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Ordnung in Sicht
Kalte Revolutionierung: Eine Ausstellung im Wiener Leopold-Museum zeigt das Biedermeier als erstaunlich spannungsreiche Epoche
Wer denkt bei Biedermeier nicht an Heimeligkeit, Abschottung von der Welt und Rückzug ins Private? Die Ausstellung »Biedermeier. Eine Epoche im Aufbruch« im Wiener Leopold-Museum zeigt ein anderes Bild der Zeit, nämlich – der Titel sagt es – eines vom Aufbruch zu neuen Ufern, der sich in den Künsten widerspiegelte. Zwar wurde mit dem Wiener Kongress dem Bürgertum vorerst der Weg zur politischen Macht verstellt, es scharrte aber weiterhin gehörig mit den Hufen. Bis zur Revolution von 1848 stieg beständig der Druck, von dem man später sagte, dass er alles Ständische und Stehende verdampfen lassen werde. Dampfmaschine und neue Verfahren in der Stahlproduktion ließen die große Industrie entstehen, ein Bauboom beherrschte Stadt und Land.
Von einem mangelnden Interesse des Biedermeier an der Außenwelt kann wirklich keine Rede sein, wenn man auf die Auswahl an Gemälden der Ausstellung schaut. Golden fließt der Stahl in Schmelzen und Schmieden, es wird gehämmert und geschafft, alles ist von protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus durchwirkt. Monumental erheben sich die steinernen Brückenpfeiler in »Errichtung der Kettenbrücke unter Kaiser Franz I.« von Karel Würbs vor einer Landschaft, die nur noch als zu überwindendes Hindernis erscheint, nicht als Sehnsuchtsort einer Universalpoetik wie zuvor in der Romantik. Hier kündet sich schon ein Realismus an, dem alles Metaphysische als wenig dienlich fürs Geschäft gilt, der das Diesseits gegenüber dem Jenseits bevorzugt.
Die Nüchternheit des Blicks zeigt sich auch in den Stadtansichten von Hubert Sattler, von der Akropolis über Kairo bis Mexiko-Stadt. Es ist bereits der Blick eines Geschäftsreisenden, der in New York die schier unendlichen Fabrikgebäude mit rauchenden Schloten, vor denen die Schaufelraddampfschiffe ihre Runden drehen, ebenso bewundert wie die Minarette von Istanbul oder die Pyramiden am Nil: als technische Leistung. Dass Maler wie Sattler die große weite Welt bereisten, war auch den immer weitreichenderen Handelsbeziehungen nach den Napoleonischen Kriegen geschuldet. Oder im Fall des Malers Thomas Enders, von dem eine Stadtansicht Rio de Janeiros ausgestellt ist, der Heiratspolitik der Habsburger, die bis ins ferne Brasilien reichte.
Vom Zuckerhut ging es für Ender in die Alpen, wo Großglockner oder Matterhorn in großformatigen Gemälden verewigt wurden. Die schneebedeckten Gipfel stellen eine Natur dar, die mit keiner Brücke zu überwinden ist und sich der Naturbeherrschung vorerst entzieht, was sie als Objekt der touristischen Vernutzung interessant werden lässt. Der stille Schauer des Erhabenen beim Anblick der Berge ist der Widerhall des Erschauerns vor der großen Industrie, zu der das im Biedermeier tonangebende Kleinbürgertum wie die Jungfrau zum Kinde kam. Gekämpft hat es, anders als in Frankreich zum Beispiel, dafür nicht und hatte es wohl auch nicht vor. Die neuen Zeitumstände erlebte man als ewiges, unergründliches Schicksal, das man im Berg wiederentdeckte.
Wie ein Symbolbild wirkt ein Selbstporträt von Carlo Canella in seinem Mailänder Atelier. Durch das Fenster schaut man auf mehrstöckige Gebäude der boomenden Metropole in der Lombardei, doch auf des Malers Staffelei – umgeben von einem wohlgeordneten bürgerlichen Interieur – ist eine Landschaft im idyllischen Dämmerlicht zu sehen, die nie mit menschlicher Arbeit in Berührung gekommen zu sein scheint. Hier verschränken sich auf eigenartige Weise die Außen- und Innenräume des Biedermeier, die jedoch eines verbindet: Ordnung. Wohin man in der Ausstellung auch schaut, alles erscheint wohlgeordnet. Man hat sich mit dem Machtrahmen der Restauration abgefunden, man hat ihn akzeptiert und mehr noch, man kann und will sich nichts sonst vorstellen.
Ein Hauch von gezügelter Expressivität wird nur sichtbar, wo sich die Ausstellung den Innenräumen zuwendet: der Familie, der Mode und den Möbeln. József Borsos zeigt mit »Mädchen nach dem Ball« eine Gruppe junger Frauen in intimer Runde, das Kleid über der Schulter verrutscht, den Busen halb entblößt, die Wangen gerötet, der Blick fiebrig und lüstern. Es ist kein religiöses Erlebnis, das diese Mädchen so erhitzt, es ist einfach das Vergnügen. So löst sich auch die Aktmalerei aus ihren mythologischen Bezügen, gezeigt werden schlicht eine schlummernde Frau oder ein Mitbringsel, das in Friedrich von Amelings »Das Souvenir« einen schläfrig-erotischen Blick auf sich zieht. Wieder herrscht Diesseitigkeit, hier in ihrer wohl humansten Ausprägung.
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Nichts ist in den Gemälden mehr zu spüren von der metaphysischen Dramatik des Barock, nichts mehr von der allegorischen Überladenheit des Klassizismus – und auch nichts mehr von dessen Idealen. »Dampfmaschinen und Eisenbahnen, Zollvereine und Staatspapiere sind der Ausdruck dessen, was der Zeit im Ganzen gemäßer und angemessener ist als die Tiefe«, schrieb der Hegel-Schüler Eduard Gans über diese Epoche. Das Ende des Biedermeier deutet die Ausstellung nicht mit Blick auf die Revolution von 1848, sondern auf die erste Weltwirtschaftskrise von 1857 an. In Eduard Swobodas »Glücksspiel« von 1849 sieht man einen mit Münzen gefüllten Spieltisch, rundherum Männer und Frauen, Gewinner und Verlierer. Nach der Ordnung wird das Risiko zum Ideal – und bekanntlich folgten allein im 19. Jahrhundert noch viele weitere solcher Krisen. Auch das kann man einen Aufbruch nennen, einen, der jedoch zum Abbruch einer ganzen Gesellschaft werden kann.
»Die Friedsamkeit ist Oberfläche: in der gefälligen Botanisiertrommel krabbeln bedrohliche Maikäfer der Emanzipation und des Übergangs«, hat der Dramatiker und Dichter Peter Hacks einmal geschrieben, der sich in seiner Doktorarbeit ausführlich mit dem Theater des Biedermeier beschäftigte, das leider – trotz Wiener Protagonisten wie Johann Nestroy und Ferdinand Raimund – in der Ausstellung nicht vorkommt. Dafür kann man zahlreiche wunderbare Exponate sehen, die das Biedermeier als Epoche der »kalten Revolutionierung« (Hacks) zeigen. Auch wenn sich die Ausstellung zu der in der Forschung noch immer heiß diskutierten Frage ausschweigt, wo Biedermeier aufhört und Vormärz anfängt, gewinnt man einen neuen Blick auf diese Zeit, die politisch noch im Korsett der alten Ordnung ging, aber ökonomisch bereits so einige Fesseln fallen ließ.
»Biedermeier. Eine Epoche im Aufbruch«, Leopold-Museum, Wien, bis 27. Juli
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