ebenen abspielendes Schwimmszenario. Über dem 50-Meter-Becken hängt eine weitere transparente Glaswanne, noch einmal genauso groß. Ich bin plötzlich dort oben, schwimme Brust und sehe durch die dicke Scheibe, wie tief unter mir Kinder das Schwimmen lernen, ihre aufgeregten Bahnen ziehen. Die anfeuernden Rufe der Schwimmlehrer dringen in den hohen Raum, wo ich mit einer Handvoll Schwimmer unterwegs bin, inzwischen auf dem Rücken treibe. Es ist wunderschön.

Bevor sich ein Glücksgefühl in mir breitmachen kann, nehme ich einen dunklen Schatten wahr, der seitlich näherkommt. Unter Wasser äugend sehe ich einen Hai, der mit schwingenden Bewegungen auf mich zuschießt. Von rechts, bemerke ich erst jetzt, ist ein zweiter schon nahe, öffnet gerade sein Maul. Auch ich reiße den Mund auf, will schreien. Schaue durch den gläsernen Boden auf die Menschen unter mir, die munter weitermachen. Meine Schwimmkollegen auf derselben Ebene sind verschwunden und die Haie gleichzeitig bei mir.

Das muss mit der Wirklichkeit abgeglichen werden, denke ich mir und betrete neulich bei einem Besuch meiner Heimatstadt die Elbe-Schwimmhalle. Alles ist anders und doch ähnlich. Anfang der Nullerjahre ist das Schwimmbad grundsaniert und modernisiert worden, hier trainieren die Schwimmer des SC Magdeburg und die Sportler der Wasserball-Union, wie ich den Schildern im Foyer entnehme. Umkleiden im Keller, komplizierte Wegführung durch ein Treppenhaus – plötzlich stehe ich in der Halle. Sie ist immer noch groß, das Mosaik etwas blasser, durch die Fensterfront fällt mildes Winterlicht. Die linke Seite ist für die Sportler abgetrennt, die an diesem Wochenvormittag ihre Bahnen durchfurchen.

Ich wähle die zweite von rechts und beginne meine 200 Meter Brust. Am Ende des Beckens verschlucke ich mich. Tief unter mir ziehen schwarze Wesen über den Grund. Eins legt sich hin, dreht sich vergnügt auf den Rücken, ein anderes macht eine Rolle vorwärts. Das dritte schaut hoch, während das vierte Kreise zieht und die Flossen schwenkt. Blasen steigen auf. Hustend an der Rille hängend sehe ich vor der Zuschauertribüne einen Mann im Becken, mit schwarzem Taucheranzug und -brille, die im Wasser titscht. Er überwacht das Getümmel da unten und hilft den Tauchern heraus, als ich fertig bin mit meinen Bahnen. Sie packen ein, ich lese »Bördehauptstadt Tauchgruppe« auf ihren Shirts. Es hat alles seine Ordnung.

Später sitze ich in den Innereinen des Bades in der Sauna und grinse, eine Frau fragt: »Is’ doch jut hier, oder?« Jetzt: Ja.

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