Taschen leer, Kühlschrank aus

Wie Menschen mit geringem Einkommen mit dem Preisanstieg klarkommen

  • Nora Noll, Eva Roth, Ines Wallrodt, Martin Höfig
  • Lesedauer: 16 Min.
Foodsharing, Second-Hand-Kleidung, wenig heizen: Daniel, Julia Bühler und Şilan Sirin (von links) schildern, was es heißt, wenn das Leben teurer geworden ist und man schon vorher wenig Geld hatte.
Foodsharing, Second-Hand-Kleidung, wenig heizen: Daniel, Julia Bühler und Şilan Sirin (von links) schildern, was es heißt, wenn das Leben teurer geworden ist und man schon vorher wenig Geld hatte.

Eigentlich wollte Şilan Sirin im Winter gar nicht heizen. Das hat die Studentin vor drei Monaten erzählt, als wir zum ersten Mal mit ihr über die hohe Inflation gesprochen haben. Doch dann konnte sie doch nicht ganz aufs Heizen verzichten. Sehr sparsam hat sie dennoch gelebt, weil sie sehr wenig Geld hat. Ihren Kühlschrank hat die 26-Jährige abgeschaltet, wenn es draußen kalt war, »dann kann man die Sachen auf den Balkon stellen«, sagte sie uns jetzt.

Die Studentin gehört zu den fünf Männern und Frauen mit geringem und durchschnittlichem – und damit auskömmlichem – Einkommen, die wir im Herbst und nun noch einmal im Januar gefragt haben, wie sie klarkommen angesichts der stark gestiegenen Preise, gerade für Heizung, Strom und Lebensmittel. Die fünf haben ihre Einkünfte offengelegt und geschildert, was sie tun und lassen müssen angesichts der Verteuerung des Lebens. Sie erzählen auch, wie sie politisch reagiert haben und welche Rolle die Inflation bei ihrer Arbeit als Gewerkschafter und Betriebsrätin spielt.

Um genau 7,9 Prozent sind die Verbraucherpreise 2022 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, ermittelte das Statistische Bundesamt und schlüsselte diese Woche auf, welche Produkte sich besonders stark verteuert haben: Der Preis für Heizöl stieg um 87 Prozent, für Erdgas um 65 Prozent, für Strom um 20 Prozent, für Lebensmittel um 13,4 Prozent.

Dass diese enorme Verteuerung von Alltagsgütern viele Menschen hart trifft, aber nicht alle, darüber haben wir im Herbst berichtet. Damals sorgte eine Analyse für Aufmerksamkeit, nach der die Vergütung von Vorständen in Dax-Konzernen bereits im Jahr 2021 um 24 Prozent gestiegen ist – ein schönes Polster fürs folgende Inflationsjahr. Im Schnitt kamen die Manager auf 3,9 Millionen Euro. Es liege eine »wahnsinnige Brisanz drin, wenn es den Leuten schlecht geht und die Vergütungen steigen, dann haben wir Diskussionen«, sagte damals Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Die Diskussionen hielten sich dann doch in Grenzen.

Jetzt liegen aktuelle Schätzungen über die Dividenden vor, die Aktionäre von Dax-Unternehmen dieses Jahr erhalten dürften. Banken-Experten erwarteten eine Rekordsumme von rund 55 Milliarden Euro, berichtete diese Woche die »Börsen-Zeitung«. Das wären über acht Prozent mehr als im Vorjahr. »Die Inflation kennt auch Gewinner«, schlussfolgert die »FAZ«.

55 Milliarden Euro – diese Summe ist vielleicht ein bisschen besser vorstellbar, wenn man sie zerlegt. Gäbe man das Geld den 13 Millionen Erwachsenen und Kindern, die armutsgefährdet sind, erhielte jede Person in diesem Jahr 350 Euro – pro Monat. Aber das Geld wird an die Aktionäre fließen, einfach deshalb, weil sie Unternehmensanteile besitzen. Und Millionen Menschen werden vorerst weiter mit wenig Geld zurechtkommen müssen. Das finden viele nicht in Ordnung, und nicht nur das. Den Männern und Frauen, mit denen wir gesprochen haben, brennt noch anderes auf den Nägeln. Aber lesen
Sie selbst.

