Niemand leidet für sich allein

In der rotzfrechen Serie »Shrinking« kümmern sich Menschen solidarisch, humorvoll und empowernd umeinander

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Miteinander reden, die Lösung für all unsere Probleme
Miteinander reden, die Lösung für all unsere Probleme

Eigentlich müssen Psychotherapeut*innen zu ihren Patient*innen immer eine professionelle Distanz pflegen, das ist das A und O jeder funktionierenden Therapie. Ganz anders verfährt von einem Tag auf den anderen der im kalifornischen Pasadena lebende Therapeut Jimmy Laird (Jason Segal) in der hochkarätig besetzten und ungemein flott inszenierten Comedy-Serie »Shrinking«.

Der seit gut einem Jahr um seine verstorbene Ehefrau trauernde Jimmy verliert immer mehr den Boden unter den Füßen und kommt mehr schlecht als recht mit seinem Verlust und Schmerz klar. Wie soll er sich ablenken? Mal landet er nachts betrunken mit zwei Sexarbeiterinnen im Pool seiner Nachbarin Liz (Christa Miller). Dann scheitert er wieder vollends beim Versuch, ein Gespräch mit seiner 17-jährigen Tochter Alice (Lukita Maxwell) zu führen, die ihn gar nicht mehr ernst nehmen kann. Und zu seinem besten Freund, dem schwulen Anwalt Brian (Michael Urie), hat er seit dem Tod seiner Frau jeglichen Kontakt abgebrochen. Jimmy wird alles zu viel. Bis er während einer Therapiesitzung plötzlich beschließt, mit allen Regeln zu brechen und so sein Ohnmachtsgefühl, aber auch den Frust und den Schmerz, der an ihm nagt, zu überwinden. Das Chaos ist vorprogrammiert.

So gibt er unter anderem einer Patientin den Ratschlag, sich endlich von ihrem nervtötenden Mann zu trennen, was die auch glatt tut, inklusive schwer abzuschätzender Konsequenzen. Und den jungen traumatisierten und latent gewalttätigen Kriegsveteranen Sean (Luke Tennie), der von seinen Eltern auf die Straße gesetzt wird, lässt er kurzerhand bei sich einziehen.

Jimmys Chef Paul Rhodes (Harrison Ford), in dessen Gemeinschaftspraxis er arbeitet, findet diese Tabubrüche unsäglich. Nur hat der gerade an Parkinson erkrankte Praxisleiter eine handfeste Auseinandersetzung mit seiner erwachsenen Tochter, und er will den immer noch trauernden Jimmy weiter unterstützen. Und seine Kollegin Gaby (Jessica Williams), die beste Freundin seiner verstorbenen Frau, die sich gerade von ihrem Künstlerfreund scheiden lässt, ist nicht minder entsetzt. Aber auch sie kümmert sich um Jimmy und dessen Tochter.

Das titelgebende Wort »Shrinking« bedeutet übersetzt so viel wie »Therapieren« und wird in dieser aus zehn halbstündigen Episoden bestehenden Serie zum sozialen Interaktionsmodus aller Figuren. Das große Thema dieser unterhaltsamen und dennoch anspruchsvollen Serie ist die auch in linken Kreisen viel diskutierte Care-Arbeit.

Alle in dieser Serie, die nicht nur vom großartigen Drehbuch und den pointierten Dialogen, sondern auch von den hingebungsvoll spielenden Schauspielern lebt, diskutieren, streiten und versöhnen sich, unterstützen einander, kämpfen für ihre eigenen Bedürfnisse und die der anderen, stehen solidarisch füreinander ein und lassen niemanden hängen.

Es geht um queere Romantik wie um heterosexuelles Begehren, um Eigenständigkeit und Abhängigkeiten, um Patchwork-Familien, Eifersucht, Trennungen, um das Älterwerden, Krankheiten, Wut, um Begeisterungsfähigkeit und darum, sein Leben allein nicht mehr geregelt zu bekommen. Dabei wird in dieser Serie keine der Figuren auf Kosten des Humors beschädigt, obwohl gleichzeitig alle Personen und Dialoge in »Shrinking« rotzfrech sind.

Diese Geschichte um ein knappes Dutzend Menschen, in der unendlich viele kleine, miteinander verknüpfte Alltagsgeschichten stecken, fächert ein Panoptikum zeitgenössischer Befindlichkeiten auf, und Solidarität spielt die zentrale Rolle. Dabei erzählt »Shrinking« nicht nur eine stellenweise sehr tragische und dennoch empowernde Geschichte aus einem urbanen Alltagskosmos, sondern macht auch auf eine verblüffende Weise Hoffnung und gute Laune. Als würde dieses »Shrinking« in Sachen solidarischer Care-Praxis auch durch den Bildschirm wirken.

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