Banditen und Betriebsräte

Eine neue Studie behandelt den schockierenden Privatisierungskurs der Treuhandanstalt in Brandenburg

Wolf-Rüdiger Knoll ist Jahrgang 1986 und war noch ein kleiner Junge, als Birgit Breuel, die Chefin der Treuhandanstalt, 1994 an der Berliner Zentrale das Schild abschraubte. Als Knoll das in den Nachrichten im Fernsehen mitbekam, fragte er seinen Vater, was die Treuhand sei. Er erinnert sich noch gut an die Antwort, die kurz und knapp ausfiel: »Alles Verbrecher.«

Mittlerweile ist Knoll bei der Industrie- und Handelskammer in Schwerin beschäftigt, hat sich aber zuvor als Wirtschaftshistoriker mit den Privatisierungen in den Jahren 1990 bis 2000 befasst und einen dicken Wälzer »Die Treuhandanstalt in Brandenburg« geschrieben, der jetzt im Ch. Links Verlag erschienen ist. Der Band gehört zu einer Schriftenreihe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte zur Geschichte der Treuhandanstalt. Außer Knolls Beitrag, der ihm einen Doktortitel der Universität Potsdam eintrug, sind schon einige Bände erschienen. Im Ergebnis umfangreicher Forschungen in den Jahren 2017 bis 2021 sollen jedoch im kommenden Jahr weitere Bände erscheinen, wie Mitherausgeber Dierk Hoffmann ankündigt. Professor Hoffmann hat persönlich einen Teil zu Sachsen in Arbeit, der ebenfalls 2023 herauskommen soll.

Im Gegensatz zu früheren Autoren, die sich mit der skandalumwitterten Behörde befassten, konnten Knoll und seine Forscherkollegen bei ihrer Arbeit die alten Akten der Treuhandanstalt einsehen. So kann Knoll nun auf Fakten gestützt einschätzen, was an dem Vorwurf seines Vaters von 1994 dran war. Obwohl im wissenschaftlichen Stil verfasst, liest sich sein Buch wie ein Wirtschaftskrimi, in dem Straftaten aufgedeckt und Täter ermittelt werden. Das Urteil müsste lauten: Nicht alle waren Verbrecher, aber an krimineller Energie hat es nicht gemangelt.

Man müsse gerecht sein, sagt auch Michael Reinboth. Er ist zu einer Veranstaltung der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung gekommen, bei der das Buch von Knoll vorgestellt wird. Es habe auch Mitarbeiter der Treuhand gegeben, die sich ehrlich bemühten, seriöse Investoren für die ehemals volkseigenen Betriebe zu finden. Aber: »Das Nähmaschinenwerk in Wittenberge – da hat die Treuhand an Banditen verkauft.« Reinboth kennt sich aus. Schließlich war er ab 1990 als Ministerialrat im brandenburgischen Wirtschaftsministerium von Walter Hirche (FDP) damit befasst, Betriebe mit erheblichen Zuschüssen vorerst vor der Pleite zu retten. »Ich habe für insgesamt sechs Milliarden Mark unterschrieben«, erinnert er sich. Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) habe oft bis in die Nacht gesessen, um Lösungen zu finden.

Letztlich wurde das Nähmaschinenwerk in Wittenberge trotzdem völlig zerschlagen, mit »verheerenden Folgen« für die Stadt, wie Martina Weyrauch weiß. Sie leitet jetzt schon ewig die Landeszentrale für politische Bildung, war seinerzeit aber noch Referentin von Manfred Stolpe. Den habe bis zu seinem Tode geschmerzt, was in Wittenberge geschah. »Und er hat sich da nichts vorgemacht«, versichert sie.

Dabei sind dem Forscher Wolf-Rüdiger Knoll auch Privatisierungen untergekommen, die er als »Erfolgsfall« bezeichnen möchte. In Eisenhüttenstadt etwa, wo heute noch Stahl gekocht und gewalzt wird – allerdings mit 3000 Beschäftigten. Zur Wende waren es noch 10 000. Von insgesamt 16 Standorten, die der Autor näher unter die Lupe genommen hat, ist von zehn noch etwas vorhanden. Wenn es den alten Betrieb nicht mehr gibt, hat zumindest ein neuer die Nachfolge angetreten.

Doch die Zahl der im Bundesland erhaltenen Industriearbeitsplätze spricht eine andere Sprache. 1989 waren es 400 000, schon 1990 nur noch 300 000 und 1994 schließlich 100 000. Zwar ist gegenzurechnen, dass in der DDR die Mitarbeiter der Betriebskindergärten und der betriebseigenen Kulturhäuser und Schwimmbäder mitgezählt wurden, die man dann schnell ausgliederte und in kommunale Verantwortung übergab. Doch auch dort fand noch Personalabbau statt und es wurden Einrichtungen geschlossen.

