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Machtvakuum in Sofia

Liberaler Politiker in Bulgarien vom Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann es ja mal versuchen, dürfte an diesem Freitag das Credo im bulgarischen Parlament in Sofia sein. Der parteilose, ehemalige Bildungsminister Nikolaj Denkow versucht, sich und sein Kabinett wählen zu lassen. Die Chancen dafür stehen schlecht, denn in der Narodno Sabranie – der Volksversammlung – zeichnete sich bis zuletzt keine Mehrheit ab, die sich hinter den Naturwissenschaftler stellen würde. Wenn Denkow bei der Abstimmung durchfällt, könnte die Suche nach einer Regierungsmehrheit weitergehen; wahrscheinlich ist aber auch, dass es im März zu vorgezogenen Neuwahlen kommt.

Dass Denkow seinen Hut in den Ring geworfen hat, ist dem ehemaligen Premierminister Kiril Petkow geschuldet. Der Chef von »Wir setzen den Wandel fort« will seine Partei wieder in der Regierung sehen, weiß aber auch, dass dies keine Chance hätte, wenn er selbst als Premier kandidieren würde.

Bulgarien steckt seit Jahren in einer politischen und ökonomischen Krise. Der Großteil der politischen Klasse ist korrupt, wofür vor allem der langjährige Regierungschef Bojko Borissow steht. Der ehemalige Karatemeister und Fußballprofi ist zudem Vorsitzender der stärksten Partei, der Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB). Dabei handelt es sich um einen Zögling der CDU-geführten Europäischen Volkspartei. Borissow hatte von 2009 bis 2021 die Aufgabe, die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. Das bedeutet vor allem, eine neoliberale Agenda voranzubringen: Staatsausgaben kürzen und Arbeitsrechte schleifen, Bulgarien für westeuropäische Firmen offen halten, die Grenzen aber für Geflüchtete dichtmachen.

Nach dem Ende der Ära Borissow zog keine Ruhe in den politischen Betrieb ein. In den vergangenen zwei Jahren fanden bereits vier Parlamentswahlen statt, aus denen instabile Koalitionen hervorgingen, die mehr mit internem Streit als mit dem Regieren des Landes beschäftigt waren. Zuletzt wurden die Bulgaren am 2. Oktober an die Urnen gerufen. Dabei gewann GERB zwar 25 Prozent der Stimmen, doch auch die vormals stärkste Kraft »Wir setzen den Wandel fort« konnte mit 20 Prozent in die Sabranie einziehen. Daneben gibt es noch fünf weitere Parteien, was eine Regierungsbildung erheblich erschwert.

Das war bereits nach den Wahlen im November 2021 ein Problem. Damals gelang es Petkow zwar, ein Bündnis mit der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), der Liste »Es gibt ein solches Volk« des Entertainers Slawi Trifonow sowie Demokratisches Bulgarien zu schmieden. Doch die Koalition hielt nur 232 Tage, bis sich Trifonow im vergangenen Sommer wegen Budgetfragen mit den Partnern überwarf. Der Pakt stand von Anfang an auf wackligen Füßen. Zu unterschiedlich waren die Positionen in wichtigen Fragen, etwa zum Krieg in der Ukraine. So war die Niederlage Petkows beim Misstrauensvotum im Juni vorgezeichnet; am 2. August 2022 folgte ihm Galab Donew, den Staatspräsident Rumen Radew kommissarisch ins Amt hob.

Der Krieg in der Ukraine ist eines der bestimmenden Themen in Bulgarien. Viele Bulgaren sehen in Russland wegen des geteilten orthodoxen Glaubens sowie der ähnlichen slawischen Sprache einen natürlichen Verbündeten. Das gilt nicht nur für die Sozialisten, sondern auch für die rechtsnationalistische Partei Wiedergeburt und das Bündnis Bulgarischer Aufstieg von Ex-General und -Premierminister Stefan Janew. Dass sich auch Präsident Radew, ebenfalls ein ehemaliger ranghoher Soldat, dafür einsetzt, dass sein Land im Ukraine-Krieg eine neutrale Position einnimmt, sorgt in westeuropäischen Hauptstädten für Verärgerung.

Dagegen vertreten Petkow und Borissow westliche Positionen, etwa wenn es darum geht, Waffen an die Ukraine zu liefern oder auf Öl und Gas aus Russland zu verzichten. Die erste Frage wurde Anfang Dezember von der Interimsregierung mit der ersten Entsendung von Kriegsgerät beantwortet. Und am 3. Januar schloss Sofia mit Ankara ein Abkommen über die Nutzung türkischer LNG-Terminals, wo künftig unter anderem US-Flüssiggas für Bulgarien aufbereitet werden soll.

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