Fade-out

Jeff Beck war das, was man mit den dürren Wörtern »Glück« und »Schönheit« assoziiert

  • Jürgen Roth
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieser Virtuose muss ein grundfreundlicher Mensch gewesen sein: Jeff Beck, hier in Tokio, 1978.
Dieser Virtuose muss ein grundfreundlicher Mensch gewesen sein: Jeff Beck, hier in Tokio, 1978.

Es war im Hochsommer 2010, man kann das Datum im Netz leicht finden. Am 16. Juli des Jahres rief mich um die Mittagszeit mein Freund Matthias Egersdörfer an. »Roth, du bist doch der größte Verehrer von Jeff Beck mindestens in Mitteleuropa«, sagte er. »Stimmt halbwegs«, antwortete ich, »aber du vergisst Eugen Egner.«

»Eugen Egner, schön und gut, ein großer Mann, allerdings habe ich drei Freikarten für Jeff Beck, die kann der Egner nicht bieten«, fuhr Egersdörfer fort, wobei mir gerade auffällt, dass Egner & Egersdörfer eine höchst begrüßenswerte Band abgäben, beide sind Musiker: Eugen ist Gitarrist, Matthias singt und spielt Klavier. Egner & Egersdörfer. Nachdem es Jeff Beck & Johnny Depp nun nicht mehr gibt.

»Drei Freikarten? Warum? Und wo und wie denn?« – »Ja, drei Freikarten. Jeff Beck hat dieselbe Agentur wie ich, die haben sie mir gerade angeboten, und Jeff Beck tritt heute abend in Nürnberg auf. Willste kommen?«

Diese Stromstöße, die bis in die Zehenspitzen schießen. Kennt man das noch als alternder Sack?

Ich rief Freund Martin an, Gott sei ewig Dank ging er ran (er nimmt in der Regel nicht ab). Eine Stunde später waren wir mit meinem alten lindgrünen BMW auf der Straße. Martin fuhr, wir cruisten durch den Vorspessart, durch seine Heimat, dann durch den Spessart – wir hatten keinen Bock auf den direkten Weg über die A3 –, die Buchenwälder räkelten sich in einem erhebend weichen Licht, alles wirkte klar, die Rapsfelder bogen hinterm Horizont ab, wohin auch immer.

Wir hörten »A Day In The Life«, Jeff Becks Instrumentalinterpretation des vielleicht anbetungswürdigsten Songs der gesegneten Beatles. Ich weiß nicht mehr, wie viele Liveversionen von »A Day In The Life« wir hörten. Ich besitze eine erkleckliche Zahl von Live-Bootlegs von Jeff Beck, Freund Martin hat sie aus dem Internet gefischt und mir auf CD gebrannt.

Freund Martin – wir haben uns leider wohl irreversibel zerstritten, ich hätte gestern gern mit ihm telefoniert – sagte, und das ist alles, was sich über das Genie Jeff Beck sagen lässt, ohne dass man dummes Zeug redet: »Du kannst das 400 Mal hören, und jedes Mal ist es anders.«

Jedes Mal ist es anders. Es wäre schön, ließe sich das über das Leben sagen.

Wir trafen den Egersdörfer am Z-Bau in Nürnberg. Der Egersdörfer, der eher Opern- als Rockmusik wertschätzt und von Jeff Beck keine Ahnung hatte, stand dann mit uns in der engen Menge; und einmal schaute ich rüber zu ihm, und er weinte. Jeff Beck spielte Licks, Soli, Riffs, für die es keine Kategorien gibt, weil die Sprache dort nicht hinreicht. Jeff Beck war das, was man mit den dürren Wörtern »Glück« und »Schönheit« assoziiert. Einem Menschen bei etwas zusehen zu dürfen, das nur dieser eine Mensch kann, bezeichnet man nicht zu Unrecht als epiphanische Erfahrung.

Im Z-Bau baute Jeff Beck in »A Day in The Life«, während dieses atemabschnürenden Breaks, bevor die Hölle auf der verlassenen Erde losbricht, »Purple Haze« ein, das flog aus der Griffhand auf die Strings, und er benutzte ja als einziger der bedeutenden Krawallgitarristen seit Jahrzehnten kein Plektrum mehr. Wie er das machte? Mir (der eine Stratocaster sein Eigen nennt): ein Rätsel.

Jeff Beck verwandelte die »Stromgitarre« (Eugen Egner) in eine Maschine, die Zartheit gebiert. Er nutzte deren Materialität. Sie war ein Instrument und zugleich keins. Sie war eine Leinwand, ein Territorium des Ausdrucks und der Empfindsamkeit. Er bearbeitete den Korpus, er nutzte die Pickups, den Tremoloarm, die Potis wie kein anderer. Hat ein sechssaitiges Instrument je Klage, Sehnsucht und Erfüllung zugleich zu artikulieren vermocht, dann in den Händen dieses bescheidenen Meisters, der über allen Meistern stand. Er starb am Dienstag im Alter von 78 Jahren in Südengland.

Das Lieblingsstück von Freund Martin ist »Nadia«. Ich empfehle den Mitschnitt eines Konzerts im berühmten Londoner Jazzklub »Ronnie Scott’s« von 2008. Jeff Beck, der obendrein ein grundfreundlicher Mensch gewesen sein muss, verbeugt sich da vor der jungen Bassistin Tel Wilkenfeld, die eine ungeheuerliche Begabung ist, und seinem Drummer Vinnie Colaiuta; und irgendwann schwenkt die Kamera über die Zuschauer, und man sieht hinten im Raum Jimmy Page, dem die Tränen in den Augen stehen.

Finesse findet sich in den Poren des Griffbretts und in den weichen Bewegungen der Schlaghand an den Lautstärkereglern. Zuletzt nahm Jeff Beck zusammen mit Johnny Depp und anderen den Beatles-Song »Isolation« auf. Die gitarristische Schlusseskalation inklusive Feedbacks und Wah-Wah-Attacken entschwindet in einem Fade-out, das noch zittert, nachdem es erstorben ist.

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