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China wirbt in Davos
Stärkere Öffnung und wirtschaftliche Normalität nach der Coronakrise
US-Finanzministerin Janet Yellen trifft sich an diesem Mittwoch am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos mit dem chinesischen Vize-Premierminister Liu He. Der Termin überrascht, denn das politische Klima zwischen beiden Ländern war zuletzt frostig. Das Treffen nährt Hoffnungen auf einen nutzbringenderen Umgang der beiden größten Volkswirtschaften der Welt miteinander.
Am Montagabend war das fünf Tage dauernde informelle Treffen in Davos eröffnet worden. Unter anderem 400 Vertreter von Regierungen und 600 Wirtschaftsbosse haben sich angekündigt. Gesprochen werden soll über Krisen und Konflikte: Klimawandel, Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferkettenprobleme. Erstmals seit der Aufhebung der Null-Covid-Isolierungspolitik hat sich eine hochrangige chinesische Delegation auf Auslandsreise begeben. Äußerst freundliche Töne kamen von Liu He: »Ausländische Investitionen sind in China willkommen, und die Tür nach China wird sich nur weiter öffnen«, warb der stellvertretende Ministerpräsident bei seiner Rede in Davos.
Nach den aktuellen Zahlen des Statistikamts in Peking war Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent gewachsen, womit das offizielle Ziel von »etwa 5,5 Prozent« weit verfehlt und die zweitniedrigste Jahreswachstumsrate seit den 1970er Jahren erreicht wurde. Vor allem für das Schlussquartal hatten Analysten indes weit schlechtere Zahlen erwartet. Trotz der massiven Corona-Lockdowns und der riesigen Covid-Welle nach den Lockerungen blieb das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem Vorquartal stabil. In Davos kündigte Liu He mit Blick auf die versammelten Wirtschaftsvertreter optimistisch an, die Volksrepublik werde 2023 auf ihren normalen Wachstumspfad zurückkehren.
Mittelfristig hängt dies von der weiteren Corona-Entwicklung ab. Die Regierung scheint auf einen besseren Immunstatus in der Bevölkerung nach der Covid-Welle zu setzen, die durch das bevorstehende Neujahrsfest noch einmal verstärkt werden könnte. Dafür, dass der Tiefpunkt zunächst einmal erreicht ist, sprechen auch Berichte über deutsche Firmen in China, deren Krankenstand im Herbst bis zu 80 Prozent betrug, sich nun aber beruhigt habe. »Die rasche und abrupte Wiedereröffnung bedeutet, dass sich die Wirtschaftstätigkeit im zweiten Quartal oder sogar schon im März wieder normalisieren könnte«, erwartet Tommy Wu, China-Experte der Commerzbank. Mit rückläufigen Krankenständen werden sich außerdem innerchinesische Lieferkettenprobleme verringern, was international Konsequenzen für Wachstum und Preise haben wird.
Offenbar kehren deutsche Manager nun nach China zurück. Einreisende müssen nicht mehr wochenlang in Quarantäne verbringen. Die neuen Reisefreiheiten nutzte umgekehrt der China-Chef von Volkswagen für einen Europa-Trip: »Wir dürfen unsere Position in China nicht absichtlich aus politischen Gründen schwächen«, warnte er mit Blick auf die angekündigte neue China-Strategie der Bundesregierung. Der teilstaatliche Konzern verkauft in der Volksrepublik derzeit rund 40 Prozent seiner Autos. Peking soll nun sogar zu einer Art zweitem globalen Hauptquartier ausgebaut werden, teilte VW der in Davos versammelten Prominenz mit.
Angesichts massiver Luftverschmutzung in seinen Metropolen setzt Chinas Regierung auf batterieelektrische Fahrzeuge. In kurzer Zeit sollen fünf Millionen Ladestationen bereitstehen, was der Zahl der 2022 in China verkauften E-Autos entspricht. Volkswagen folgt hier nach Tesla sowie den chinesischen Herstellern BYD und SAIC erst auf Rang vier, dicht gefolgt von zwei weiteren einheimischen Produzenten. Und die Chinesen drängen mittlerweile auch auf den deutschen Markt.
»Uns verbindet mit China das Interesse an der Lösung globaler Probleme«, wirbt Industrieverbandspräsident Siegfried Russwurm, der sich den verschärften Tönen nicht anschließen will. »Und für viele Branchen der deutschen Industrie ist der riesige chinesische Markt die Chance schlechthin, für die globale Wettbewerbsfähigkeit unverzichtbare Skalenvorteile zu erreichen.«
Das E-Auto gilt in China als Beispiel für vieles. Die Regierung strebt mithilfe forcierter Industriepolitik an, in zentralen Zukunftsbranchen weltweit führend zu werden. »Seit 2015 investiert China massiv in Forschung und Entwicklung in strategisch wichtigen Industrien mit Technologieschwerpunkt und steigert die Produktivität sowie Innovationskraft im eigenen Land«, heißt es in einer Studie des deutschen Mercator Institute for China Studies. Ziel sei die Unabhängigkeit von ausländischen Kerntechnologien und die Schließung von Wissenslücken. Ausländische Expertise werde dafür als Sprungbrett angesehen.
Mit ihrer Technologieoffensive reagiert die Regierung von Präsident Xi Jinping zugleich auf die demografische Entwicklung. Seit langem sinkt die Geburtenrate. Neben den BIP-Daten verkündete das Nationale Statistikbüro am Dienstag sogar, dass die Bevölkerung 2022 geschrumpft sei – zum ersten Mal seit 60 Jahren. Wegen dieses Trends setzt Peking seit Jahren mehr auf qualitatives denn quantitatives Wachstum.
Für das laufende Jahr erwartet die Weltbank aber schon wieder ein Wachstum von 4,3 Prozent in China – mehr als in den Industriestaaten. Rückenwind kommt von höheren staatlichen Infrastrukturausgaben, einer Erleichterung der Kreditbedingungen und umfassenden Maßnahmen für den angeschlagenen Immobiliensektor.
Wohl auch deshalb kündigte Vize-Premier Liu He in Davos für 2023 das an, was die Versammelten hören wollten: einen spürbaren Anstieg der Importe, der Unternehmensinvestitionen und des Konsums sowie Reformen und eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit. Der Erhalt des Weltfriedens übrigens wurde in der Rede elfmal erwähnt.
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