»Ganz konnte ich nicht aufs Heizen verzichten«

Şilan Sirin (26), Studentin und studentische Hilfskraft in einer Buchhandlung, monatliches Nettogehalt: 400 bis 900 Euro. Sirin spart hart. Trotzdem reicht es nicht.

Drei Monate nach dem ersten Gespräch mit »nd« sind Şilan Sirins kurze, dunkle Haare etwas weniger kurz. Ansonsten hat sich im Leben der Studentin wenig verändert: Das Geld ist knapp, die Zeit auch, wie schon im Herbst 2022. Die 26-Jährige muss neben ihrem Vollzeitstudium arbeiten und sich damit komplett selbst finanzieren. Vormittags sitzt sie in den Seminaren ihres Bachelorstudiengangs Rehabilitationspädagogik an der Humboldt Universität, nachmittags verkauft sie als studentische Hilfskraft Bücher in dem Buchladen am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, abends schreibt sie Seminararbeiten oder bereitet sich auf die nächste Prüfung vor. Zu Beginn des Semesters plante sie mit einer 20-Stunden-Woche: Damit hätten ihr monatlich zwischen 850 bis 900 Euro netto zur Verfügung gestanden.

Doch der Plan ging nicht auf. Im November konnte Sirin nur einen Tag in der Woche arbeiten, »weil ich mir das Semester so vollpacken musste«. Für die 320 Euro Miete und Fixkosten wie Versicherung habe ihr Gehalt von 430 Euro gereicht, für mehr nicht. Von ihrer Familie will sie kein Geld leihen, sie weiß, dass ihre Eltern ohnehin knapp aufgestellt sind. Also hangelt sich Sirin mit ihrem wenigen Ersparten durch den Monat.*

Immerhin erwartet Sirin keine hohen Energierechnungen. Angesichts der gestiegenen Preise hat sie in den vergangenen Wintermonaten sehr sparsam gelebt: Das Gefrierkühlfach hat sie abgetaut, den Kühlschrank bei Minusgraden ausgesteckt. »Dann kann man ja die Sachen auf den Balkon stellen.« Auch die Heizung habe sie so lange wie möglich runtergedreht, »aber ganz konnte ich nicht aufs Heizen verzichten«. Dafür habe sie die kältesten Tage in Hamburg bei ihrer Familie verbracht. »So konnte ich mehr sparen als andere.« Auf die Heizungsabrechnung wartet sie zwar noch, doch von ihrem Stromanbieter hat sie bereits eine Rückzahlung erhalten.

Vom Staat hat Sirin in den vergangenen Monaten 300 Euro bekommen – einmalig. Die Energiekostenpauschale im Dezember ging für ganz normale Ausgaben drauf: einkaufen gehen, Rechnungen begleichen. »Ich wollte es zur Seite legen, aber es ist einfach verpufft«, sagt sie. Auf mehr staatliche Unterstützung konnte Sirin bislang nicht hoffen. Weil sie ihr erstes Studium abgebrochen hat, steht ihr kein Bafög zu. Damit ist sie nicht alleine: Laut Statistischem Bundesamt bezogen 2021 weniger als eine halbe Million Studierende Bafög, etwa ein Sechstel der gesamten Studierendenschaft. Doppelt so viele Studierende lebten überwiegend von eigener Erwerbstätigkeit. Für das kommende Semester stünde ein Pflichtpraktikum an – in der Regel unbezahlt. Sirin weiß nicht, wie sie das schaffen soll.

Für politische Arbeit hat Sirin kaum Zeit. Die Mobilisierungsversuche der Linken in Brandenburg hätte sie gerne verfolgt, aber ohne Neun-Euro-Ticket kosten ihr die Fahrten zu viel. Was sie aus der Distanz mitbekommen hat, findet sie enttäuschend. »Zuerst dachte ich noch, na ja, das ist erst der Anfang. Ich weiß nicht, woran es liegt, die Leute sind ja trotzdem sauer und enttäuscht.« Vielleicht sei es, wie bei ihr selbst, eine Frage der Zeit. Oder eine Kulturfrage, eine Konsequenz aus jahrelangem neoliberalem Brainwashing? »Wenn man das so verinnerlicht hat, sucht man den Fehler bei sich selbst«, sagt Sirin. Selbst unter Freundinnen würde zu Geldfragen geschwiegen. Die kürzlich gestartete Kampagne »Wir zahlen nicht!«, die zum Boykott der Stromrechnungen aufruft, sieht sie skeptisch. Wer wolle sich schon mit Schuldner*innen und Bittsteller*innen identifizieren? »Solche Protestaktionen erfahren selten breite Unterstützung. Ich finde, linke Initiativen brauchen ein besseres Gefühl dafür, was jahrzehntelange, neoliberale Diffamierung von Protesten und Streiks in den Köpfen angerichtet hat.«

