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Gewalt ohne Ende

Der Film »Till« erzählt vom rassistischen Mord an dem Jungen Emmet Till und der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 50er Jahre

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Emmet Tills alleinerziehende Mutter Mamie Till-Mobley (Danielle Deadwyler) kämpft für die Aufklärung des Mordes an ihrem Sohn.
Emmet Tills alleinerziehende Mutter Mamie Till-Mobley (Danielle Deadwyler) kämpft für die Aufklärung des Mordes an ihrem Sohn.

In den USA ist die Geschichte des 14-jährigen Emmet Till im kollektiven Gedächtnis verankert. Der Heranwachsende, der 1955 in einem Geschäft in Mississippi einer weißen Verkäuferin hinterhergepfiffen hatte, wurde dafür einige Tage später von deren Ehemann und dessen Halbbruder nachts gewaltsam aus dem Haus seines Onkels entführt, gefoltert und danach ermordet aufgefunden. Hierzulande ist der grausame Mord weißer Rassisten, der als einschneidendes Ereignis im Kampf der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt, wenig bekannt. Im Gegensatz zum Busboykott einige Monate später in Montgomery/Alabama nach der Verhaftung von Rosa Parks, was ebenfalls als wichtige Zäsur der Bürgerrechtsbewegung jener Zeit gilt.

Anfang 2022 verabschiedete die Regierung Biden mit dem nach dem Jugendlichen benannten »Emmet Till Antilynching Act« ein Bundesgesetz, das Lynchen zu einem eigenen Straftatbestand macht, nachdem im Lauf der vergangenen 120 Jahre unzählige Anträge für ein solches Gesetz eingebracht worden waren und immer wieder scheiterten. Der Film »Till« erzählt nun erstmals die Geschichte von Emmet Till und seiner kämpferischen Mutter für ein breiteres Kino-Publikum.

»Hollywood wollte diesen Film nie anfassen«, erklärte Keith Beauchamp, einer der Drehbuchautoren, unlängst auf einem Panel in Los Angeles. Mehrere Versuche, die Geschichte von Emmet Till als Kinofilm umzusetzen, schlugen fehl. Beauchamp hatte bereits 2005 einen Dokumentarfilm über Emmet Tills Ermordung gedreht, jahrelang vor Ort dafür recherchiert und unzählige Interviews geführt. Wobei Regisseurin Chinonye Chukwu in »Till« nun vor allem die Geschichte der Mutter des ermordeten Jungen (Jalyn Hall) erzählt.

Die alleinerziehende Mamie Till-Mobley (Danielle Deadwyler), deren Mann 1945 in Europa im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen war, kämpfte vor Gericht gegen die Mörder, die aber beide freigesprochen wurden. Aufsehen erregte der Fall vor allem auch deshalb, weil Mamie Till-Mobley den zu Tode geschundenen Körper ihres Sohnes von der Presse fotografieren ließ und in Chicago, wo die Mutter mit ihrem Sohn gelebt hatte, mehr als 50 000 Menschen bei einer Trauerfeier an dem offenen Sarg vorbeidefilierten.

»Till« inszeniert vor allem auch den Schmerz der Hinterbliebenen nach der Ermordung und den Versuch, mit diesem schrecklichen Ereignis, der Trauer und der Wut umzugehen. Die Kamera nimmt sich sehr viel Zeit, um die Mimik nicht nur von Danielle Deadwyler zu erkunden, die die Rolle der Mamie Till-Mobley mit unglaublicher Präsenz und Stärke ausfüllt. Der Fokus liegt auf der Schwarzen Community, auf der innerfamiliären Solidarität, aber auch auf den Auseinandersetzungen, die natürlich nicht ausbleiben. Es geht um die politische Dimension dieses Mordes, denn Entführungen Schwarzer Menschen waren zu jener Zeit in Mississippi an der Tagesordnung, um die politisch selbstbewusster auftretende und um das Wahlrecht kämpfende Schwarze Community und die Bürgerrechtsbewegung einzuschüchtern.

Als die Mutter schließlich nach Mississippi zum Prozess gegen die Mörder fährt, wo sie nur unter dem Schutz schwer bewaffneter Männer der Bürgerrechtsbewegung sicher ist, sagt ein junger Schwarzer Aktivist zu ihr, die Fotos, die von ihrem ermordeten Sohn veröffentlicht wurden, hätten das Leben von Menschen verändert. Dabei verzichtet der Film explizit auf Gewaltdarstellungen. Wie Emmet Till zu Tode kam, wird nicht gezeigt, es gibt aber einige Bilder des entstellten toten Körpers.

Von der politischen Wirkmächtigkeit von Bildern, die Gewalt darstellen, handelt auch der seit Dezember auf Apple TV zu streamende Film »Emancipation« mit Will Smith, der von dem entflohenen Sklaven Gordon erzählt, dessen von Missbrauch gezeichneter Körper in den 1860ern fotografiert wurde und für internationales Aufsehen im Kampf gegen die Sklaverei sorgte.

Werden Menschen in diesen Darstellungen zu Objekten degradiert? Wird die Gewalt durch die Verbreitung der Bilder, auch wenn sie vor allem aufklären und Zeugnis ablegen sollen, immer wieder neu reproduziert? In den vergangenen Jahren gab es in den USA dazu eine breite Debatte, nicht zuletzt wegen der in den Medien immer wieder gezeigten Bilder der Ermordung George Floyds.

Gerade im Film gibt es seit einigen Jahren eine geradezu inflationäre Darstellung von Gewalt gegen Schwarze Menschen. Über den sogenannten Black Trauma Porn wurde auch im Zusammenhang mit den rassismuskritischen Produktionen von Regisseur Jordan Peele, wie im Film »Us« oder in der Serie »Lovecraft Country«, aber auch im Oscar-prämierten Kurzfilm »Two distant strangers«, der die Ermordung eines Schwarzen Mannes durch einen weißen Polizisten als Endlosschleife erzählt, kontrovers diskutiert.

Chinonye Chukwu erzählt in »Till« vor allem mit viel Empathie vom Kampf der Mutter, die sich gegen die mörderische und bornierte Gewalt und Überheblichkeit der Täter zur Wehr zu setzen versucht und während des Gerichtsverfahrens ständigen Demütigungen ausgesetzt ist. Beide Mörder wurden freigesprochen. Nur einige Monate später gestanden sie in einem Zeitungsinterview den Mord an Emmet Till, wofür sie wegen des Freispruchs juristisch nicht mehr belangt werden konnten.

Am Ende des Films bleibt Mamie Till-Mobley trauernd ohne ihren Sohn zurück. Den Kampf gegen den Rassismus führt sie aber weiter.

»Till«, USA 2022. Regie: Chinonye Chukwu. Mit: Danielle Deadwyler, Jalyn Hall, Jamie Renell, Whoopi Goldberg. 130 Min. Läuft im Kino.

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