Die Bettkuhle

Über Flüche im Alltag - Teil 1

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Scherben bringen Glück, aber nicht die eines Spiegels; feiner aber wichtiger Unterschied.
Scherben bringen Glück, aber nicht die eines Spiegels; feiner aber wichtiger Unterschied.

Vor zwei Jahren stolperte ich zu Silvester um Punkt zwölf Uhr in einen Spiegel. Ich war volltrunken und knutschte eher unbeholfen als wild (im erotischen Sinne) mit einer Freundin, da verloren wir das Gleichgewicht und brachten den überlebensgroßen Ikea-Spiegel zum Fallen. Wir prosteten uns fröhlich zu und bestätigten uns, dass »Scherben Glück brächten«. Kurz darauf schlief ich ein, die Gäste zogen weiter, zu Parties, auf denen die Gastgeber*innen noch geistig und körperlich anwesend waren.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.
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Als ich am nächsten Morgen aufwachte und ins Badezimmer schlurfte, fand ich die Spiegelscherben und wunderte mich – ich konnte mich an das Ereignis zuerst nicht erinnern. Stück für Stück kamen die Ereignisse vom Vorabend in mein Gedächtnis zurück, blieben aber verschwommen. Auch die Tatsache, dass »Scherben Glück bringen« kam mir auf einmal nicht mehr ganz so selbstverständlich vor, und um sicher zu gehen, googelte ich die These noch einmal. Das Ergebnis meiner (oberflächlichen) Recherche bestätigte mein Misstrauen gegenüber der vorschnellen Annahme, indem sie klar machte, dass man differenzieren müsse: Scherben bringen zwar Glück, Spiegelscherben allerdings Pech, und zwar sieben Jahre.

Zwei unglückselige Jahre habe ich nun also schon hinter mir – und bin bereits auf fünf weitere Jahre Unglück eingestellt. Eigentlich habe ich mittlerweile ein ganz entspanntes Verhältnis zu meinem Pech. Ich mache mir keine zu großen Hoffnungen mehr, was mich erleichtert und meine Lebensqualität im Endeffekt erhöht. Wer offiziellerweise »Unglück« hat, kann nicht so tief fallen.

Es ist doch eindeutig, dass wir ohnehin alle unter irgendwelchen Flüchen stehen. Ich erinnere mich gut daran, wie eine Freundin nach dem Abitur in ihre erste »eigene« Wohnung zog, von der sich schnell herausstellte, dass sie ihr nie wirklich »gehören« würde – im spirituellen Sinn, nicht im Sinne von »Eigentum«. Es war die Wohnung der gerade verstorbenen Großmutter ihres Freundes, sie lag in einem Neubaukomplex, der teilweise zu einem betreuten Wohnen gehörte.

Die Wohnung war komplett möbliert, die Großmutter schien sich vor vielen Jahren eine Innenarchitekt*in geleistet zu haben, alles war aus »einem Guss« – viel PVC, das mit Folie im Holzlook beklebt war. Das Bett war, ebenso wie die Gardinen, mit einem rosafarben glänzenden Material überzogen, selbst das Gestell war an beiden Seiten mit einer Art kleiner Gardine dekoriert, die an den billig vergoldeten Metallstangen hing. Die ganze Wohnung, die aus zwei winzigen Zimmern und einer schlauchartigen Küche bestand, erinnerte an ein Kinderzimmer: Die Großmutter des Freundes hatte sich für ihren Lebensabend den Traum erfüllt, »sich wie eine Prinzessin zu fühlen«.

In ihrem Fall – der einzige Unterschied – nicht von Disney beeinflusst, sondern eher von der mehrteiligen »Sissi«-Reihe mit Romy Schneider, die immer zu Weihnachten läuft (und die mein Vater besonders liebt). Die Anwesenheit der alten Frau war so stark in der Wohnung, dass meine Freundin es nicht lange aushielt. Was ihr endgültig den Rest gab, war die weiche Matratze des Ehebettes, in der die Großmutter jede Nacht allein gelegen hatte. Die alte Frau hatte sich, wahrscheinlich aus Gewohnheit, immer auf derselben Seite des Bettes niedergelassen, wodurch eine ziemlich tiefe Kuhle in der Matratze entstanden war, ein Körperabdruck der Toten.

Meine Freundin hatte sich nach einigem Zögern bewusst dafür entschieden, nicht in jener Kuhle, sondern auf der anderen Seite zu schlafen – sie fühlte sich, in der Bettkuhle liegend, ein bisschen so, als wäre sie bereits lebendig begraben worden, eine Art Reenactment des Zustandes, in dem sich die Leiche der Großmutter befand. Meine Freundin schlief jeden Abend auf der fast unberührten linken Bettseite ein, rollte aber durch den starken Abfall jede Nacht auf die andere Seite, die Gravitation ließ ihren schlafenden Körper nach rechts rutschen, sodass sie jeden Morgen in der Bettkuhle aufwachte.

Obwohl sie nicht zum Aberglauben neigte, bekam sie nach kurzer Zeit Albträume, die sie nicht mehr loswurde: Sie fühlte sich von der toten Alten irgendwie besessen. Sie versuchte den Spuk loszuwerden, indem sie möglichst viele Filterzigaretten rauchte und zum Auskatern Cordon Bleus mit Pommes im Bett aß, die sie sich nach Hause bestellt hatte. Aber nichts half, das Bett zu profanieren. Der heilige Geist der Großmutter war immer anwesend und zog die Augenbrauen über ihr ausgeh-intensives Leben hoch.

Es half nicht einmal, verschiedene andere Menschen in das verfluchte Bett einzuladen – abgesehen davon, dass die Präsenz der Bettkuhle sowieso ein Libido-Killer war – für alle Beteiligten. Es dauerte nur ein paar Monate und meine Freundin fing an, sich nach Wohnungen umzusehen – und dann sogar nach einem Studienplatz in einer anderen Stadt: Die Bettkuhle musste so weit entfernt sein wie möglich. Kurz darauf verließ sie die Stadt und zog in eine Altbau-WG, in der man sein (Kater-)Frühstück auf umgedrehten Sternburg-Kisten zu sich nahm. Vielleicht war es der Geist der Großmutter, der sie »auf die richtige Bahn gebracht hatte«.

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