*Richtigstellung: In einer früheren Version des Textes wurde Sirin missverständlich zitiert. Wir haben das Zitat deshalb gelöscht.

»Das interessiert keine Sau«

Daniel (44), Beschäftigter in einer digitalen Druckerei, eine Tochter, monatliches Nettoeinkommen inklusive Kindergeld: rund 1900 Euro. Daniel informiert sich wieder mehr über Politik – und regt sich auf.

Als sein Gasversorger vergangenen Sommer zum ersten Mal über höhere Preise informierte, hat Daniel von sich aus seinen Abschlag verdoppelt. Von 60 auf 120 Euro pro Monat. Er wollte später nicht auf einen Schlag einen Haufen nachzahlen müssen. Inzwischen hat der Gasanbieter den Preis zum dritten Mal angehoben. Die Kilowattstunde kostet jetzt dreimal so viel wie vor anderthalb Jahren. »Irgendwie will der Gedanke nicht aus meinem Kopf, dass der Anbieter die Situation doch ausnutzt«, sagt Daniel. Wie hoch seine Rechnung sein wird, weiß er noch nicht. Der Berliner hofft, dass es reicht, was er freiwillig zahlt. Zumal er in diesem Winter auch weniger heizt. »Was kann ich noch mehr machen?«

Die Verbraucherzentralen raten zum Widerspruch, wenn Energieversorger die Preiserhöhung nicht ordentlich begründen. Der 44-Jährige verspricht sich davon nichts. Er fürchtet zudem, dass Widerspruch als Kündigung gewertet wird. So ist es in der Tat anderen Menschen ergangen, sodass die Verbraucherzentralen auch für diesen Schachzug von Unternehmen Musterwidersprüche ins Netz gestellt haben.

Riesensprünge konnte der Grafiker noch nie machen. Bis die Inflation die Lebenshaltungskosten in die Höhe trieb, gingen bereits jeden Monat ca. 900 Euro für Miete, Gas und Strom drauf. Nun sind etwa 1000 Euro, die Hälfte seines verfügbaren Einkommens, jeden Monat fix. Der Vater einer Tochter, die abwechselnd bei ihm und bei ihrer Mutter wohnt, hat seinen Lebensstil seit Langem angepasst: Lebensmittel im Angebot oder in der Eigenmarke, kein Auto, Klamotten nur gebraucht. »Wenn ich mich an der Konsumgesellschaft orientieren würde, würde ich ja unglücklich.« Das passt auch zu seiner Überzeugung: »Unendliches Wachstum richtet die Erde zugrunde.«

Trotzdem waren vor Weihnachten die 300 Euro Sonderzahlung vom Staat und ein paar Hundert Euro vom Arbeitgeber willkommene Finanzspritzen. Bei den Geschenken für seine Zehnjährige hat er keine Abstriche gemacht. Aber sie ist auch keine, die teure Wünsche hat. Zusammen mit dem Gasabschlag, der den Menschen nach einem Beschluss der Bundesregierung für Dezember erstattet wird, hatte er zum Jahresende sogar eine kleine Summe übrig.

