Als Afrikaner für Frankreich fielen

Ein Spielfilm mit Omar Sy gibt Nachhilfe in Kolonialgeschichte und zeigt Wirkung

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Film, der gerade in Frankreichs Kinos anlief, heißt schlicht »Les tirailleurs« (Die Schützen). Das bezieht sich auf den von Militärhistorikern geprägten Begriff der »Tirailleurs sénégalais«, die nicht nur aus dem Senegal stammten, sondern aus verschiedenen französischen Kolonien Westafrikas: von Algerien über Mali und Tschad bis Kongo-Brazzaville.

Omar Sy, der aus dem Senegal stammende, aber in Frankreich aufgewachsene Hauptdarsteller, ist vielen durch seinen Erfolgsfilm »Ziemlich beste Freunde« bekannt. Jetzt spielt er einen Vater, der sich 1914 als Kriegsfreiwilliger meldet, um seinem zwangseingezogenen Sohn nach Europa zu folgen und ihn dort möglichst vor dem Tod zu bewahren. Das Thema war Omar Sy so wichtig, dass er zehn Jahre lang um diesen Film kämpfte und dafür als Koproduzent all seine Ersparnisse investierte.

Die erste Einheit der senegalesischen Schützen wurde 1857 aus afrikanischen Freiwilligen oder von den Behörden freigekauften Sklaven gebildet, um die französischen Truppen bei der »Aufrechterhaltung der Ordnung« in den Kolonien zu unterstützen. Als im Ersten Weltkrieg die zahlenmäßige Überlegenheit der deutschen Truppen auch eine Verlegung der in Afrika stationierten Einheiten nötig machte, wurden diese dort durch die aufgestockten Verbände aus einheimischen Soldaten abgelöst. Dabei ging man dazu über, Afrikaner auch gegen ihren Willen einzuziehen.

Schon bald wurden erste Einheiten auf den Kriegsschauplatz in Nordostfrankreich geschickt. Dort kämpften rund 200 000 Afrikaner, 30 000 verloren dabei ihr Leben. Die schwarzen Soldaten bekamen tagtäglich den Rassismus der Franzosen zu spüren – nicht nur den der Offiziere, sondern auch ihrer weißen Kameraden. Um sie zu motivieren, wurde den Afrikanern versprochen, dass sie nach dem Krieg französische Staatsbürger würden, doch das erwies sich als Lüge.

Im Zweiten Weltkrieg wiederholte sich alles: Wieder wurden – notfalls mit Gewalt – Einheiten ausschließlich aus Afrikanern aufgestellt und nach Europa geschickt. Hier stellten sie drei Viertel der letztlich 600 000 Soldaten von General de Gaulles Armee des Freien Frankreich, 55 000 von ihnen fielen. So war das Freie Frankreich bei der Landung der Alliierten in der Provence fast ausschließlich durch Afrikaner vertreten. Doch je weiter diese Einheiten nach Norden vordrangen, desto mehr schwarze Soldaten wurden beim Einmarsch in die befreiten Städte Frankreichs gegen weiße ausgewechselt – meist aus den Reihen der inneren Résistance. Das entsprach eher dem Mythos von der Selbstbefreiung Frankreichs. Auch die Lüge von der Aussicht auf die Staatsbürgerschaft wurde den Afrikanern gegenüber wiederholt.

Aber es kam noch schlimmer. Als im Dezember 1944 im Militärlager Thiaroye nahe der senegalesischen Hauptstadt Dakar mehrere hundert aus Europa zurückgekehrte Soldaten entpflichtet wurden, forderten sie ihren noch ausstehenden Sold. Die Offiziere werteten das als »bewaffneten Aufruhr« und ließen schießen. Historiker schätzen, dass dabei mehr als 70 Menschen getötet wurden.

Von diesem »Massaker von Thiaroye« wissen die meisten Franzosen heute ebenso wenig wie überhaupt vom Einsatz afrikanischer Soldaten in Frankreichs Kriegen. In den Schulbüchern wird das Thema nur kurz gestreift, und da es im Lehrplan als fakultativ gilt, lassen es viele Lehrer oft ganz unter den Tisch fallen. Die meisten Franzosen wurden mit dieser düsteren Seite ihrer Geschichte erst jetzt durch den Film konfrontiert. Omar Sy wurde von zahlreichen Medien interviewt und hat dies ausgiebig genutzt, um über die historischen Hintergründe zu sprechen.

Journalisten recherchierten, dass zwar keine afrikanischen Soldaten der beiden Weltkriege heute mehr leben, wohl aber mehr als 40 Männer, die nach 1945 in Frankreichs Kolonialkriegen in Indochina und Algerien kämpften. Sie verbringen ihren Lebensabend in spartanischen Ausländerheimen der Pariser Region, weil sie bei der Rückkehr nach Afrika ihren Anspruch auf die Mindestrente von monatlich 950 Euro verloren hätten. Die Empörung über diese bürokratische Schikane war so groß, dass das zuständige Staatssekretariat die Vorschriften umgehend geändert hat.

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