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Fegefeuer der Einsamkeiten
Billy Nomates neues Album "Cacti"
»Gibt das Leben dir Zitronen, mach’ Limonade daraus« (Weisheit aus dem Internet). Was aber,
wenn das Leben dir Kakteen gibt? »Die ganze Welt ist voll von Kakteen« (Die Goldenen Zitronen), aber sie eignen sich perfekt als Deko-Objekt: »Mein kleiner grüner Kaktus / Steht draußen am Balkon / Hollari hollari hollaro!« (Comedian Harmonists).
Dass sich Billy Nomates’ neues Album »Cacti« nicht in einen Topf mit der üblichen Rezeption der Sukkulenten in der Popmusik werfen beziehungsweise pflanzen lässt, zeigt schon ein Blick auf die Tracklist: Titel wie »balance is gone«, »roundabout sadness« und »blackout signal« zeigen, dass hier weder Punkertrotz noch jute Laune geboten werden, und der Kaktus auch nicht zeitgeistig als Symbol für Resilienz herhalten muss wie bei einer instagrammenden Pflanzen-Mutter.
Trotz war durchaus etwas, was man von Billy Nomates nach ihrem letzten Album erwarten konnte, wo sie auf dem Cover mit ironischer Herzchensonnenbrille und görenhafter Schnute Pommes essend gegen die Zumutungen der Lohnarbeit, die »hippie elite« und einen selbstherrlichen »fat white man in a fat white car« ätzte. Nicht so hier: »my inner peace is broken into 5 / i meditate but i am not alive« (Mein innerer Frieden ist in fünf Stücke zerfallen. Ich meditiere, aber ich bin nicht lebendig), heißt es im ersten Lied, das den Ton für den Rest des Albums vorgibt. Diese Zeilen sind eine Kritik am Selfcare-Kult, aber viel mehr noch Ausdruck der realen Erfahrung, die diesen Kult befeuert. Eine Erfahrung, dass etwas fehlt – in mir, in meinem Leben – ohne einen konkreten Verlust benennen, besingen und betrauern zu können.
»No one will love us – we can’t love each other;« da kommt auch kein »anymore,« wo doch die Flüchtigkeit von Liebe erträglicher wäre als ihre Unmöglichkeit. Zum Glück vermeidet es Billy Nomates aber, dieser Situation mit den Standardposen des zynischen Ennuis oder des eitlen Selbstmitleides zu begegnen. Getragen wird das Album eher von einer sanften Melancholie, in der man sich aber nicht einnisten kann oder soll.
Auch die Musik entspricht keinem Klischee beziehungsweise ist aus verschiedenen, sich widersprechenden, nicht ausbalancierten Klischees zusammengesetzt, sodass jedes einzelne für sich entkräftet wird. Da sind die Beats und Bassläufe der New Wave (trocken, kalt, hart), da sind aber auch die Synthieklänge des 80er-Jahre-Pop (hell, grell) und dann ist da dieser harmonisch verdoppelte Classic-Rock-Gesang (warm wie die Tausenden sonnenbeschienenen Körper beim Stadionkonzert einer großen Rockband), obendrein ein amerikanischer Akzent aus dem Mund einer sehr britischen Künstlerin.
Dazu kommen noch, passend zum Albumtitel, wüstenwarme, flirrendverhallte Americana-Klänge und ein Amalgam aus Field Recordings. Wir zählen nach: eins, zwei, drei, vier, fünf Elemente. Sind das die Stücke, in die Billy Nomates’ innerer Frieden zerbrochen ist?
Jedenfalls konterkariert die stilistische Variabilität die inhaltlich-atmosphärische Homogenität und es macht Spaß, von Billy Nomates musikalisch immer wieder auf die falsche Fährte gelockt zu werden, oft auch innerhalb einzelner Lieder.
Apropos falsche Fährte: »Auf halbem Weg des Menschenlebens fand / ich mich in einen finstern Wald verschlagen, / Weil der rechte Weg verloren war.« Sagt nicht Billy Nomates, sondern Dante, und ein wenig fühlt man sich beim Hören des Albums von der englischen Sängerin geführt; wenn auch nicht durch die Hölle, so doch durch das Fegefeuer. Erbaulich sind diese zwölf Gesänge nicht, aber lehrreich und schön.
Billy Nomates: Cacti (Invada Records)
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