Seine persönliche Situation ist kein Thema, über das Daniel gern viele Worte verliert. Bei etwas anderem kommt er ins Reden. Seit ein paar Monaten ist sein Interesse an Politik neu aufgeflammt. Doch je mehr er sich mit Politik beschäftigt, umso frustrierter wird er. »Korruption und Lobbyismus, Unternehmen, die jahrelang dicke Gewinne gemacht haben, werden vom Staat gestützt, so wie es mal ein paar Monate nicht so rund läuft. Wenn’s bei mir mal schlecht läuft oder bei kleinen Handwerksbetrieben – das interessiert keine Sau.« Diese Ungleichheit regt ihn auf. »Da ist eine Riesenschieflage.«

So unzufrieden er ist, sieht er doch keinen Weg, wie man daran etwas ändern könnte. Mehr Abstand von der Politik erscheint Daniel daher gesünder. »Ich will ja ein positiv denkender Mensch sein, diese negativen Gefühle sind nicht gut für
die Seele.«

»Ich habe Einspruch erhoben«

Claudia Peters* (60), Bäckerei-Fachverkäuferin, monatliches Nettogehalt: rund 1400 Euro. Mit den höheren Nebenkosten will sich Peters nicht abfinden.

Ihr Vermieter hat kürzlich mitgeteilt, dass er die Nebenkosten um 100 Euro erhöht. »Damit bin ich nicht einverstanden, deswegen habe ich dagegen Einspruch erhoben«, sagt Claudia Peters. Sie will sich notfalls Hilfe holen: »Ich bin im Mieterbund.« Andere Mieter in der Nachbarschaft würden über eine Sammelklage nachdenken. Der Stromanbieter habe zwar erklärt, dass der Preis steige, aber noch keine neuen Abschläge genannt.

Die 60-jährige Bäckerei-Fachverkäuferin lebt zusammen mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und der Enkelin in einer Vier-Zimmer-Wohnung, die warm zurzeit rund 950 Euro kostet. »Das geht noch, ich wohne seit zehn Jahren hier.« In ihrer Nähe ist eine 70-Quadratmeter-Wohnung frei geworden, dafür verlange der Vermieter jetzt 1600 Euro.

Beim Einkaufen im Supermarkt sucht Claudia Peters nach günstigen Angeboten: »Bei Aldi ist es überhaupt nicht immer am billigsten.« Auch bei Kleidung spart sie: »Ich überlege zweimal, ob ich wirklich neue Schuhe brauche.« Peters kommt bei einer 30-Stunden-Woche auf ein Nettogehalt von rund 1400 Euro, insgesamt hat die Familie ein monatliches Nettoeinkommen von rund 4100 Euro plus Kindergeld.

Wegen der hohen Energiepreise soll nach dem Willen der Politik in öffentlichen Einrichtungen weniger geheizt werden, das gilt auch für viele Bäder. »Mein Schwiegersohn war vor einiger Zeit mit seiner Tochter schwimmen. Das Wasser war eiskalt«, erzählt Peters. »Danach sagte er: Das mache ich nicht mehr.«

Peters arbeitet zwei bis drei Tage pro Woche in einer Bäckerei-Filiale eines größeren Unternehmens, zwei Tage ist sie für die Betriebsratsarbeit freigestellt. Im Laden sind die gestiegenen Preise immer noch ein großes Thema. Eine Kundin habe kürzlich gesagt, dass sie ihr kleines Kind nicht mehr zum Einkaufen mitnimmt. »Sie will nicht immer Nein sagen.« Viele kauften gezielter ein, »früher haben die Kunden öfter spontan noch Kuchen mitgenommen. Das ist seltener geworden.«

Im Betriebsrat spiele der Preisanstieg keine Rolle, erzählt die stellvertretende Betriebsrats-Vorsitzende. Das beherrschende Thema sei der Personalmangel, der sich in den vergangenen Wochen wegen der Krankheitswelle noch verschärft habe. »Das ist für uns das Schlimmste.« Dadurch sei der Arbeitsdruck stark gestiegen, weil weniger Personal in den Filialen ist. Manche arbeiten auch länger. »Eine Kollegin hat sieben Tage durchgearbeitet.« Die Öffnungszeiten werden bereits immer wieder mal verkürzt, der Betriebsrat setze sich nun dafür ein, dass die Geschäfte vorerst täglich früher schließen.

Dass die Bäckerei-Kette kaum neue Leute findet, liegt eher an den Arbeitszeiten als am Gehalt, glaubt Peters. »Das Unternehmen zahlt eigentlich ganz gut, eben nach Tarif. Und andere Firmen, die mehr zahlen, haben die gleichen Probleme. Aber niemand will um fünf Uhr morgens in der Filiale stehen und auch sonntags arbeiten.«

»Die 1000 Euro bekommen alle«

Erik Schober (50), Beschäftigter in der Stahlindustrie, verheiratet, zwei Kinder, monatliches Nettoeinkommen der Familie inklusive Kindergeld: rund 5000 bis 5500 Euro. Schober findet die Einmalzahlung, die der Betriebsrat durchgesetzt hat, gut.

