Kleine Häuser, großer Ärger

Zoff in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg über ein Modellprojekt für Obdachlose

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.
Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll und Sozialstaatssekretärin Wenke Christoph (beide Linke) zusammen mit Friedrichshain-Kreuzbergs Stadtrat für Facility Management, Andy Hehmke (SPD), und Neuköllns Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU, v.l.n.r.) bei der Vorstellung des Safe-Place-Modellprojekts
Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll und Sozialstaatssekretärin Wenke Christoph (beide Linke) zusammen mit Friedrichshain-Kreuzbergs Stadtrat für Facility Management, Andy Hehmke (SPD), und Neuköllns Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU, v.l.n.r.) bei der Vorstellung des Safe-Place-Modellprojekts

Auf den ersten Blick sind es nur drei winzige Holzhäuschen auf einem trostlosen Parkplatz hinter dem Ostbahnhof. Doch sie stehen für weitaus mehr. Die gerade mal 3,2 Quadratmeter großen sogenannten Little Homes sind der Startschuss für ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, das seinerseits Bestandteil des Berliner Masterplans zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 ist. Ab kommenden Montag sollen hier drei Obdachlose ein Dach über dem Kopf, vor allem aber ein abschließbares, geschütztes Zuhause finden, eine gemeinsame Dixi-Toilette inklusive.

»Wir stellen hier nicht einfach nur Little Homes hin«, sagt Friedrichshain-Kreuzbergs Sozialstadtrat Oliver Nöll (Linke) am Donnerstagvormittag bei der Präsentation des Projekts vor Ort. »Wir machen hier zum ersten Mal den Versuch, das konzeptionell zu untersetzen, sozialarbeiterisch zu begleiteten und wissenschaftlich zu evaluieren.«

Letztlich seien die Wohnboxen nur als Übergangslösung gedacht. »Mir ist es wichtig zu betonen, dass das kein Ersatz ist für eine Unterbringung und natürlich kein Ersatz für Wohnraum. Das ist eine temporäre Möglichkeit, von der Straße wegzukommen«, sagt Berlins Sozialstaatssekretärin Wenke Christoph (Linke). Die Senatssozialverwaltung unterstütze das Projekt der beiden Bezirke ausdrücklich. Wichtig sei die wissenschaftliche Begleitung: Funktioniert die Idee überhaupt? Wie wirksam ist das? Wie wird mit Konflikten umgegangen? Das Scheitern sei dabei durchaus eingepreist, sagt Oliver Nöll.

Im Laufe des Jahres sollen mindestens zwei Standorte mit weiteren Little Homes in Friedrichshain-Kreuzberg hinzukommen, in Neukölln laufen entsprechende Planungen. Neuköllns Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU), bekannt für seine Law-and-Order-Durchgreif-Rhetorik, macht dabei am Donnerstag deutlich, dass von den drei Bewohnern der Minihäuser »auch gewisse Regeln einzuhalten sind: Thema Müll, Thema Alkohol, Thema Drogen«. Ähnlich Linke-Stadtrat Nöll: »Was eindeutig nicht geduldet werden kann, sind Gewaltdelikte oder Drogenhandel.« Da ist man sich jenseits des Parteibuchs also einig.

Nun sind die Little Homes am Ostbahnhof keineswegs die ersten in Berlin. Insgesamt gibt es rund 60 über die ganze Stadt verteilte Holzhäuschen für Obdachlose. »Aber das ist unser erster Platz, der so zentral ist«, sagt Sven Lüdecke. Das Wort »unser« ist bewusst gesetzt. Schließlich ist er Gründer und Vorsitzender des Vereins Little Homes, der seit 2017 die Miniräume auf Rädern auf Spendenbasis baut und sie dann den Kommunen überlässt. Das Projekt in Friedrichshain sei aber noch einmal besonders. Lüdecke sagt: »Ich bin total beeindruckt, was die Bezirksämter hier auf die Beine gestellt haben.«

Angesichts der allgemeinen Zufriedenheit bei der Vorstellung der Little Homes, könnte man meinen, bei diesem Thema herrsche parteienübergreifend eitel Sonnenschein. Dem ist nicht so. Zumindest nicht in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, in der am Mittwoch heftig über den »Safe Place« am Ostbahnhof gestritten wurde.

Linke, SPD und FDP hatten einen Dringlichkeitsantrag zum Projektstart am kommenden Tag vorgelegt. Die in der BVV dominierenden Grünen fühlten sich übergangen. Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) monierte die »Kompetenzüberschreitung« von Linke-Stadtrat Oliver Nöll und SPD-Stadtrat Andy Hehmke, der im Bezirksamt für das Facility Management und damit für das bezirkseigene Grundstück am Ostbahnhof zuständig ist. Herrmann sprach vom »Alleingang« der Bezirksamtskollegen.

»Wir sind da tatsächlich irritiert«, sagt Grünen-Fraktionschef Pascal Striebel am Donnerstag zu »nd«. Ein Antrag der Grünen zur Schaffung von »Safe Spaces« war im Dezember mit den Stimmen von Linke und SPD vertagt worden – und nun komme man mit einem eigenen Antrag um die Ecke. Im Grundsatz sei man sich ja einig. Aber: »Wir haben vorab nichts schriftlich bekommen, weder ein Konzept noch detaillierte Informationen, was da genau geplant ist.« Das gehe so nicht.

SPD-Stadtrat Andy Hehmke will sich zu den Streitereien in der BVV um eigentlich nicht weiter äußern. Nur so viel: »Sozialstadtrat Nöll und ich, wir haben unsere Kompetenzen keinesfalls überschritten und auch nicht in die Angelegenheiten von anderen Mitgliedern des Bezirksamts eingegriffen«, sagt Hehmke zu »nd«. Es sei unterm Strich ärgerlich, dass in der BVV »das Bemühen um politische Profilierung sachliche und fachliche Fragen überlagern« würden. »Ich hoffe, dass sich nach der Wahl alle wieder ein bisschen beruhigen und nicht aus jeder Sach- eine Machtfrage machen.«

Grünen-Politiker Pascal Striebel geht da in gewisser Weise auch mit: »Vermutlich wäre die Debatte anders verlaufen, hätte sie nicht jetzt so kurz vor den Wahlen stattgefunden.«

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