Das Chemiefaserwerk von Premnitz war in der DDR immer weiter ausgebaut worden und beschäftigte zuletzt 7000 Menschen. Noch im Frühjahr 1989 feierte die SED-Zeitung »Neues Deutschland« die Inbetriebnahme einer modernen Anlage. Mit der Wende war die Branche dem Tode geweiht. Das Werk erhielt von der Treuhand die Note 6 und galt als absolut nicht sanierungsfähig. Es fand sich trotzdem ein Interessent für die Übernahme, eine süddeutsche Klitsche mit nur 15 Mitarbeitern, die sich einbildete, mit der Sowjetunion gute Geschäfte machen zu können.

Als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, ließ der Besitzer per Lautsprecherwagen die Kündigung der noch verbliebenen Belegschaft durchsagen. Die 2500 Beschäftigten ließen sich das nicht gefallen und besetzten das Werk. Gabelstaplerfahrer verbarrikadierten symbolisch die Zufahrt. Der damalige Betriebsratschef Mathias Hohmann, ein gelernter Schlosser, der sich zum Ingenieur qualifiziert hatte, erinnert sich noch gut, wie er zum Vorstand zitiert und ihm mit Schadenersatzforderungen gedroht wurde.

Der Widerstand lohnte sich zumindest ein bisschen. Die Politik wurde aufmerksam, und das Land Brandenburg bewilligte zur Überbrückung 25 Millionen Mark. Ministerialrat Reinboth unterschrieb auch für diese Summe. Er war skeptisch gewesen, als er hörte, dass eine Firma mit lediglich 15 Angestellten so einen großen Betrieb schlucken wollte. Seine Bedenken seien von der Treuhand aber mit der Frage nach einem besseren Investor vom Tisch gewischt worden.

Die politische Vorgabe aus Bonn war eine schnelle Privatisierung, folgend dem damaligen Zeitgeist und auf den Spuren von US-Präsident Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Ob es mit mehr Zeit für die Transformation günstiger gelaufen wäre, vermag Reinboth nicht zu sagen. Jedenfalls seien es bewegte Zeiten gewesen, in denen die einen bis zum Umfallen schuften mussten und andere als Arbeitslose dazu verurteilt waren, die Hände untätig in den Schoß zu legen.

Am Standort Premnitz gibt es mittlerweile noch 700 Beschäftigte und etwa genauso viele bei Zulieferern. Das genügt Knoll bereits, um von einem Erfolgsfall zu sprechen. Für Ex-Betriebsrat Hohmann, der schließlich zu einer Arbeitsförderungsgesellschaft wechselte, zählt auch, dass viele Familien übergangsweise noch ein Auskommen fanden. Trotzdem sei die Industrie regelrecht ausradiert worden.

In Brandenburg waren die Maschinen nicht ganz so alt wie im ostdeutschen Durchschnitt, dafür gab es im Vergleich zu Sachsen eine schlecht durchmischte Wirtschaftslandschaft. Mit der Braunkohleindustrie in der Lausitz ließen sich noch jahrzehntelang Profite erwirtschaften – auch deshalb, weil die immensen Kosten der Rekultivierung auf den Staat geschoben wurden. Andererseits gab es Betriebe, die in alle Welt exportierten und von fähigen Direktoren geleitet wurden. Mit der Währungsunion gerieten sie quasi über Nacht in Not, weil die Kunden die Produkte für D-Mark nun nicht mehr haben wollten.

Die Geräte- und Reglerwerke Teltow wiederum erhielt ein Unternehmer für gerade mal eine Mark, obwohl sie nicht zuletzt wegen der Grundstücke in der Nähe zu Berlin 70 Millionen wert gewesen sein sollen. Die Revision der Treuhand ist bei ihrer Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass ein Schaden von mindestens 50 Millionen bis zu 170 Millionen Mark entstanden sei. Die Liste der Skandale lässt sich schier endlos fortsetzen. Die Verantwortlichen für das Desaster saßen aber nicht immer in der Treuhandanstalt: Bei der Abwicklung des Schweinezucht- und Mastkombinats in Eberswalde oder der Interflug in Schönefeld waren es Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle und Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann (beide CSU), die eine entscheidende Rolle spielten.

Wolf-Rüdiger Knol: »Die Treuhandanstalt in Brandenburg. Regionale Privatisierungspraxis 1990–2000«, Ch. Links Verlag, 704 Seiten, 38 Euro

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