Der Preisanstieg »beschäftigt die Kolleginnen und Kollegen ständig«, sagt Erik Schober, der bei Salzgitter Flachstahl arbeitet. Seit vielen Jahren ist er dort einer der Vertrauensleute, die von IG-Metall-Mitgliedern gewählt werden und sich für die Belange von Beschäftigten einsetzen. Der Betriebsrat habe nun durchgesetzt, dass die Beschäftigten im Januar eine Einmalzahlung von 1000 Euro erhalten. Es gibt keine Staffelung, alle bekommen diesen Betrag, auch Azubis und Leute in Altersteilzeit, betont Schober: »Schließlich müssen alle die höheren Preise zahlen, wenn sie einkaufen gehen.« Die 1000 Euro sind steuer- und sozialabgabenfrei, das ermöglicht ein Beschluss der Ampelkoalition.

Erik Schober findet die Pauschale gut, auch wenn sie eben nur einmal überwiesen wird. Schließlich zahlt das Unternehmen sie zusätzlich zur dauerhaften Tariflohn-Erhöhung, die im Sommer ausgehandelt wurde: Seit August vorigen Jahres erhalten Beschäftigte in der Stahlindustrie 6,5 Prozent mehr Gehalt. Die IG Metall ist in der Branche stark. Bei Salzgitter Flachstahl sind von den 6000 Arbeiter*innen und Angestellten über 90 Prozent organisiert, sagt Schober.

Er selbst hat mehr als 20 Jahre lang im Schichtdienst gearbeitet und sich zusätzlich ehrenamtlich engagiert, als Jugendvertreter, später als Vertrauensmann. Seit gut vier Jahren ist er als stellvertretender Leiter des Vertrauenskörpers freigestellt. Brutto verdient er rund 5500 Euro im Monat. »Ich habe ein gutes Einkommen«, sagte der 50-Jährige im Herbst, als wir schon einmal mit ihm über die Folgen der Inflation gesprochen haben. Inzwischen hat er die neuen Abschläge für Strom bekommen: Statt 120 Euro zahlt seine Familie künftig 209 Euro im Monat. Sein Gasvertrag läuft noch bis Mitte des Jahres. Er ist froh, dass er bereits im Februar eine neue Heizung einbauen ließ. Dadurch sei der Gasverbrauch um 30 Prozent gesunken.

Wegen der stark gestiegenen Preise »gucken wir schon, wo man ein bisschen sparen kann. Wir beobachten jetzt, wie viel Geld wofür drauf geht«, erzählt er. Dank des ordentlichen Einkommens hat die Inflation seine Familie dabei »noch nicht so in Bedrängnis gebracht«. Insgesamt hat die Familie netto rund 5000 bis 5500 Euro im Monat zur Verfügung – darin enthalten sind neben Schobers Lohn das Gehalt seiner Frau, die Teilzeit arbeitet, und das Kindergeld für die beiden Töchter.

Zum Vergleich: Das durchschnittliche Nettoeinkommen von Paaren mit einem Kind oder mehreren Kindern betrug im vorigen Jahr rund 5700 Euro im Monat. Zu diesem Ergebnis kommt das Statistische Bundesamt. Die Daten basieren auf den Aufzeichnungen von knapp 7500 Privathaushalten, die über drei Monate ihre Einnahmen und Ausgaben erfasst haben. Nicht berücksichtigt sind dabei selbstständige Gewerbetreibende und Landwirte. Die Angaben wurden dann auf 38 Millionen Haushalte hochgerechnet.

Durchschnittlich 5700 Euro heißt: Wenn alle diese Paare mit mindestens einem Kind gleich viel hätten, hätten alle im Monat 5700 Euro. Tatsächlich hat weit mehr als die Hälfte der Familien weniger Geld zur Verfügung – und einige wenige haben viel mehr. »Gerade für Leute am Existenzminimum ist es extrem hart«, sagt Schober. Für ihn ist klar: Sozialleistungen wie Bürgergeld sollten ebenso wie Niedriglöhne erhöht werden.

»Ich bin nicht bedürftig«

Julia Bühler, 46 Jahre, freiberufliche Künstlerin, lebt von monatlich 865 Euro. Bühler hofft, dass sie bald von ihrer Arbeit leben kann.

Julia Bühler lacht immer noch oft. Mit den 865 Euro, die ihr die Agentur für Arbeit mittlerweile monatlich zahlt, komme sie gut klar. »Ich bekomme jetzt alles von der Agentur für Arbeit, also Arbeitslosengeld und Grundsicherung, weil mir nun doch noch meine Tätigkeit als Schulhelferin von 2019 bis 2022 angerechnet wurde«, erklärt sie. Die Warmmiete für ihre Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin-Grünau beträgt nach wie vor 387 Euro, der monatliche Stromabschlag ist mit 60 Euro ziemlich hoch. »Aber auch, falls sich in der Jahresendrechnung eine Nachzahlung ergeben sollte, mache ich mir keine Sorgen«, so Bühler. Denn sie wisse, dass sie mit einer Nachzahlungsforderung zum Jobcenter gehen könne, das die zusätzlichen Kosten übernehmen müsse.

Abzüglich der etwa 25 bis 30 Euro für Handy und Internet bleiben der 46-Jährigen knapp 400 Euro im Monat zum Leben. »Ich bin gesund, mir fehlt es an nichts, ich bin nicht bedürftig«, sagt sie bestimmt. Ihr Leben sei erfüllt von ihrer Kunst und ihren Theaterprojekten; sie habe eigentlich so viel zu tun, dass sie kaum dazu komme, über ihre beschränkten finanziellen Mittel nachzudenken. »Ich bin reich an Arbeit und führe ein erfülltes Leben.«

Angst, dass sich der Krieg in der Ukraine ausweitet, habe sie aber auch. »Der Tod ist ja wohl eine viel größere Bedrohung als der Umstand, dass man sich eben nicht so viel leisten kann«, sagt Bühler. Sie verweist auf ihre Herkunft, ihre Mutter ist Bolivianerin. »Daher kann ich meinen Lebensstandard hier auch in Relation zu anderen Weltgegenden setzen und weiß, wie gut es mir hier im Vergleich zu Millionen anderen Menschen geht«, ist sie überzeugt.

Dennoch lasse sie seit einiger Zeit sogar den geliebten Cappuccino in der Kaffeerösterei weg, der zuvor eines der wenigen Dinge war, die sie sich ab und zu leistete. »Ich bin momentan so im Reinen mit meiner Kunst und meinem Leben, dass ich die Volksdroge Kaffee nicht mehr brauche«, ist ihre Version des Verzichts.

Ein wichtiger Schritt sei für sie, dass gerade die Überprüfung ihres Anspruchs auf Aufnahme in die Künstlersozialkasse (KSK) laufe. »Es ist extrem wichtig für mich, dort aufgenommen zu werden, sozusagen als offizieller Teil der Künstlergemeinschaft«, sagt Bühler. Außerdem ist die Krankenversicherung für Freiberufler*innen in der KSK günstiger.

Angesprochen auf die kürzlich gegründete Initiative »Wir zahlen nicht«, die bundesweit dazu aufruft, solidarisch die Zahlung der Stromrechnungen zu bestreiken, reagiert Bühler eher ablehnend. »Das ist nichts für mich«, sagt sie knapp und begründet das auch nicht. Vielleicht ist es diese gewisse Angst, die sie, wie vermutlich auch andere, umtreibt: Am Ende wird man sowieso mit seinen Problemen alleingelassen, da gibt es keine Solidarität im großen Stil.

Bühler bleibt lieber im engeren Umfeld mit Freunden und Bekannten solidarisch vernetzt, besorgt sich ihr Essen meistens gratis oder via Tausch beim Foodsharing und andere Dinge in Umsonst-Läden. »Künstler sind in gewisser Weise eben immer auch Anarchisten«, sagt sie. Vom Jobcenter und der Arbeitsagentur will sie so bald wie möglich unabhängig sein. »Mein Ziel ist es, von meiner Kunst zu leben.«

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